Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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rhetorisch? weil alles, was der Solist tut, de facto aus Rhetorik besteht – oder wie einer meiner Anwälte immer sagt,

      in Tat und Wahrheit, was ich nie ganz verstanden habe – alles ist heutzutage Rhetorik,

      nicht Rhetorik als eine der schönen Künste,

      wie Plato das sah,

      als wesentlicher Bestandteil, als Ausgangsmaterial jeder guten, um nicht zu sagen allumfassenden Bildung, sondern im Sinne – im sinnlosen Sinne – der Quertreiber, der Zwischen- und Spottrufe, die einige von Ihnen jetzt absondern, die Krach schlagen, ohne erst zuzuhören, wie ich Schneidermann zurückzustehlen, ihn aus der Nekrologorrhö und ihrer Marktschreierei für die Kunst zurückzugewinnen trachte, Ihnen, die ungestüm Krach schlagen, ohne erst zuzuhören, als müssten Sie Ihre Existenz beweisen, als würde die nicht schon dadurch bewiesen, dass ich mich hier an Sie wende! also machen Sie nur! tun Sie sich keinen Zwang an!

      Guten Abend, Herr Vorsitzender dieses Forums eines baldigen Fiaskos. Nehmen Sie Platz. Die Sitzplätze gehören ja alle Ihnen. Wir werden noch ein Weilchen hier sein.

      Und wenn Sie schon dabei sind, könnte genauso gut jemand in eine nahegelegene Schenke gehen und bei José oder Manuel – oder María, falls die grad da ist? – ein paar überreife, von Migranten gepflückte Trenton-frische Tomaten besorgen. Wenn Sie die Konzertkarten nur für sich und Ihre liebe Mutter besorgt haben (oder gehört die schon zu den verschiedenen Verschiedenen?), wer außer ihr (oder denen mit derselben Ausrede wie sie, einer – sechzig Millionen starken – Minderheit anzugehören), wie viele von Ihnen wissen, was Sie hören, wenn Sie lauschen? wissen, was Sie gehört haben? und äußern Ihre Reaktion, wägen Ihr Urteil ab, ohne dass es Ihnen vorher einer sagt? wählen wir also jemanden – sind Demokratien nicht toll? außer in der Kunst –, der dann einen anderen beauftragt, das vergammelte Gemüse zu holen, und selbst wenn dann keiner damit wirft, geht das in Ordnung, denn ich bin sicher, mindestens eine meiner Frauen kocht eine gute Suppe.

      Anfängliche Missverständnisse, Unverständnisse beim ersten Hören sind okay. Gehen in Ordnung. Sind zulässig. Zu erwarten. Ignoranz aber nicht.

      Auch ich selbst bin zwar ab dem dritten Lebensjahr ausgebildet worden, war aber sprachlos, als Schneidermann mir das hier, nein, nicht das hier, sondern sein Konzert vorspielte, und zwar aus dem Klavierauszug, in dem nichts herausgezogen wurde, am ersten Tag Harmonielehre an der Budapester Musikakademie – eine seltsame Disziplin, dieses Studium der Harmonie, und noch seltsamer, es am ersten Tag dieses ersten Studiums mit dieser Komposition zu beginnen, aber so war Schneidermann, das war sein Genie, das war sein Totalbedürfnis nach totaler Aufmerksamkeit, nach Bestätigung, seine Methode war seltsamer sogar als dies, als sein Violinkonzert, das Schneidermann, er erklärte es, diese Komposition, in deren Wiedergabe wir pausieren, folgendermaßen, während er den Raum durchmaß,

      denn Schneidermann, er schritt voran wie ein ungeschickter Versuch, eine Saite zu stimmen: angespannt, nervös vibrierend und erst nach und nach, nach stundenlangen körperlichen wie geistigen Exerzitien, wurde er etwas lockerer, erschlaffte täglich einem Nickerchen um 17.00 entgegen, verlor seine Tonlage, und von der Musik kam er auf das Bauchgefühl zu sprechen, seine Därme,

      meine Darmen, so sprach Schneidermann das immer aus, wenn er es Helmholtz erklärte, Hermann, dem Akustikforscher aus Bonn und Berlin, der außerdem glaubte, Helmholtz glaubte, das Leben wäre von Meteoriten weit entfernter Sterne auf die Erde gebracht worden, oder zumindest Schneidermann zufolge, der mein Lehrer nicht nur in Sachen Musik war, sondern weit mehr, auch in der Kunst, der niedrigsten Disziplin der Geschichte, der höchsten Disziplin der Philosophie (Metaphysik),

      im Leben,

      Helmholtz starb ja 1894, Mahler ist auch tot, Schlesinger dito, der aber als Bruno Walter starb, denn wie kann man mit einem jüdischen Namen auf einen guten Tod hoffen?, fragte Schneidermann oft niemanden und erst recht nicht sich selbst, mit einer jüdischen Schaufel in jüdischer Erde graben ist schön und gut, auch ein jüdischer Grabstein mit einem Juden drunter und namenlosen jüdischen Bäumen drüber ist verständlich, aber ein jüdischer Name auf dem Stein? das ist vielleicht denn doch zu viel verlangt, könnte zu klar ersichtlich sein, zu unverblümt, ein Schlag in zu viele Gesichter, sagte Schneidermann oft beim Kaffee und noch mehr Kaffee und noch mehr Kaffee und noch mehr Kaffee

