Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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die Buchstaben, den Namen, denn weniger ein Mann oder ein man?

      Kapriziös wie Mozart war Schneidermann, ein Komponist, den er hasste, weil jeder ihn liebt oder jedenfalls liebte, Herrgott noch mal! selbst musikalische Vollidioten haben von ihm gehört – Mozart, ein Komponist, der für Schneidermann ein billiger Abklatsch des Schöpfers war. Aber einem Freund muss man seine Überempfindlichkeiten vergeben, oder nicht? erst recht einem Freund, der nach den frühen Toden seines Vaters am Herzen und seiner Mutter in den Wehen von seinen neun musikalischen Tanten großgezogen worden war.

      Frauen, die seine eigentlichen Ausbilderinnen waren, ich erklärte der Polizei, dass Schneidermann, er hatte Beethovens Haare. In meiner Beschreibung – vielleicht zu detailliert und für die Behörden daher wertlos – konstatierte ich, dass Schneidermann, er hatte Sinais Nase. Schneidermann, er hatte Asiens Auge, wie ich dem Phantombildzeichner erklärte (alle zwei Milliarden, aber keines davon wollte oder will etwas kommen gesehen haben). Schneidermann, er hatte Mozarts Drüsen (Ohren). Schneidermann, er hatte Amerikas Lippen, aber – und dieses Paradox müssen wir erwarten – sie hatten die Absicht, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen,

      genau wie ich, als ich dem Detective sagte, Schneidermann, er sei mal mit dem türkischen Botschafter verwechselt worden (ich weiß bloß nicht, ob die Dienstmarke mir geglaubt hat), er sei mal irrtümlich für einen Freier gehalten worden, als er sich bei einer Prostituierten nach dem Weg zu einem neuen Multiplex in der Nähe der 10th Avenue erkundigt hatte, während Schneidermann, er irrte sich nie,

      ich ließ sie alles über Schneidermanns Zahn und Schneidermanns Ohr in ihren Bericht aufnehmen,

      ging nach Hause, heutzutage, wo die Situation mit der Ehefrau ist, wie sie ist, also in mein Hotel, das war am Donnerstag, glaube ich, oder am Freitag, jedenfalls am Tag darauf gegen 15.00, nein, es war 16.00, setzte mich auf die durchhängenden Lederriemen der Kofferablage und dachte nach, versuchte mich an alles zu erinnern, was mir unten auf der vernebelten Polizeiwache entgangen sein mochte:

      an Schneidermanns Hosentaschen und die Löcher in Schneidermanns Hosentaschen, deretwegen ich ihn immer aufgezogen hatte.

      An das, was Schneidermann durch die Löcher in den Hosentaschen fiel. An die Finder dessen, was Schneidermann durch die Löcher in den Hosentaschen gefallen war. An die Geliebten der Finder dessen, was Schneidermann durch die Löcher in den Hosentaschen gefallen war:

      beispielsweise ein colaverätzter Zahn,

      eine burgundergrottige Clipkrawatte mit blauen Firmenstreifen, einen Ohrschnecken-Ohrclip,

      ein Postkartendruck von Man Rays Le Violon d’Ingres von 1924,

      die ausgeschnittene Kontaktanzeige eines Transvestiten/Transsexuellen namens Ingres (erotische Rollenspiele, keine Tabus),

      eine Scherzartikeluhr, stehengeblieben, tot, Gehäuse gesprungen, ohne Sekunden- und Minutenzeiger,

      der Rückerstattungsgutschein eines Kasinos über zehn Dollar für eine Busfahrkarte mit dem Greyhound von Port Authority Gate paarundsiebzig nach Atlantic City,

      ein Busfahrplan der Pendelbusse mit vollgepissten Gängen von Port Authority über die Schnellstraßen zu den Kasinos in Atlantic City (Glücksspiele, Schneidermann, er sagte das immer, böten die größtmögliche menschliche Annäherung an künstlerisches Schaffen, sagte Schneidermann, der liebend gern Geld verspielte, das ihm nicht gehörte),

