Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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Alleingang das Mehrspur-Aufnahmeverfahren erfand, als nämlich Charles, der für mich immer Chuck Munch war, zusammen mit dem Boston Symphony Orchestra interessanterweise ausgerechnet Berlioz’ riesige Damnation de Faust einspielte,

      die Ingenieure von RCA nahmen die Aufführung sowohl mono als auch auf Zweispurtonbändern auf – das waren die ersten Vorstöße in die WORLD OF STEREO, den Stereo-Sound, den heute jeder Hinz und Kunz bis in die Badezimmer installiert hat, so dass das monaurale Hören der Vergangenheit angehört, im Klo runtergespült worden ist und man alle Nuancen von Heifetz erfasst (hat ja keinen Sinn, den Namen ewig zu verschweigen),

      Piatigorsky, Reiner, ja, Munch, Rubinstein, Fiedler und so weiter, all diese Europäer in Amerika, alle sind davon ausgegangen, die Hausbeschallungstechnik

      (oder auf gut Deutsch Home Sound Technology) würde irgendwann und zwar schon bald aufholen, und ein Jahr später hatte sie aufgeholt, im Jahr Glenn Goulds, 1955, in dem endlich die ersten Stereo-Tonbandgeräte mit Viertelzollbändern und einer Bandgeschwindigkeit von 7,5 ips auf den Markt kamen, und damit verfügte die breite Öffentlichkeit, jeder, der willens und in der Lage war, die Kohle rüberwachsen zu lassen, über ein Stereogerät mit einer Spur für jedes Ohr, dann bald drei und mehr, und bis heute immer mehr und mehr und mehr,

      letzten Monat, da war ich zum Beispiel mal im Studio, und jetzt gibt man nur noch einen Sound ein und dann gibt man den nächsten ein, man zeichnet Note für Note auf, alles mit diesen grauen Computerblasen, und instrumentale Kunstfertigkeit ist gar nicht mehr gefragt (das stückeln wir dann in der Postproduktion zusammen),

      wird sogar gemieden, jedenfalls von denen, die ihr Vermögen und ihre Unfähigkeit schützen müssen.

      Machen Sie sich bitte klar, dass wir Schneidermann zufolge nicht mehr qualifiziert sind, Risiken einzugehen. Machen Sie sich bitte klar, dass wir Schneidermann zufolge keine Papiere mehr dabeihaben, die uns berechtigen, Fehler zu machen. Machen Sie sich bitte klar, dass es kein Verständnis mehr dafür gibt, dass wir als Musiker Fugen zu improvisieren pflegten: im Rahmen strengster Disziplin so frei wie möglich improvisieren, wie Schneidermann, er sagte das oft, Regeln dürften nicht gebrochen, sondern müssten reflektiert werden (Schneidermann, er begehrte mehr als alles andere eine verspiegelte Panoramasonnenbrille, wie wir sie mal in einem Rettungsmissions-Matineefilm gesehen hatten; als ich mal in L.A. war, hab ich ihm eine gekauft, aber Schneidermann, er hat sie nie getragen,

      hat gesagt, ich hätte die falsche gekauft) – und dann gehen die los und verwenden Popmusik in E-Musik und E-Musik in Popmusik, pfropfen Sprösslinge so lange auf andere Pflanzen, bis alle Bestimmungen laut Schneidermann ihre Bedeutung verlieren, der immer zuhörte, die Ohren weit offen hielt, und auch ihre Orchestrierung der Geschichte klingt nach nichts mehr, also wenn Sie dann an Verdi denken und wie viele Menschen sich bei dessen Beerdigung sehen ließen (Abertausende laut Schneidermann!),

      wenn man bedenkt, dass Verdis Musik dann die Lieblingsmusik aller Drehorgelspieler und ihrer Äffchen von Mailand bis Paris wurde,

      Affengutans und Schimprillas, ein ganzer Chor von denen bekreischte und bebrüllte unter sich wie verrückt die Bedrängnis aller Kreatur, durch rosigstes bespeicheltes Zahnfleisch, diskursivierte die Schwierigkeit wo nicht platterdings Unmöglichkeit ethischer Kommunikation, moralische Kolloquien ganz oben in Uptown im Zoo der Bronx: das war letztes Jahr während des bestialisch spätsommerlichen Überfalls auf den Frühherbst, so in der Zeit zwischen jüdischem Neujahr und Jom Kippur, als Schneidermann mich bat, sein von Armut erzwungenes Fasten zu brechen und ihm Zuckerwatte zu kaufen, und dann schob Schneidermann mir – während er sich vorbeugte und sein Zahnfleisch im gesponnenen Naschwerk versenkte – hinter seinem Rücken, als wären wir in einem Spionage-Matineefilm oder bei einer Spartakiade, einen klammen, flechtenbewachsenen Papierstoß zu, ein Manuskript, das ich, wie ich dachte, nur festhalten sollte, während Schneidermann sündigte, aber das war seine Art der Weitergabe, das war sein Geschenk, seine Komposition für mich, als wäre sie für mich geschrieben oder endlich vollendet oder noch nicht vollendet, wie sie war und wie sie ist, und auch noch gewidmet: das war tatsächlich das Manuskript dieses Violinkonzerts,

