Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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von meinen Frauen, den Kreischerinnen da draußen im Publikum, die mit meinem Mythos warm wurden, aber statt ihn zu erneuern, zu revidieren oder zu revisionieren, waren sie einfach seine Mitläuferinnen und zwar auf Stöckelschuhen durch die Citys, gaben ihm einfach neues Leben und Einfluss, dabei kennen Sie sie erst, wenn Sie mich missverstehen:

      dass dieses Konzert und seine wahre Kadenz sich weniger um die Kunst als um mich drehen, darum geht es weniger als um mich, was letztlich vielleicht die sogenannte Charakterschwäche der Musik, ihrer Aufführung und ihres Solisten ist, die sogenannte klassische »Charakterschwäche« (griechisch hamartia laut Aristoteles laut Schneidermann, in der Thora wird sie als Sünde übersetzt) in aller Musik, die ich spiele, dass ich wichtiger bin als Sie (mein Gott, das ist ja so romantisch!) – glauben Sie, ich zahle, um mir zuzuhören? glauben Sie, ich spiele für Sie und nicht für mich? glauben Sie, bei dieser Kadenz, dieser falschen Kadenz, ginge es darum, mich reinzuwaschen? darum, etwas an Sie weiterzureichen? um ein Vermächtnis?

      diese Kadenz ist in eine größere Kadenz eingeschachtelt und diese wiederum in eine noch größere und so weiter (Schneidermann, er liebte die Gnostiker), und auch der ungeliebte Schneidermann ist nur ein Schnörkel – trotzdem würden Sie mich noch kennen,

      würden noch abgetrennt von meinem Stiel meinen Kopf kennen, der beinamenduftend in der Mitte treibt und immer noch singt,

      würden noch meine Stimme erkennen, wenn Sie bloß zuhören würden, aber stattdessen reden Sie, schimpfen, tratschen, planen Zukünfte und Glück (wo gehen wir zum Dessert hin, wen heiraten wir),

      geben Geschwätz von sich in seinen ungeahntesten, vielleicht aber auch seinen geahntesten Formen: Weitschwatz, Nahschwatz, Nasenschwatz, Beiseite- oder Side-Schwatz (Upper-Eastside-Schwatz, Upper-Westside-Schwatz),

      Kleinschwatz, Großschwatz, Dasschwatz, Diesschwatz,

      Überschwatz, Unterschwatz

      nter Schwatz, xSchwatz,

      Schwatzen bis zur Apokalypse, eine Lippenmeute, ein Massenkiebitzen, Lärmumlaufbahnen um meinen Kopfplaneten:

      Sie diskutieren ständig gewichtige Angelegenheiten (glauben Sie)!

      machen Geschäfte von Schöpfungsausmaßen, Gaunereien von biblischer Größe (hoffen Sie)!

      lassen berühmte Namen fallen, heben sie wieder auf, stauben sie ab, schicken sie dem Absender zurück, Einladungen zum Abendessen werden von einem Nieser oder einem Husten übertönt, Verlobungen werden gefeiert, gelöst und wieder bekannt gegeben, wie in Weltreichen werden Ränke gesponnen und so lässig wie möglich wieder aufgespleißt, nicht wahr, Mr. Rothstein?

      Ihre Frau sortiert wie alle Ehefrauen die Onyx-Innereien Ihrer Handtasche, und Sie,

      falls Sie nicht alle längst beim Empfang trinken, aber langsam, ritardando:

      Sie erhalten schon noch Ihre Chance zur Gegenrede, zum Überkreuzverhör, wenn ich durch und tot bin.

      Weil ich Schneidermann kannte. Weil ich Schneidermanns Schüler war. Weil ich mit Schneidermann gelebt habe. Weil ich ohne Schneidermann gelebt habe. Weil ich seine Pflanzen gegossen habe, wenn er Konzerte gab. Weil ich seine Sprossen gegossen habe (die Töchter, tot in Birkenau), wenn er Konzerte gab und Vorträge hielt.

      Mit wem reden Sie da, Chief? Ihr Megafon braucht kein Mensch!

      Nein, seien Sie doch vernünftig! Weil ich seine Frau gegossen habe (tot in Birkenau) und seine Töchter (tot in Birkenau), wenn er Konzerte gab, Vorträge hielt, unterrichtete und, nein!

