Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Solo für Schneidermann - Joshua Cohen страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

Скачать книгу

tilgen und Forderungen begleichen, also muss ich weitermachen, mit dem hier, muss weiter den Doktor Eisenbarth geben, herumquacksalbern, von Spielzeit zu Spielzeit tingeln, unweigerliche Mozart-Premieren, meinetwegen Beethoven-Dernièren und noch jede Menge Drumherum:

      Mozarts 5. Violinkonzert, ja, Beethovens einziges, klar, aber auch Brahms’, Bergs, Bartóks 1., sogar Busonis, wenn ich großzügig drauf bin, Schostakowitschs 2. und,

      ich muss es am Laufen halten, ein Perpetuum mobile bei der Wiederkehr der immer gleichen Tournee, der ewigen Tournee ins endlose Nichts und warum? siebzehnmal verpflichtet worden, Schostakowitschs 2. zu spielen, und in der nächsten Spielzeit schon wieder, von hier bis in den Konzertsaal von Lenins Heimatstadt, Schostakowitschs 2. Violinkonzert, das er ein Jahr zu früh für den sechzigsten Geburtstag des Virtuosen Dawid Oistrach komponiert hatte, doch bevor der Komponist den Fehler begehen konnte, seinem Freund und Interpreten zur Feier des Tages die Partitur zu überreichen, erkannte Schostakowitsch seinen Rechenfehler, ging nach Hause und schrieb seine so wundervolle wie verschrobene Sonate für Violine und Klavier, das eigenwillig dodekaphone op. 134, das ich ebenfalls spiele, das ich oft mit Schneidermann gespielt habe, aber nur privat, und Schneidermann, er,

      Schostakowitsch hat ja immer so schnell komponiert, obwohl er die Partitur der Sonate nun wiederum einen Monat zu spät für den wirklichen sechzigsten Geburtstag des Virtuosen im Jahr darauf vollendete: das seltsam tragische Jahr 1968, und ist das nicht echte künstlerische Geistesabwesenheit, ja? und von echter russischer Entropie im Stalinstil, nicht wahr? aber es ist auch fast total liebedienerisch: die Beziehung des Komponisten zum Interpreten, während meine

      Beziehung (ich mag das Wort nicht und misstraue ihm mehr als allen anderen) zu Schneidermann ganz anders war, geradezu gegenstrebig: ich diente ihm, der Interpret dem Komponisten, ich warb um ihn:

      ich bin Schneidermanns wahre Ehefrau, seine lieblich singende Tochter, die seine Weißwäsche auf meine längste Wäscheleine hängt,

      ist Ihnen nicht klar, dass ich Schneidermanns Erfüllungsäffchen bin?

      dass ich aushalten und aushalten muss, bis es aus ist? Ein Perpetuum mobile, ja, diese Passacaglia à la Schostakowitsch, dieses Perpetuum mobile bei der Wiederkehr der immer gleichen Tournee, ja, ich bin der ewig tourende wandernde Jude auf der Rückkehr ins endlose Nichts, und warum?

      Weil ich genau wie Sie Rechnungen bezahlen und Schulden tilgen muss, x Hypotheken bedienen, Alimente zahlen, mein ganzes Geld: millionenfach gestückelte Unterstützung von jetzigen und Exfrauen, die immer mehr Kleider mit Konfektionsgrößen XXXXXS brauchen,

      Kinder und sogar Enkelkinder, die stempeln gehen und vom Elterngeld abhängen: Kinder der ersten Frau, Kinder der zweiten Frau, Kinder der dritten Frau, ein ganzer Kinderchor aus so leeren wie hungrigen Mäulern

      doch calando! calando! calando!, wie Schneidermann zu sagen pflegte (für ihn lahmte ich immer zu schnell downtown) – calando, ja, im Musikitalienisch bedeutet das an Tonstärke und Tempo nachlassend

      es ist aber auch ein Anagramm von Doc Alan, meinem ärztlichen Erstkontakt, meinem Prostatataster mit Künstlerhänden, die gehören gegossen in Bronze oder Gips, können Sie sich aussuchen, aber achten Sie auf Ihr Budget, und nicht auf seine prachtvolle Uhr, aus der Schweiz, die seine Frau, aus Indien, ihm zum goldenen Geburtstag geschenkt hatte oder war’s die goldene Hochzeit? jedenfalls sein oder ihr gemeinsamer fünfzigster, damit er mir immer sagen kann, wenn meine Zeit abgelaufen ist, aber sagen Sie doch mal, Doc: sind Sie enttäuscht, dass ich meine berühmte Kadenz zugunsten dieses improvisierten Stücks hintangestellt habe, das zumindest die Mütter da draußen Kacki, Kaka, Dreck nennen würden (oder mit welchen sonstigen mütterlich bagatellischen Wörtern sie unseren Horror vor der unumgänglichen Eigenschaft, dem universellen Absoluten des Lebens beschwichtigen wollen, das da lautet: Scheiße)?

