Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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stiehlt sich fort in die eigene Definition, wird nach einigem Nachdenken verinnerlicht und nach innen gerichtet, aber in meiner eigenen Sprache, meiner ersten Sprache, deren Wörter ich als Junge lernte, in meinen weißen Matrosenanzug aus Alpakawolle gehüllt, lautet das Wort:

      Rätsel, was fast ein Anagramm zu meinem Namen bildet, des Nachnamens Lästerer, also Spötter, den ich zu Laster geändert habe, also Untugend, anglisiert und später amerikanisiert wie alle Dinge und ohne Umlaut – den Einwanderungsbehörden, ROTHSTEIN Management sowie meinen Konzertveranstaltern sei Dank – mit dem Präfix Gottes- wird ein Gotteslästerer daraus, ein Blasphemist oder Gottfopper, und um diesem Namen alle Ehre oder Unehre zu machen, lästere ich durch meine Musik, zu Laster eingebürgert bin ich lasterhaft die ganze Nacht, fragen Sie mich morgen noch mal, und ich werde dasselbe antworten wie all den Zeitungen und Zeitschriften, die nach meinen Anrufen zurückriefen und Nachrichten hinterließen, weil ich immer den Antwortbeanrufer rangehen lasse, das machen hier in der City ja alle so, riefen immer wieder zurück,

      wollten wissen,

      nicht verstehen, sondern nur wissen,

      die Fakten festhalten, wie eine Redakteurin sagte, als ließen Fakten sich jemals festhalten, ja wie denn?

      Geboren in Buda oder in Pest – wo genau, kann ich mir nie merken – am Neujahrstag 1910, wurde Schneidermann.

      Schneidermann zu mir: am 11. November 1911, was mir zu spät vorkommt, im ungarischen Kisvárda.

      Schneidermann zu mir: am Neujahrstag 1906 in Böhmen, der späteren Tschechoslowakei, aber als Kind ungarischer Eltern (deren Name dort Šnajdrman geschrieben worden wäre).

      Schneidermann zu mir: 1902! im rumänischen Máramaros-sziget, als Kind ungarischer Eltern.

      Schneidermann zu mir: 1904 in der heutigen Ukraine, als Kind ungarischer Eltern (wenn es ein anderes Wort gab, sagte Schneidermann nie JÜDISCH).

      Schneidermann zu mir: Ungwar, Weihnachten 1909.

      Schneidermann zu mir: am fraglichen Tag in Košice.

      Ein haarloser Mann, der sich nie rasieren musste, obwohl er behauptete, er rasiere sich dreimal am Tag,

      ein kahler Mann wie Pan mit knochigem Schädel und höckriger Stirn, die Amerikaner an einen Dinosaurier erinnern könnte, Juden an einen Propheten wie Jeremia oder Moses und die die Europäer – falls noch welche übrig sind – einst als un double front bezeichneten.

      Ein kahler Knochen von Mann, der es sich zur Gewohnheit machte, eine auf der Straße gefundene Damenperücke zu tragen,

      das Müllcontainertauchen, sagte Schneidermann oft, sollte als olympische Disziplin anerkannt werden,

      Schneidermann, er dachte immer an die Griechen,

      ein Mann, der einst beim Spazierengehen und weil er immer Schuhe trug, die ihm zu groß und zu weit waren, weswegen sie ihm immer von den Füßen fielen, in Midtown von einer Schlange in die Ferse von welchem Fuß weiß ich nicht mehr gebissen wurde. Die Schlangensorte weiß ich auch nicht mehr. Er überlebte.

      Schneidermann zu mir: ich kam in Miskolc zur Welt, aber wir wohnten in Nyíregyháza, in Debrecen, in Békéscsaba, in Orosháza – unterbrechen Sie mich, wenn ich mich ereifere, ich dachte immer, die Vergangenheit wäre vergangen, und wer will sich da schon dran erinnern? habe ich immer gedacht,

      wenn man als Musiker geboren wird, wird man der Welt geboren, wie Schneidermann, er sagte das immer.

      Schneidermann zu mir: wir hatten kein Geld.

