Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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du am Ende ja was aus dir, du weißt schon, verdienst all die Anerkennung und erntest die Zustimmung, die einer überambitionierten Jugend gebührt, die nur zur Reife gelangt, wenn du lange genug lebst, aus ihr herauswachsen kannst, zu Beschämung und Bedauern vordringst, und dann, weißt du, erst dann wirst du es erkennen,

      als ich mich ihm beispielsweise vorstellte, Schneidermann, noch in Budapest am Konservatorium, als ich da zum ersten Mal und ohne Anklopfen sein spartanisches Atelier betrat und meine Geige aus ihrem Sargkoffer nahm, als ich da zum ersten Mal und ohne irgendeine Einleitung, die, wie mir schon damals klar war, bei einem Genie wie Schneidermann auch völlig überflüssig gewesen wäre, meine Geige auf die vier Töne stimmte, die ich immer im Kopf hatte, G, D, A und E, und ihm ein damals populäres Wunderkind-/Virtuosenstück vorspielte, das so viele Obertöne hatte, dass es fast schon Papst Gregors Nachtigallen unter Helium nachahmte,

      das ich wahrscheinlich nicht und schon gar nicht für ihn, Schneidermann, hätte spielen sollen, und dann auch noch bei meinem ersten und einzigen Vorspielen, aber ich hab’s halt gemacht, wenn auch nur auf Anraten meines – falschen, wahren – Vaters,

      begleitet nur vom Basso ostinato meines Ehrgeizes.

      Ich war jung. Mehr wusste ich nicht.

      Schneidermann zu mir: Du bist wertlos, nur so ein Ghettoanwärter mit Technik und verbissenen Eltern (ich übersetze halb aus dem Deutschen und halb aus dem Jiddischen, in das Schneidermann versehentlich ausrutschte).

      Schneidermann zu mir: Deine Technik ist unglaublich, und ebenbürtig ist ihr nur die Tiefe des Ausdrucks, die in deinem Alter kaum je anzutreffen ist. In kaum einem Alter. Jemals.

      Schneidermann zu mir: Gib die Geige auf und ergreif einen anständigen Beruf.

      Schneidermann zu mir: Du bist der größte Geiger, den ich seit Szigeti gehört habe,

      da können Sie Ihren Lieblingsvirtuosen einfügen,

      Schneidermann zu mir: das größte Potenzial, das mir je untergekommen ist, das Größte, was ich je gehört habe, schon geschliffen, vollendet, bereit zu Walhalla-Ruhm, und Sie können mir glauben, dass diese Meinungen (die einzige Meinung) meine Lebensrettung wurden,

      Sie können mir glauben, dass diese Meinungen mein Tod waren,

      diese täglich und stündlich geäußerten Meinungen, nach Takten bearbeitet, nach Noten bearbeitet, nach dem Bogenstrich, diese Meinungen wurden in vollkommener Umkehrung einer Meinung hinzugefügt oder von ihr abgezogen, in einer Harmonie absoluter Gegenteile, nur durch ein Zupfen an einem Ohr mit langem Läppchen,

      ein Zupfen an einem beliebigen ananasläppigen Ohr,

      einem beliebigen Ohr und selbst einem von mir, während Schneidermann, er begleitete mich auf einem todesröchelnden Flügel, spielte mit Münze auf dem Handgelenk, wie um mich nachzuäffen, und dann spielte ich mit Buch unterm Arm in einen Spiegel, damit meine musikalischen Schwächen (denn ich hatte deutlich weniger technische Schwächen, aber egal), alle meine musikalischen Schwächen und deren hatte ich viele in jenen Tagen, aber egal, ihre Million konnte sich widerspiegeln und in nacktem, schonungslosem Wohlwollen widerhallen, durch Haltungsmängel und unbeholfene Ellenbogenwinkel, zu locker oder zu verspannt, notgeil-pubertär-verspannt, in zu mechanischem moto perpetuo, zu expressionistisch, gefühlsbetont, von der Verführung verführt, unbeleckt von oder allzu beschäftigt mit der Phrase als kleinstem Gebilde musikalischen Denkens, Phrasenabhängigkeit, unfähig, in einem Kontext zu interpretieren, der außerhalb meines sturen Ehrgeizes lag, unfähig, mich auf jegliche Einfälle zu verlassen, die mir nicht mein eigenes Ego nahegelegt hatte, und obwohl ich sicher bin, dass ich großartig klang, schon damals auf EUROPÄISCHEM, also INTERNATIONALEM Niveau, schon vollkommen für den Rest der Welt, war Schneidermann der Einzige, der wusste, der lauschte, der hörte – schließlich begriff ich, dass er der Einzige war, der das je tun würde, der das überhaupt konnte bei unseren dreimal wöchentlich stattfindenden Privatstunden in dem düster-spartanischen Atelier im verrottenden Konservatorium der verfallenden Hauptstadt eines toten Landes in der mittelosen Mitte der europäischen Leere.