      come on, Doktor, come prima, come sopra, mir können Sie’s doch sagen: wie fühlen Sie sich angesichts dieser bald schon berüchtigten, bald zum Inbegriff des Wertlosen gewordenen Nichtaufführung – meine, nicht Schneidermanns –, wie sie gerade in diesen berühmten und abbruchreifen Saal gespien wird?

      denn die Hoffnung stirbt zuletzt, stimmt’s?

      diese zu Recht oder Unrecht berühmte und hochgeehrte Carnegie Hall, benannt nach einem Mann, der auf dem Weg nach oben sogar seine eigene Wohltätigkeit ausbeutete, dieses Konzerthaus, das einst auf den schmerzenden Rücken eingewanderter Atlasse, Eisenbahner und Stahlkocher erbaut wurde, die die Bundesregierung rein zufällig nicht einfach bei einem Streik abgeknallt hatte, als es mit dem Hippodrome zu Ende ging, ist heute nur noch mit mildtätigen Subventionen und Zuwendungen am Laufen zu erhalten, das Geld wird direkt aus den Gräbern gebuddelt – wie lange dauert das wohl noch, bis sie dichtgemacht wird? wie viele halbvolle Konzerte in diesem 1 000-Personen-Saal wird es noch geben? wie oft werden Sie Ihre Plätze im ersten Rang schon in der Pause verlassen, um ins Restaurant zu gehen (obwohl Sie den Tisch erst für eine Dreiviertelstunde später haben reservieren lassen)? wie lange noch, bis Sie einfach keine Schecks mehr schicken, weil Sie etwas gefunden haben, das man Ihnen als unterstützungsbedürftiger angepriesen hat? das als der letzte, ja der allerletzte Schrei vermarktet wird? wie viele Spielzeiten noch ohne Abonnement, mit einem auswendig aufsagbaren Repertoire, bis das alles schließlich und vielleicht sogar glücklicherweise mit Brettern vernagelt und zum Abriss freigegeben wird?

      wie die berühmten Aufnahmestudios von CBS in der 30th Street (hier spielte man – dort nahm man auf), die alte Barockkirche, oder eher schon dieser wundervolle nichtkonfessionelle Tempel aller großen Virtuosen einschließlich meiner Wenigkeit, wo für meine erste amerikanische Aufnahme von Mozarts Violinkonzerten 1955 die rote Lampe eingeschaltet wurde, im selben Jahr, in dem auch Glenn Gould in derselben Einrichtung erstmals Schallplatten aufnahm, und einmal dürfen Sie raten, wer die ganze Presse abkriegte; bevor das Studio 1981 an den Multi verkauft wurde, gab es letzte offizielle Aufnahmen und mit wem? was glauben Sie? aus zwar nicht klassischen, aber doch barocken Symmetriegründen war es abermals Glenn Gould, der selbst in seiner misanthropischen Abgeschiedenheit unvermeidliche, unumgängliche Glenn Gould, der unvermeidlicherweise BWV 988 aufnahm – Bachs Goldberg-Variationen –, zum zweiten Mal, eine Zugabe-Aufnahme, könnte man sagen, oder Wiederneuaufnahme, nachdem er schon 1955 im selben Studio dasselbe Werk aufgenommen hatte, jedenfalls war das die letzte behördlich zugelassene Aufnahme-Session in jenen heiligen Hallen, bevor diese in die Zukunft starben:

      und eine im Dunkeln leuchtende Disco wurden, der neuste Zeitgeist-Nightclub oder was weiß ich (ich komm da nie dran vorbei, weil ich in dieser Stadt nicht spazieren gehe),

      aber das ist okay, denn Glenn Gould zog sich wieder in seinen Schlupfwinkel zurück, kam mit heiler Haut wieder in Toronto an, hatte nie Probleme wie die meinen, weil Glenn Gould, er heiratete nie und ich schon, außer seiner Mutter gab es nie eine Mrs. Gould, aber es gibt wahrscheinlich hundert Millionen Mrs. Lasters (fragen Sie meine Anwälte; oder ihre),

      und wahrscheinlich sind sie heute Abend alle hier unter Ihnen! flüstern, tsissen, tratschen, vergleichen Schiedssprüche und Vergleiche, Herrgott, am Ende stillen die sich gegenseitig! ein ganzer Konzertsaal voller Exgattinnen und einer jetzigen, wahrscheinlich aber nicht mehr lange, Frau, und die Mrs. Lasters stellen alles Mögliche an, hören aber nicht zu,

      ihr habt mir nie zugehört,

      aber das ist nun auch fast fünfzig Jahre her, nach Norden am Haus einer Exfrau bei Danbury vorbei, nach ihrer zweiten Scheidung genauer gesagt jetzt der Immobilie meines Exnachfolgers, wenn man so will, jedenfalls da oben in Ives’ Walachei, dem ›Housatonic at Stockbridge‹, genau, außerhalb von Charles Ives’ Kaff da oben im nennen wir’s höflich ländlichen Connecticut, auf dem Weg nach Boston kommt man da dran vorbei, im alten klapprigen MERCEDES M-KLASSE bin ich da tausend und ein halbes Mal im Schlaf hochgefahren, um diese schnellen, straffen One-Night-Stands in der akustisch

Скачать книгу