Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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kanonischen Stunde des Schwachwerdens, der

      Der-Tag-ist-in-trockenen-Tüchern-Stunde – amerikanische Matineezeit und zum reduzierten Seniorenpreis bei Vorzeigen unserer Seniorenausweise, Einlass bis 16.00, trafen wir uns vor dem Kartenschalter vor dem Kino (ich zahlte immer), unserer manchmal fast täglichen peinlichen Verabredung, und glauben Sie nicht, wir hätten uns nicht darin gesuhlt, der Sündhaftigkeit-des-Ganzen, das Gefühl genossen, uns in so vielen Kinos unserer Metropolenfläche unter unser Niveau zu begeben, und Schneidermann und ich, wir einigten uns auf den Film des Tages, oder eher, das war nicht nötig: Nennen Sie’s Gedankenübertragung, wenn Sie wollen, nennen Sie’s Gedankenlesen, wenn Sie wollen, außersinnliche Irgendwas, Intuition, Geomantik, Geloskopie, wenn Sie wollen, aber in Wahrheit besorgten wir uns jeder für sich das Kinoprogramm aus einer gewissen Zeitung, die Sie – alle – lesen – sollten, und jeder für sich hatten wir die infrage kommenden Matineefilme rot eingekreist, die wir, auch hier jeder für sich, sehen wollten, seinerseits wahrscheinlich genauso wie meinerseits, um

      1) den anderen hinabbegleiten zu können,

      2) okay, ein bisschen das Leben rumzubringen, und beide tauchten wir dann – jeder für sich, denn zumindest Schneidermann, er war ein Individualist – rechtzeitig auf, egal bei welchem Kino, lungerten vor dem Kartenschalter herum, ich hatte immer die Whiskeyflasche und zwei Karten dabei, Schneidermann, er hatte immer nichts und niemanden dabei und tat überrascht, wenn wir uns rein zufällig auf der Straße oder im Foyer begegneten,

      manchmal.

      Beispielsweise: Hätte ja nie gedacht, dich hier zu sehen. So ein Zufall aber auch.

      Aber um noch mal auf den Punkt zu kommen. Darf nicht abschweifen,

      nämlich vom letzten und finalen Mal, wo Schneidermann und ich jeder für sich entschieden hatten, zusammen wie immer ins Kino zu gehen, in einen Matineefilm wie immer, nicht dass ich ihn oder Schneidermann mich auf der Leinwand gesehen hätte, Gott bewahre!, aber wir sahen einander erst im Foyer vor dem Kartenschalter und gingen dann zusammen rein, in kunstinspiriertem Schweigen, in Saal 7, Reihe S, Platz 17 und 19, immer mit einem leeren Sitz zwischen uns, Platz Nr. 18, durch einen zwischen uns liegenden Sitz getrennt, unsere regenfeuchten, nach Samen stinkenden Jacken in der Mitte, die mezzo termine war, dieser uns trennende Sitz Nr. 18 wurde je nach Jahreszeit von meinem Kunsthermelin eingenommen, der auf seiner brechreizenden Schmate lag; dass wir eine kaputte Sprungfeder auseinander saßen, war unser Brauch, unsere Gewohnheit, war unser Ritual, unsere Tradition, um diesen Matineefilm zu sehen, als Zuschauer in diesem einen, letzten Matineefilm zu sitzen, diesem letzten Film von vielleicht fünf- oder sechstausend, die Schneidermann und ich im letzten halben Jahrhundert zusammen gesehen hatten, und was machte er in diesem Film, in dessen ausgedehnter Mitte, im sich abspulenden Mittelteil?

      Schneidermann, er stand einfach auf, krebste erst Hintern voran herum, tattertorkelnd vom Alter ebenso wie vom OLD GRAND-DAD-Whiskey, den er getrunken hatte, dann durch die Reihe, auf Schuhe tretend und auf hirnförmiges Popcorn, in den Gang und hinaus.

      Und kam nicht mehr zurück. Nie mehr. Nach etwa einer Stunde und ein paar Minuten. Achtzehn. Gegen 16.00 laut meiner Aussage ging Schneidermann, und ich nahm an, wie ich der Polizei mitteilte, gegen allen Rat, den ich in den Wind geschlagen hatte, zum Pissen (Schneidermann, er hatte einen Krieg in seinem Harntrakt, oft erleichterte er sich einfach in seinen halbvollen Limobecher, und dann musste ich ihn daran erinnern, nicht daraus zu trinken, seinen Loopingstrohhalm zusammenzukneifen, ihn herauszunehmen),

      oder vielleicht wollte er im Foyer herumjuden, wie er immer sagte, um noch mal was gratis zu kriegen, einen Nachschlag auf das Abgestandene,

