Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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Sie sich eigentlich selber zusammenreimen: der Baron schläft in seinem Bett mit der Ziege, und weil wir es mit der deutschen Moderne kurz vor dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben (um nicht zu sagen verdrängtes Weimar oder gar ein österreichisch-ungarisches Überbleibsel), ergibt sich eine Übertragung von weit mehr als nur Temperament zwischen Baron und Ziege – gespielt von dem Juden Hans irgendwas mit K, der auch den Rabbi gespielt hat –, und durch allmähliche subtile und für damalige Verhältnisse fast übernatürliche Beleuchtungseffekte sowie natürlich einige musikalische Holzhammerandeutungen (jedem Pläsierchen sein Tierchen) kommt es zu einem kompletten Existenztausch: der Baron wird die Ziege, und die Ziege wird der Baron, der ehemalige Baron, die Ziege, begibt sich in die Obhut des armen Knechts oder Stalljungen zurück, der die Baronin heiratet, nachdem die ehemalige Ziege, der jetzige Baron, sie abserviert hat, der jetzt wieder, ähem, mehr als volle Leistung bringt und diese Leistungsträgerschaft mit einem großen spritzenmäßigen Finale aufnimmt, einem sämtliche Finale in den Schatten stellenden Finale, das sämtliche Zensoren zum Herzinfarkt treibt, einem vollen Publikumserfolg, einer über einen ganzen Akt sich erstreckenden Szene intensiver und zügelloser Unzucht:

      okay, also Schneidermann, er hasste das Libretto auch noch nach seinen eigenen, hastigen Überarbeitungen im Anschluss an den ersten Durchlauf in Berlin, aber er verdiente sich dumm und dämlich daran, und die Oper ist zigmal so intelligent wie die Zauberflöte mit ihrem ganzen Freimaurermeschuggas – einem von Schneidermanns Lieblingsausdrücken,

      oder Der Rosenkavalier, mal ehrlich, die Musik von diesem Großnazi Richard Strauss, der als Wiedergutmachung und um am Lebensende über die Runden zu kommen am Kriegsende hingeht und den Inbegriff der Selbstbeschränkung komponiert, sein spätes Oboenkonzert für John de Lancie, einen amerikanischen G.I. vom Chicago Philadelphia Orchestra, der damals in Strauss’ Villa in Garmisch-Partenkirchen einquartiert worden war und, aber egal, nach fast achtzig, ständig von schockierten Zwischenrufen gestörten Aufführungen, die Schneidermann höchstpersönlich inszeniert und dirigiert hatte, fiel für Die Ziege der letzte Vorhang, und sie machte ihren Komponisten ganz schön berühmt oder sagt man berüchtigt, verschaffte ihm einen Namen, und das ist ja letztlich das Einzige, was zählt, hat mit Integrität nichts zu tun, da die Partitur angeblich – laut Schneidermann von belanglosen Musikwissenschaftlern des Letzten Reichs – zerstört wurde, glücklicherweise jedenfalls im Krieg verloren ging,

      laut Schneidermann zur Zeit dessen, was geschehen war,

      wenn man den ganzen Text wegließ, war die Musik hervorragend, weiß ich noch von seinem Vorspielen und -singen, er näselte mir in meinem mindestens herzoglichen Penthouse im Grand aus dem Gedächtnis Fetzen daraus vor,

      oder wenigstens Schneidermann, er erzählte einmal: lass die Wörter weg, und die Musik spricht in eigener Sache, spricht viel mehr zu ihrer Zeit, reicht viel tiefer als zum Beispiel der Rosenkavalier – Uraufführung 1911 in Dresden, einer Stadt, die sinnlos in dreißig Silberscherben zerbrechen sollte, kurz nachdem die Alte Welt 1914 oder 1918 gestorben war, können Sie sich aussuchen, jedenfalls mit dem Krieg, und die einzige Oper, die zum Vorschein kam, die dem klaffenden Anus mundi entkam, sagen wir subito durch die Speiseröhre, war danach von Puccini, falls Sie das noch nicht wussten, nie erraten hätten, Signore Giacomos Rückfall von 1924 in die von ihm nie vollbrachte Jahrhundertwende, das Sahnetörtchen Turandot mit seiner dreirätseligen asiatischen Eisprinzessin wie welche Exfrau?,

      mit Ping, Pang und Pong, die in Peking im Trio den Verismus praktizieren, ein Werk, das für ein Publikum wie Sie ein Nessun dorma so ziemlich garantieren würde,

      ein ewiger Dauerbrenner, der wahrscheinlich heute Abend gegeben wird, jetzt gerade und nur eine kurze U-Bahn-, Taxi- oder Mietdroschkenfahrt entfernt in der Uptown, so erfolgreich wie 1926 nach der verspäteten Uraufführung, als der Schüler des Komponisten, den Nachnamen hab ich vergessen, Schneidermann, er hätte ihn gewusst, die Oper vollendet hatte (wenn Sie jetzt gehen, können Sie es noch rechtzeitig schaffen),