      Schneidermann zu mir: wir waren arm.

      Schneidermann zu mir: nach dem Tod meines Vaters.

      Schneidermann zu mir: meine erste Komposition,

      mein Opus I,

      offen gestanden, betrachte ich es nicht als

      Teil meines Werks,

      also meine allererste Komposition wurde

      für vier Stimmen geschrieben, SATB, ein Choral – ich war vier Jahre alt, ich war fünf, Schneidermann, ein anderes Mal sagte er, er wäre drei gewesen – zu einem Text meiner Mutter,

      seine Mutter, sie starb bei der Geburt,

      Zwillinge,

      ein Rudy und ein Schneidermann waren sie,

      zu einem Text von Goethe,

      zu einem Text von mir, in meinem äußerst primitiven Hebräisch, das ich bei einem abtrünnigen Melamed gelernt hatte, der:

      Gar manches Herz verschwebt (Bass und Tenor im Kanon) im Allgemeinen (Alt), Doch (Sopran) widmet sich das edelste dem Einen, und Schneidermann der Eine, er erzählte mir das mal während dreier meiner Mentholzigaretten gegen einen seiner dreizehnfachgefilterten Kaffees, ich sang den Eunuchensopran, sein Vater den Alt, die eine Tante den Tenor und eine andere den Bass, und bei der Welt-, wenn nicht intergalaktischen Universumspremiere, Schneidermann er dirigierte sie vom Klavier aus, verbleute und vertrimmte, klimperdrosch mit den Unterarmen drauflos, verdoppelte sie auf dem alten Pianino, dem asthmatischen, schimmelfleckigen Spinett, das sie hatten, bis Schneidermann zwölf wurde, und die Tanten, sie schenkten ihm den Flügel, opferten ihr ganzes Vermögen seiner Kunst, und mehr als das hat auch Schneidermann sich schließlich nie abverlangt – er opferte seine Gesundheit (für ihn war das ein Tag der Asiatischen Grippe, zu einer Zeit, als ein Tag mit Asiatischer Grippe bereits der letzte sein konnte), um mir aus dem Gedächtnis diese seine allererste Komposition vorzuspielen, denn die Partitur war im Krieg verloren gegangen, den Schneidermann oft mit den Worten

      was geschah oder

      das was geschehen war umschrieb – das war vor sechs, sieben Jahren unten in meiner alten Wohnung in Midtown (Westside; nie wieder zieh ich auf die Eastside), jetzt die einer Exfrau, genauer gesagt eines angeheirateten Ehemanns, als wir, Schneidermann und ich, zusammen probten und ich aus irgendeinem Grund begriff, dass dies eine weitere Sonate für Geige und Klavier war, die Schneidermann nie vollenden sollte, und nachdem er meinen zweiten Einsatz bei Takt 94 unterbrochen hatte, um mir dieses Jugendwerk vorzuspielen (die Melodien besaßen eine gewisse Verwandtschaft),

      mein Opus –1, mein prähumes Opus, wenn man so will, wenn man es so nennen soll, sagte Schneidermann:

      dann erschieß mich doch! ich war eben jung!

      und um mit dem Trauma fertigzuwerden,

      dem was geschah, dem

      was geschehen war,

      mit ansehen zu müssen, wie meine damalige Frau vor meinem Auge totgeschlagen wurde (Polen, 1944), es wäre verrückt, dies seinen reifen Werken an die Seite zu stellen, dieses Werk – eine Fingerübung – neben den späten großen Meisterwerken gelten zu lassen, die ihren Vorbildern gleichkamen oder sie gar übertrafen:

      etwa die drei berüchtigten Hammerschläge in Mahlers 6. Sinfonie von 1906: die gegen den Juden erzwungene Beendigung seiner Intendanz an der Hofoper in Wien, der Tod seiner vierjährigen Tochter Maria, die Diagnose seiner eigenen tödlichen Herzkrankheit durch einen gewissen Doktor Marianus – ist noch einer im Haus? mal die Nachwelt anpiepsen! alles umgestaltet, wiederbelebt, erneuert und reinkarniert in Schneidermanns

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