      Popcorn wie Weißköpfchentumore,

      oder etwas Limo,

      non gassata, weil Schneidermann wie alle Juden Gas hasste, also nur medizinischen Zuckersaft, sirupartig dunkel und trocken wie Tokajer, sagte Schneidermann immer (Schneidermann, er war ein langjähriger Imbisskunde auf meine Kosten),

      und als Schneidermann mich verließ, ließ er dieses Buch zurück: sein liebstes (oder zweitliebstes),

      kostbarstes (zweitkostbarstes),

      jedenfalls hochgeschätztes Buch, ließ es in einer Jackentasche stecken, Schneidermann, er ließ nämlich auch seine Jacke zurück, also auch deren Taschen, und in einer davon fand ich Platos Phaidon im Original, womit ich Mühe habe und immer haben werde,

      kam nie mehr zurück,

      niemals, verschwand spurlos, verdünnisierte sich einfach, und weg war er, puff! niemand hat oder ich jedenfalls habe ihn nie wiedergesehen oder von ihm gehört, sein Zimmer – wenn man das so nennen konnte, es war ja eher der quadratische Rumpf einer Zwangsjacke – sah aus wie immer, unordentlich, havariert, von unbekannten Geheimdiensten schon gefilzt wie immer (Schneidermann, er behauptete nach Thriller-Matineefilmen oft, die NSA würde aktiv Pianisten rekrutieren, die sie nicht liquidieren wollten, solche, die sich nicht, wie er immer sagte, ans Programm hielten),

      und glauben Sie nicht, man hätte mich in die City gebracht, zur Befragung einmal quer durch die Stadt, denn das geschah nicht. Gegen die wie auch immer gemeinten Ratschläge meiner Anwälte und ihrer, meiner Ex- und weiterhin Frauen, meiner Söhne und sogar meines Anwaltssohns, meines Agenten und meines bewährten Foyer-Barkeepers im Grand, bin ich aus eigenem Antrieb hingegangen, um mit mir im Einklang zu sein – aber wissen Sie was, meine Herren, Sie, die Cops da draußen im Publikumsland, was Sie nicht gefragt haben? zu ermitteln versäumt haben? nie wissen wollten?

      Sie wollten nie wissen, welchen Film Schneidermann und ich da sahen, welche gottverdammte Zeitverschwendung von Matineefilm wir da schon zur Hälfte absolviert hatten, wovon wir fast die Mitte erreicht hatten – es ist ein langer Streifen, nimmt überhaupt kein Ende –, und Schneidermann, er könnte sich gesagt haben, dass er einfach genug davon hatte, auf jeden Fall hat er einfach beschlossen, das Lichtspielhaus zu verlassen.

      Unvorstellbar. Unglaublich. Ein Versehen, da bin ich sicher. Eine bedauerliche Idiotie. Ein Fehler, nicht wenigstens im Vertrauen zu fragen, um unsere Ästhetik zu schützen und jegliche Unschuld, die meinem Ruf etwa noch anhaften könnte, welche nachmittägliche Unterhaltung im tiefsten Winter – unter Schmerzmitteln, die ich jetzt immer nehme, unempfänglich für alle Leinwandgötterbotenstoffe,

      betäubt – welche abgedroschene nachmittägliche winterlichste Unterhaltung im tiefsten Winter um 15.00 an einem Wochentag begann, an welchem, hab ich vergessen, aber das steht alles im Bericht, den der Detective Anfang des Monats, Anfang Dezember 2002 angefertigt hat, vielleicht am vierten oder fünften Tag von Chanukka? könnte ein Donnerstag gewesen sein, oder ein Mittwoch,

      jedenfalls der bedauerlichste, peinlichste, dämlichste, sinnloseste Wochentag für Matineefilme – fast drei Wochen ist das jetzt her, in einem Kino, das nach dem passionierten Theaterbesucher, unserem Präsidenten Abraham Lincoln, benannt war, oben an der West 68th Street, das ist ein Loew’s aus der Loew-Dynastie, der anglisierten Löw-Kette, amerikanisiert wie jetzt alles und ohne Umlaut,

      und für Schneidermann war früher Schluss, als er nach einer Stunde und achtzehn Minuten ging, fast drei Wochen ist das jetzt her, und Sie wissen noch immer nicht und werden auch nie wissen, ob ich mir das alles aus den Fingern sauge oder nicht,

      nur improvisiere,

      erfinde,

      interpretiere,

      meinen Willen aufzwinge, aber der Film war jedenfalls ein Film über den Holocaust, ja, das war ein Holocaustfilm,

      und für diejenigen unter

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