Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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tatsächlich könnte das Schneidermann umgebracht haben, falls er überhaupt tot ist: das Zehnjahresvirus dieser Musik, wenn nicht aller Matineefilmmusik, die Schneidermann, er fand sie lächerlich, alle gleichermaßen lächerlich, (natürlich) unendlich viel schlechter als seine eigenen verbissenen, ernsten und dabei auch genialen Versuche, und es waren wahrhaftig Anstrengungen, die er in seinem Tintenfleck von Zimmer unternahm und aus dem Tintenfleck seiner Erinnerungen, mutterseelenallein – er komponierte oder rekomponierte die Musik eines Matineefilms, den Schneidermann, er, wir hatten ihn gerade erst am Nachmittag auf der Leinwand gesehen, o Gott, das machte er laufend! orchestrierte oder reorchestrierte sie, ob nun auf Papier (Milchproduktverpackungen, Eindollarscheine, Pornoheftabonnementpostkarten)

      oder im Kopf, am endlosen Ende wahrscheinlich Aberhunderte von Matineefilmen, und vielleicht ist Schneidermann aus diesem Matineefilm, diesem letzten Matineefilm also rausgegangen (aber wohin?),

      um einer Idee nachzugehen, die sich ihm plötzlich aufgedrängt hatte, inspiriert vom oder als Reaktion auf den Soundtrack (aber wie?),

      denn Schneidermann, immer wenn wir aus einem Matineefilm egal welchen Genres herauskamen, er überhörte von Anfang an meine zugegebenermaßen oft durchgeknallten, hyperkritischen, nörgeligen Äußerungen zu Plot, Dialogen, Schauspielkunst, Kulissen und so weiter und so fort, und stattdessen diskutierte oder besser dozierte er über die Musik des Matineefilms, fast immer beschränkte er sich auf die Musik des Matineefilms, zergliederte sie, summte sie, sang sie mit seiner Schepperstimme (das Zwerchfell hatte man ihm anscheinend an den Nasensteg verpflanzt),

      demonstrierte auf einer Klaviatur, die unsichtbar einen Schritt vor seinem Humpeln in der Luft von Midtown schwebte, wie er bestimmte, wenn auch wertlose Passagen neu harmonisieren würde,

      und Gott im Himmel! Schneidermann ist nun nicht mehr da, um das zu machen, ist hinterher ab etwa 18.00 nicht mehr da, wenn der Matineefilm uns entlässt und er zu meiner Verblüffung die Musik von diesem und für diesen letzten Matineefilm überarbeitet, dem letzten Matineefilm, den auch ich besucht habe, und dem letzten Matineefilm, den ich je zu besuchen gedenke (ich bleib zu Hause und bestell mir die Filme, ich bin jetzt ein Mensch des neuen Jahrtausends),

      und so obliegt es mir, o Gott, jetzt bin ich dafür verantwortlich, mich um diese Musik zu kümmern, die Musik dieses Amerikaners Williams für diesen jüdischsten Film von SPIELBERG (den Schneidermann, er sprach den Namen immer deutsch aus),

      diese Musik für SCHINDLERS LISTE,

      ab jetzt ist es mein Los, mein Zuständigkeitsbereich, zu erläutern, zu analysieren, zu interpretieren,

      aber erwarten Sie jetzt keine Schenkerismen (Heinrich Schenker, dem wollte Schneidermann von seinem reservierten Tisch im Berliner Café Canard mal einen Stift gestohlen haben),

      nein, ich werde sie nicht vorspielen, ich werde nur darüber reden, sie durchleuchten, sie einer fairen und ausgewogenen Kritik unterziehen,

      einer logisch begründeten Einschätzung, wie es so schön heißt – wie im Film, wo wir diese, sagen wir, GEISTERNDEN, nur UMRISSENEN Geigenfiguren haben, Figurationen, diese schmalzig überzogenen Linienführungen, ein Fachbegriff:

      SOL – auch der Name meines Schneiders, dem ich das alles ebenfalls zu erklären versucht habe –,

      dass sie den Film im realen, also Nachkriegs- und nachsozialistischen Polen, das sich in den Westen integrieren wollte, gedreht haben, aber im Film,

      da ist das das Kriegseuropa: Musikmäßig wird Webern bald von einem amerikanischen G.I. erschossen, jwd in diesem Kaff Mittersill, von Webern zu Ihnen, während Schönberg, sein Lehrer, draußen in Beverly Hills im schönen Kalifornien, Tennis spielt, mit Strawinsky auf einem eigens erbauten Tennisplatz im damals größten Martiniglas der Welt außerhalb der Poconos spielt, Alban Berg – der Dritte im Bunde der Wiener Dreifaltigkeit –, na, der ist schon tot, Mahler, ihrer aller Ahnherr, ist schon seit ewigen Zeiten tot und begraben, Schönberg, er UMRISS (ein historischer Begriff,

      kritischer Fachausdruck),

      SKiZZIERTE so gut in seinen Bildern,

      genau, er malte auch, der Mann, er diente so vielen Herren wie sich selbst – Mahlers Grab ein tiefes Zeitloch à la Celan, durch das wir in einen Regentag der deutschen Welt 1911 zurückfallen, an dem Alma (Mädchenname Schindler, nicht verwandt) hinter dem Grabstein wahrscheinlich einen Priester der zweiten Garnitur fellierte, während all seine Schüler trauerten (die Schüler trauern immer am meisten), Schönberg Mahler noch Geld schuldete, und ob bei der Beerdigung wohl irgendwer eine Jarmulke getragen hat? ein Kaddisch gesprochen hat? und Alma Mahler, geb. Schindler, seine Frau, die immer noch mit allem schläft, was zwei Beine hat und sich Künstler schimpft, ist endlich frei, die Unannehmlichkeiten des Nationalsozialismus hinter sich zu lassen, nach Los Angeles zu emigrieren und aber

      passen Sie auf, es ist ganz einfach:

      Schönberg oder die Holocaustmusik für diesen Holocaustfilm, Webern oder die Musik für SCHINDLER, Berg oder die Musik für SCHINDLER, Mahler oder die Musik für SCHINDLER, Strawinsky oder die Musik für SCHINDLER – das ist ja nur gerecht, denn sie alle spielen nach derselben Partitur, sie alle arbeiten mit demselben Material, weil es anders einfach zu komisch wäre.

      Passen Sie auf, es ist ganz einfach:

      Webern und die Musik für den Film mit dem Alien in Form eines Penis,

      Strawinsky und die Musik für den Film mit dem Tyrannosaurus Rex, der zwar grausam grimmig ist, mit seinen Ärmchen aber trotzdem wie ein Homosexueller aussieht,

      Mahler und die Musik für den Film mit dem Hai, den man nie richtig zu sehen bekommt, weil er ständig unter Wasser ist,

      dieses Da da, Da da, Da da, verstehen Sie? Der Hai nähert sich dem Schmock! Schneidermann, er konnte nur krähen beim ersten Sehen,

      aber es gibt nichts, was ein schneller Schnitt nicht lösen, was nicht dem vorigen Bild zum Opfer fallen, auf dem Boden vom Schneideraum eines Films landen könnte, der nie gedreht wird (außer Sie könnten sich für die Finanzierung erwärmen, Mr. Rothstein),

      eine Verfilmung von Schneidermanns Leben, nennen Sie ihn doch einfach SCHNEIDERMANNS LEBEN, wir schreiben zusammen ein Treatment, und ich versuche, uns SPIELBERG zu sichern – die letzte Stunde plus achtzehn Minuten des Films müsste die ersten achtundsiebzig Minuten des letzten Films enthalten, den Schneidermann je gesehen hat, wenn Sie, Mr. Rothstein da draußen, also so großzügig wären, Geld für die Rechte auszugeben, können wir gleich mit der PR-Kampagne loslegen,

      müssen nur noch die Kissen auf der Besetzungscouch aufschütteln und uns von den Talenten verführen lassen:

      wenn die Musik also fast nicht zu verstehen ist (und bewusst so komponiert worden sein könnte), was ist dann erst mit dem Mann?

      ein Igel im Fuchspelz, um seine Feinde zu verbabeln, das wollte Schneidermann sein, aber ihm fehlte das nötige Kleingeld,

      ein Trojaner in Amerika, aber nicht im Sinne dieser Annoncen für hochwertige Verhütungsmittel, fügte Schneidermann immer hinzu,

      Schneidermann, so schwer einzuordnen wie Zeus: war er sowohl Chthonios als auch Olympios? der die Namen wechselte wie Schneidermann die Hemdkragen? obwohl auch er die Namen wechselte: erst Schneidermann und später dann hier drüben in der unterheizten Wohnung, die Schneidermann seine flat nannte,

      das ich irgendwann in diesem Leben noch ausräumen muss, Schneiderman, zumindest wird er bei der Polizei meistens so buchstabiert:

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