      ich habe jetzt übrigens alle seine Listen in meinen Hosentaschen,

      irgendwo,

      hier,

WASGEWICHTWIE
Tomatenzwei_____ 0,99
KäsePackung_____ 1,75
BrotLaib (ein Tag alt)_____ 0,99
ZigarettenPäckchen_____ zu viel
markenlose Colazwei Liter_____ 0,79
Whiskeygenug_____ vergiss es
Papier500 Blatt_____ 7,99
Tinte57 ml_____ 6,99
Pornografie110 Seiten_____ 5,99

      einen Einkaufszettel für eine Woche – hab vergessen, bei der Polizei auszusagen, dass Schneidermann, er buchstabierte seinen Namen in privaten Autogrammen, in Autogrammen, mit denen er bei mir oft sein Mittagessen bezahlte, da buchstabierte er Schneidermann in den meisten Fällen

      $chneidermann, d. h. er ersetzte das S durch ein Dollarzeichen (wozu Schneidermann übrigens immer Thaler sagte, nach der ältesten Münzprägeanstalt des Westens in Joachimsthal, wo),

NEW YORKNY –––––––––– 12:00 a.m.
ATL CITY CAS NJ–––––––––– 02.31 a.m.
NEW YORKNY –––––––––– 01:00 a.m.
ATL CITY CAS NJ–––––––––– 03.31 a.m.
NEW YORKNY –––––––––– 02:00 a.m.
ATL CITY CAS NJ–––––––––– 04.31 a.m.
NEW YORKNY –––––––––– 03:00 a.m.
ATL CITY CAS NJ–––––––––– 05.31 a.m.
NEW YORKNY –––––––––– 04:00 a.m.
ATL CITY CAS NJ–––––––––– 06.31 a.m.
NEW YORKNY –––––––––– 05:00 a.m.
ATL CITY CAS NJ–––––––––– 07.31 a.m.
NEW YORKNY –––––––––– 06:00 a.m. und so weiter und so fort

      oder,

      und,

      wie eine Scherbe, das zerschlagene Scheibchen einer alten Langspielplatte (irgendein Sänger and the Imperials schlitzten das Innenfutter einer Hosentasche auf),

      Johnny Walker and the Imperials,

      Lil’ Jimmy and the Beamers schlitzten das Innenfutter der Taschen seiner ziemlich groß aussehenden Jacke auf, die Schneidermann im an sein Gebäude angrenzenden Müllcontainergässchen gefunden und erlöst hatte, ohne sie aber zu waschen, eine Jacke, in der er, um genau zu sein, fünf Taschen hatte, und in einer davon steckte eine aus einer landesweit verkauften – und aus meiner Toilette im Grand gemopsten – Zeitschrift ausgeschnittene Liste, die die Namen und die Minderjährigkeit von achtundsechzig bekannten und nachgewiesenen Suiziden auflistete,

      achtundsechzig Teenager, die das Leben eines Rockstars bis zum bitteren Ende nachgeahmt hatten: ein Schuss mit der Schrotflinte in die Schläfe nach einer dreifach tödlichen Dosis extrem reinen Heroins, und manche Leute versuchen immer noch nachzuweisen, dass es Mord war, und vielleicht war es das auch, aber wenn, spielt das überhaupt eine Rolle?, denn der anfängliche Grund – das erklärte Schneidermann mir immer wieder, darauf beharrte Schneidermann –, denn die anfängliche Ursache, sagte Schneidermann immer und tippte sich mit der ergrauten Zungen- an die Nasenspitze, ist weniger wichtig, hat nicht die praktische Bedeutung der dadurch ausgelösten Wirkung,

      denn Gott ist nicht so wichtig wie dein Mitmensch, und – um der skelettartigen Idee ein bisschen Fleisch auf die Knochen zu schippen – die Geschichte ist nicht so wichtig wie die Gegenwart, die sie zerstört:

      denn der I. Satz dieses vergangenen 20. Jahrhunderts ist so wenig anzuhören wie zu spielen, der I. Satz dieses vergangenen 20. Jahrhunderts sollte von seinem Komponisten nicht mal eine eigene Opuszahl erhalten, und wir alle wissen ja nur zu gut, wer

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