      Ich werde nicht von meinem Berg herabkommen, bevor ich meine Tafeln erhalten habe! Und weil ich seine Frau und seine Töchter gegossen habe und manchmal alle zusammen, wie ich zugeben muss,

      und gleichzeitig war Schneidermann fort und gab Konzerte, hielt Vorträge, unterrichtete und dirigierte: so praktizierte ich, was die junge Russin, mit der ich seit einiger Zeit Umgang pflege

      (ein Ausnahmetalent, feurig, technisch unausgereift, ungeschliffen, heiß und wild, Körper knabenhaft oben und gewölbt unten, Schenkel aus dem 19. Jahrhundert, das rote Haar mit eingefärbten dunklen Strähnen, aber sie ist atemberaubend, wenn die Trägerchen ihres altmodischen Konzertkleids in einer schnellen Passage herabgleiten und ihre schweißfeuchten Nippel entblößen), was diese junge Emigrantin, die ich bei unseren wöchentlichen Privatsitzungen ebenfalls gieße, mein Praktizisieren nennt,

      ja, ich habe meine Medikamente genommen, meine Pillen, ja, ich habe daran gedacht, und nein, die Diagnose hat absolut nichts damit zu tun! Da hab ich mir aber Besseres von Ihnen versprochen, Doc Alan! Kommen Sie!

      und der Rest von Ihnen kann ruhig weiter am Kalb herumschmelzen, jetzt, wo ich so durcheinander bin, wie meine Medikamente es nicht waren, wo war ich stehengeblieben?

      es geht darum, dass ich wusste, dass ich Schneidermann nie verstehen würde, aber gleichzeitig und genauso gut wusste, dass man Schneidermann nur dann verstand, wenn man ihn nicht verstand.

      Enigma. Freundschaft. Schuld waren drei Wörter, die Schneidermann in einen Spiralblock gekritzelt hatte, als er am 2. April 1954 ein Wörterbuch las, weil Schneidermann, er wollte die Sprache lernen.

      Emigrant. SIEHE Immigrant. Erster Mai 5714.

      Zugegeben, ich sollte Schneidermann nie zur Gänze kennenlernen, aber ich erkannte, dass ein partielles Nichtkennen Schneidermanns an sich ein absolutes, totales und umfassendes Kennen Schneidermanns war, und das wollte ich Ihnen erklären (nicht ganz einfach),

      denn seine Meinung wurde bald darauf meine, sollte bald darauf meine werden, bewusst oder eher nicht: wenn er beispielsweise Hochachtung vor Soundso hatte (seinen Klang mochte, seinen Anschlag, seine ganze Einstellung zur Musik),

      dann hatte auch ich Hochachtung vor Soundso, auch wenn ich ihn zuvor anders eingeschätzt hatte, und wenn ich Hochachtung vor Soundso hatte (meinetwegen seiner Interpretation meiner Interpretation wegen),

      dann hielt Schneidermann auf der Stelle nichts mehr von Soundso, ungeachtet meiner Proteste, die in der Regel nur eine meinen ursprünglichen Absichten diametral entgegengesetzte Wirkung hatten (wenn ich ihn etwa zu Soundsos Solosonate umstimmen wollte, für die der mein Vorbild gefleddert hatte),

      und ich Schneidermann nur einladen wollte, ihm die Möglichkeit einräumen wollte, Soundso, den armen, armen, armen Soundso,

      ich zum Beispiel revidierte meine Meinung oft grundlegend, um Schneidermanns zu revidieren, dabei merkte er das natürlich und verhielt sich genauso oder passte seine entsprechend an,

      damit ich oder er selbst einen Rückzieher machen konnte, einen x-beliebigen Sowieso niedriger einschätzen konnte als am Anfang, ihn gering achten oder sogar verachten konnte bis zu dem ganz offenkundig naheliegenden Punkt, an dem Schneidermann Soundsos absolute Bedeutungslosigkeit plötzlich als reine – vorsätzliche – Genialität betrachten konnte, ungeachtet oder unbeschadet etwaiger früherer Einschätzungen, die nur gegolten hatten, um irgendwann geduldig gekippt werden zu können,

      ins diametral Entgegengesetzte, absolute Gegenteil umgewandelt werden zu können – aber so ist die Kunst, wie, sagen wir, in meinem Fall,

      im Fall meiner Kindheit, weniger eine richtige Kindheit als eine Wunderkindheit, die nur durch Verheißungen eines anhaltenderen, höheren Ruhms zu retten war:

      etwa so: Hier, Junge, spiel die Geige hier, und vielleicht wirst du es

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