      Da ich ein Frühaufsteher war,

      war ich immer Schneidermanns Liebling,

      im Konservatorium hatte ich keine Freunde,

      Musik war mein Leben.

      Aber der Tod meines Potenzials als Mensch. Als humanem Wesen.

      Frieda traf ich immer im grünsten Park, mein Zeit-management hatte für mich immer größte Bedeutung. Ich hatte immer ein Gabelbein in der Tasche, Mozarts Musik verursacht bekanntlich keinen Durchfall, wie mein Vermieter mir einmal erklärte, als er die Rohrleitungen erneuern ließ, derweil Frieda, sie war schon durchnässt, wartete und spannte mich ein, ihr bei der Suche nach ihrem Regenschirm zu helfen.

      Da ich jeden Morgen früh aufwachte, jedenfalls vor Ziggi,

      übte ich,

      fuhr am Nachmittag zur Stunde bei Schneidermann ins Konservatorium,

      dann zum Üben ins Zimmer zurück,

      dann zu Schneidermanns Haus zur Fortsetzung des Unterrichts.

      Leben.

      Schneidermann zu mir: Es wäre mir eine Ehre, dich zu unterrichten.

      Schneidermann zu mir: Lieber lass ich mir eine Geigensaite um den Penis binden und das andere Ende an die Türklinke des Ateliers, und dann bitte ich dich höflich, zu gehen und die Tür hinter dir zuzuknallen.

      Lieber lass ich mir eine Geigensaite um den Penis binden

      und das andere Ende an den Kronleuchter an der Decke,

      stell mich auf den Flügel aus Eis

      und warte darauf, dass der Sommer mir das Geschlecht abreißt.

      Schneidermann zu mir: Hast du den Direktor gefragt, ob du mein Schüler werden kannst?

      Schneidermann zu mir: Die Akademie, sie hat mir seit einem Monat kein Gehalt gezahlt.

      Schneidermann, er war mein erster Lehrer. Schneidermann, er war mein einziger Lehrer. Schneidermann, sein erster Lehrer hieß ebenfalls Schneidermann, zufälligerweise sein Vater, ein bis zu seinem Tode unbekannter Pianist und danach erst recht, und Schneidermann der Jüngere wurde von der Kompositionslehre und den neun Schwestern seines Vaters adoptiert, den neun – kümmerlichen, bürgerlichen – musikalischen Tanten, die ihn ab dem fünften Lebensjahr aufzogen,

      ab dem siebten Lebensjahr,

      ab dem zehnten,

      dem zwölften,

      auch Musen und, ja,

      ja, ich unterstelle Inzest nicht von Krafft-Ebings idealisierter Art, sondern schmutzige, schmutzige, schmutzige Ursprünge dieses Mystagogen (eines seiner Lieblingswörter, Schneidermann, er verbrachte viel Zeit über dem M im Webster’s: Matrizid, Millionär, Moderne),

      dieser kunstvolle Mann, dessen Kunst nie versiegte,

      dieser synoptische Mann und seine synoptische Kunstreligion: eine Art Gesamtkunstwerk des Lebens mit großem deutschem L angesichts aller Widerstände, versuchtem Genozid, Armut, die ganze heimatlos-Nummer – wie bist du heute Abend denn drauf, Fremdzüngiger?

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