      (egal wo Schneidermann und ich vor und nach unseren Matineefilmvorstellungen hingingen, Hauptsache es gab kostenloses Nachfüllen, KAFFEETASSEN OHNE BODEN) – Bernstein mit seiner goldenen Stimme ist hinüber, und, na ja, Schneidermann vielleicht auch, ja, vielleicht ist er tot, tot wie all die anderen, wie all die anderen Juden, vielleicht noch toter, vergessen, mein echter Vater, der mein Schneidermann sein wollte, ist vor langer Zeit verstorben, und ich bin es auch bald. Und aus Darm, Katzendarm, hat man Geigensaiten gemacht, falls Sie das nicht wussten oder vergessen haben – dafür sind Katzen da, fragen Sie meinen Freund, den Zeitungsredakteur Katz, der davon zehn Stück von der Straße hat, und dann wird die Zähmung einer Violine in ihren frühen Stadien natürlich oft als Katzenmusik bezeichnet,

      und welcher Notenschmierer hat sich noch gleich von einem Miezekätzchen, das über seine Cembalotastatur lief, zu einer Fuge inspirieren lassen? Schneidermann, er hat’s mir mal erzählt, aber ich hab’s vergessen, er hat mir immer Sachen erzählt, die ich dann vergessen habe, wer war das beispielsweise noch mal, der seinen Vogelbauer mit Noten auskleidete? auch Frau Haydn? die war ja auch dermaßen religiös, dass sie,

      oder ein Katzenklo mit Partituren von wem, Herrn Baryton? ja, Schneidermann, der wüsste das, der hätte das gewusst, der wusste immer alles, aber ich? Ich hatte nie Haustiere, und das hat den einfachen Grund, dass sie blöd sind, noch blöder als Menschen, als die Leute, aber Schneidermann, er hielt Spinnen in einem Marmeladenglas (wie Spinoza, eine intellektuelle Anmaßung), Spinnen, die er auf Leben und Tod gegeneinander kämpfen ließ, und einmal – aber bei ihm wusste man nie, ob er etwas ernst meinte, einen zum Narren hielt oder einfach alt wurde –, einmal jedenfalls erzählte Schneidermann mir, als wir zusammen aus der hierzulande nachmittags stattfindenden Matinee eines schlicht gestrickten Animationsfilms kamen, er sagte, er hätte kein Problem damit, eine Katze zu haben (Bastet, die ägyptische Göttin Bastet), er würde eine Katze zu sich nach Hause (in seine Wohnung, sein Zimmer) einladen, kein Problem, aber nur, wenn er Miete verlangen könnte, eine Mietzahlung wäre die einzige Bedingung für das Wohnrecht der Katze, und dann fragte er mich, eine wie hohe Miete er einer Katze wohl abverlangen könne, wie viel würde eine Katze meiner Meinung nach wohl zahlen für ein mit Manuskripten vollgestopftes Eckchen und Schneidermanns von Herzen kommende Gastfreundschaft? aber ich wollte ja nicht vierbeinige Lieblinge, sondern Schneidermann erklären (obwohl ich in einem gewissen Sinn ja auch Schneidermanns Liebling bin),

      aber wenn ich Ihnen Schneidermann erklären soll, müsste ich Ihnen als Erstes sein Werk erklären, müsste Ihnen diese Komposition erklären, dieses Stück, in dem wir eine Pause gemacht haben, meine wilde Zäsur in seinem Konzert, aber Schneidermann, er war natürlich alles andere als ein erklärter Mann, sträubte sich gegen Erläuterungen, hatte nichts Programmatisches an sich, oder sein Programm war so lang wie unverständlich: Mann und Werk und Werk und Mann, kommt aufs Gleiche raus, ist ein und dasselbe, untrennbar,

      sie klammern sich aneinander fest,

      beide retten einander,

      Interimsflüchtlinge quasi, die beide vor dem Terror der völkischen Inquisition flohen

      (aber kann das an Grabesohren dringen über dieses Tal des

      Gähnens hinweg?), nein, schicken Sie keine Antworten ein, mir egal, was Sie glauben,

      wenn das überhaupt ginge und dann auf diese Entfernung – bestenfalls ist das alles doch ein in ein Enigma gehülltes und von einem krummen Fragezeichen stranguliertes Mysterium.

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