      von dem wir bisher erst einen Satz gespielt haben,

      und wenn Sie wissen wollen, wie der nächste Satz beginnt, wie der zweite und allerletzte Satz von Schneidermanns letztem Meisterwerk, seinem bedauerlicherweise ersten und einzigen Violinkonzert, das nimmermehr beginnen wird, beginnt, dann werde ich es Ihnen verraten: mit drei Tönen,

      dam dam dam, wenn Sie mir meine summende Lippentaubheit nachsehen,

      nam nam nam, das singe ich nachts dem Steinauge meiner Großbildglotze entgegen, die drei Tonstufen werden hoch und süß ins schwirrende Summen der Stummheit gesungen, und die drei Noten bilden fürwahr einen Dur-Dreiklang, mit der der letzte und ultimative Satz dieses großen nichttonalen – um den Begriff atonal nicht zu missbrauchen – Werks anhebt, und die Noten sind G,

      E – eine Sexte hoch und ein

      C zur Auflösung in der Mitte: ein arpeggierter C-Dur-Akkord in zweiter Umkehrung, wenn Sie wollen, wenn die Theorie der Musik die von Ihnen bevorzugte Marke der Banalität ist, wenn wir da draußen im Publikum heute Abend Schenkerianer sitzen haben, und alles von der Oboe intoniert,

      nicht auf dem Xylophon wie die NBC-Titelmelodie, haben Sie nicht gesagt – das war nämlich die NBC-Titelmelodie!, wie ich im Zoo zu Schneidermann gesagt habe, während ich vor den Pinguinen in den Noten blätterte, das sind dieselben Töne!, aber Schneidermann, er antwortete nur mit diesem amerikanischen Mafioso-Akzent, den er sich in den Filmen abgeguckt hatte und zu dem er oft Zuflucht nahm, wenn er sauer auf mich war, Schneidermann, er antwortete also:

      Mamma mia, ich nix kennen MBC (Schneidermann, er war immer halb schicklich, alteuropäischer Immigrant, und halb aus den Matineefilmen, von daher wusste man nie, was war jetzt Ironie und was senile Weltfremdheit und was gar nichts).

      Das kannst du nicht nehmen!, sagte ich im Aquarium, jeder kennt das!, hallte es nach, und selbst ein prähistorischer Ichthys stimmte zu. Das ist die alte Titelmelodie von NBC zum Sendeschluss, sagte ich, wobei die heute eh nichts Anständiges mehr senden.

      Schneidermann zu mir: Aber das ist ein Dreiklang, ein Dur-Dreiklang in zweiter Umkehrung, Quinte, Terz, Tonika. Findest du bei jedem x-beliebigen Bach öfter, als du in deinem Leben Luft geholt hast.

      Aber das ist die NBC-Titelmelodie!, beharrte ich auf dem ganzen Weg zum Reptilienhaus. Meine Zunge eine Schlangengabel, um seinen schlanken Stolz zu fressen. Das sind die drei berühmten Glockenschläge, sagte ich: Sie hören (in meiner besten Ansagerstimme à la General Sarnoff oder Paul Whiteman)

      die National Broadcasting Company, DONG DONG DONG.

      Die Leute werden lachen (und ich lachte wie der asthmatische Affe, der ich bin).

      Schneidermann zu mir: Aber sie sollen nicht (lachen).

      Nimm das nicht! Das kannst du nicht! Das ist sowieso urheberrechtlich geschützt, Patent was weiß ich, eingetragenes Warenzeichen, intellektuelles/musikalisches Eigentum der Nationalen Broadcasting-Kumpanei von unbegrenzter Dauer. Die verklagen dich! Das gehört denen!

      In den Zwanzigern zählte der NBC-Ansager am Ende einer Sendung die Sendezeichen aller NBC-Stationen auf, die die Sendung ausgestrahlt hatten (was ich damals nicht wusste, hätte aber auch nichts genützt, Schneidermann, er gab nichts auf Geschichte), aber mit immer mehr angeschlossenen Sendeanstalten wurde das irgendwann unpraktisch, sorgte für Verwirrung, wann das Netzwerk-Programm denn nun eigentlich vorbei war und wann die Sendepause, die sollte auf die volle Stunde fallen oder eine halbe Stunde, und dann wurde ein Koordinierungssignal erfunden, wie mir dann später irgendwann ein prominenter Musikwissenschaftler in Basel erklärte,

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