      das einzige Werk im Idiom jenes Idioten, das nach ANBRUCH (in Großbuchstaben) der MODERNE (in riesigen Lettern) das – fehlende – Interesse der Massen fesselte,

      aber in unserer Version, unserer Bearbeitung, könnten wir sagen, dass der gebundene Baron, der jetzt eine angeleinte Ziege ist, unfreiwillig Zeuge wird, wie sein Exknecht seine Exfrau nagelt bis zum Stillstand der Pupillen, während er zu den fleckigen Elfenbeintasten nur wie verrückt seine Arien blökt, oder dass der Knecht die Ziege, also den Exbaron, es seiner Exfrau besorgen lässt oder das jedenfalls versuchen lässt, während er, der Knecht, beiden mit einer verrosteten Mistgabel, die bestimmt nur ein Requisit ist, in allen Löchern herumstochert:

      das war mein Vorschlag für eine Aktualisierung, für eine Ziege, Version 2.0, eine Wiederbelebung, eine Neuproduktion der Oper, aber Schneidermann war nun mal Schneidermann, und Schneidermann, er sagte Nein, Nein und nochmals Nein, weigerte sich zuzuhören, konnte nicht, Schneidermann, er konnte mit Beiträgen anderer nicht umgehen, bedauerte sogar, die Oper überhaupt komponiert zu haben, seine erste, einzige und letzte Oper, verleugnete sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit, genauer gesagt, Schneidermann, er sprach nie über sie, mochte das jedenfalls nie, vermied jede Erwähnung, ehrlich, oder er vergaß sie ganz und gar, behauptete das jedenfalls und versuchte es auch wirklich (bei amerikanischem Whiskey, amerikanischen Matineefilmen, bei amerikanischem Whiskey zu amerikanischen Matineefilmen), stritt ab, überhaupt von ihrer Existenz zu wissen, mit jeder erdenklichen Methode oder auch ganz unmethodisch, durch Ignoranz oder andere Ablenkungsmanöver, er schrieb sie einem anderen Schneidermann zu, einem ähnlich jungen Shootingstar, dessen Potenzial vom Krieg glücklicherweise erfüllt wurde oder eben nicht, dem Zweiten Weltkrieg: durch Tod im Osten, in einer Version in Buchenwald bei experimentellen Immunisierungsversuchen, in einer anderen durch Kältetod in Dachau,

      Schneidermann zu mir: mein Vetter,

      Schneidermann zu mir: kein Verwandter,

      Schneidermann zu mir: in Wirklichkeit hieß nur der Librettist Schneidermann, und das war natürlich ein Pseudonym,

      aber als Pseudonym vielleicht nicht ganz so todlangweilig wie Larry Lee beziehungsweise Lawrence Lee – der amerikanische Künstlername meines kommunistischen Konzertmeisters, der gerade nach rechts abgeht.

      Herrgott! einem Asiaten kann man einfach nicht trauen – die sind alle so teuflisch, undurchschaubar und so, wie heißt das noch gleich?

      friedfertig! Nun gut, Wang Lee, das kannst du halten wie ein Dachdecker, du Stehgeiger! du hast keinen Geschmack, kein Ohr und kein Fingerspitzengefühl, nie und nimmer findest du wieder einen Job in dieser Stadt, die vom jüngsten Wintereinbruch ganz nass ist.

      Ich habe vergessen, dass wir ja schon fast Weihnachten haben. Auch wenn die meisten von Ihnen hier im Saal das nicht feiern. Ein frohes Frohes also Ihnen und den Ihren.

      Denn ich war doch der Lehrer all dieser Leute, der ganzen asiatischen Pings, Pangs und Pongs. Die glauben, sie können spielen, dabei können sie gar nichts. Die denken an Musik und spielen Mathe. Nicht Puccini. Und schon gar nicht Schneidermann. Aber wenn ich als Asiat auf die Welt gekommen wäre, wäre das Leben so viel einfacher gewesen.

      Ihr Routineaffen! die Hälfte der Streicher besteht aus Asiaten, die den musikalischen Juden die knappen Stellen in der Musik wegnehmen! Ihr habt Einsteins Bombe verdient! Ihr habt doch null Ahnung, was Ekstase ist! Woran glaubt ihr eigentlich?

      Ich persönlich glaube an den Tod. Das liegt aber daran, dass ich etwas aus meinem Leben machen sollte, dass ich das Geburtsrecht wahrer Größe habe,

      nämlich die Aufgabe, die Welt zu vertreten,

      das auserwählte Volk, das den Völkern das Licht bringt, und den Rest kennen Sie ja:

      bis zuletzt mit gutem Beispiel

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