Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes
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Christiansen schüttelte unwillig den Kopf. Für so etwas war jetzt nicht die Zeit. Die bevorstehende Konfrontation mit seinem unbotmäßigen Mieter beanspruchte seine volle Konzentration. Er klopfte noch einmal, horchte kurz, und als sich wieder nichts rührte, öffnete er die Küchentür.
Die Küche war menschenleer. Ansonsten sah sie genauso aus wie befürchtet: Umgeworfene Stühle, Scherben auf dem Boden, eklige Flecken, offenbar von Speiseresten und Rotwein. Batterien leerer Flaschen standen unter dem Fenster; in der Spüle türmte sich dreckiges Geschirr. Das ärgerte Christiansen. Hatte er diesem Jaschinsky und seinen Kumpanen nicht sogar die Küchenmöbel überlassen, kostenlos? Sah so der Dank dafür aus? Terveer hatte völlig recht, dieser Kerl und seine Mitbewohner mussten hier weg, unverzüglich, am besten heute noch.
Er durchquerte die Küche, wobei er sich Mühe gab, den schlimmsten Flecken auszuweichen. Eine seiner Sohlen klebte sowieso schon, da hatte sein Nachbar, der ihm nach wie vor auf den Fersen war, anscheinend recht gehabt. So langsam ging ihm dieser Rechthaber auf die Nerven. Jetzt würde er dem aber mal zeigen, dass ein Christiansen auch durchgreifen konnte.
»Herr Jaschinsky! He!«
Von dem winzigen Stück Flur hinter der Küche gingen gleich drei Durchgänge ab. Der Abstellraum links stand offen; aus den Augenwinkeln erkannte er ein Chaos aus Kartons und Plastikbeuteln. Geradeaus ging es in eines der Schlafzimmer. Mit Klopfen hielt sich der Vermieter nicht mehr auf. Er riss die Tür auf, stürmte hinein, drehte sich einmal um die eigene Achse, stellte sich auf die Zehenspitzen: niemand, auch in dem geräumigen Hochbett nicht. Aber es gab ja noch genügend weitere Zimmer.
Die dritte Tür führte ins Wohnzimmer, den prachtvollsten Raum der Wohnung, dessen sechs hohe Fenster gerade erst neu gestrichen worden waren. Das edle Parkett hatte Christiansen schleifen und ausbessern lassen. Wäre er doch bloß selber hier eingezogen! Der Himmel mochte wissen, was dieser Jaschinsky mit dem Parkett angestellt hatte.
Christiansen riss die Tür auf und stürmte hinein. Dann blieb er stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Terveer rannte ihm in die Hacken, aber der Vermieter stand wie angewurzelt.
Gleich links von der Tür hatte sich ein See auf dem Parkett ausgebreitet. Auf den ersten Blick wirkte er schwarz; nur an den Rändern, wo die Flüssigkeit tief in die Ritzen und die Maserung des Parketts eingesickert war, offenbarte sie ihre wahre Farbe. Rot.
Links von der Tür befand sich auch der Heizkörper, ein mächtiges gusseisernes Ding, dessen Holzverkleidung entfernt worden war. An dieser Heizung hing ein Mensch, ein toter Mensch, Hals und Oberkörper an die Heizungsrippen gefesselt. Die Arme waren ausgebreitet, die Beine ausgestreckt und gespreizt, die Füße nackt und mit blutigen Wunden übersät, ebenso wie die Hände. Christiansen nahm an, dass dieser Mensch Frederik Jaschinsky war. Sicher sagen konnte er es nicht, denn das Gesicht dieses Menschen sah aus wie … Ihm fehlte ein Vergleich, bis ihm die Platte mit den Gulaschbrocken in der Fleischtheke seines Supermarkts einfiel.
Der süßlich-metallische Geruch, der im Raum hing, wurde ihm bewusst. Jetzt wird mir sicher gleich übel, dachte er, und als sich der Brechreiz meldete, war er bereit und kämpfte ihn nieder. Schweiß perlte über seine Stirn.
Etwas streifte ihn an Rücken und Arm. Christiansen zuckte zusammen; fast wäre er zur Seite gesprungen, mitten hinein in den See aus Blut. Gerade noch rechtzeitig merkte er, dass das nur Terveer war, der besinnungslos vornüberkippte und hart auf dem Boden aufschlug.
Christiansen zückte sein Mobiltelefon und drückte 110. Was für eine Schweinerei, dachte er dabei. Den Parkettboden kriege ich bestimmt nie wieder hin.
8.
»Was ist das für eine Hose?«, fragte Stahnke. »Sieht ja albern aus. Was soll das sein?«
»Eine Trainingshose, wie man sie in Fitnessstudios trägt«, erwiderte Kramer. Mit einem Seitenblick auf seinen Vorgesetzten fügte er hinzu: »Solltest du eigentlich kennen.«
Unwillkürlich strich sich der Hauptkommissar über seine Bauchregion, die in den letzten Monaten deutlich flacher geworden war. »Wo ich trainiere, gibt es solch ein Schickimicki-Zeug nicht«, erwiderte er. »Guck dir das doch bloß an, schwarz mit goldenen Stickereien! Wo gibt’s denn so was.«
»Geht’s noch?« Dr. Mergner hatte mitgehört und baute sich vor den beiden Kriminalbeamten auf. »Wir waten hier im Blut, und Sie beide diskutieren Modefragen! Sind Sie denn schon so abgestumpft?« Seine schmale Gestalt bebte vor Empörung, seine wirren Haare bildeten eine weiße Aureole um seinen Gelehrtenschädel, und seine dicken Brillengläser waren beschlagen. Eine Antwort wartete er gar nicht erst ab, sondern warf sich wieder ins Getümmel der Tatortaufnahme.
Stahnke hatte den erfahrenen Gerichtsmediziner lange nicht mehr so fassungslos erlebt. Richtiger gesagt: noch nie. Dabei hatte er ihn schon tote Kinder exhumieren sehen.
Mit mehreren Kameras zugleich wurde der Tatort aufgenommen, wurde jedes Detail gesichert für spätere Inaugenscheinnahmen, dreidimensional wie konventionell. Stahnke versuchte es auf herkömmliche Weise, die Hände in den Taschen, die Augen und den Verstand aufnahmebereit umherschweifend. Leicht war das nicht.
Der Tote war kräftig gewesen, Oberkörper und Arme auffallend muskulös. Genützt hatte ihm das nichts. Man hatte ihn nach kurzem Kampf überwältigt, laut Spurenlage wohl in der Küche; vermutlich waren ihm dabei das Nasenbein sowie das Jochbein links und die linke Augenhöhle zertrümmert worden. Das linke Auge dürfte bereits bei dieser Gelegenheit zerstört worden sein. Als Tatwerkzeug kam eine dünne Stahlstange in Frage, möglicherweise ein Teleskop-Schlagstock, leicht in der Hosen- oder Jackentasche zu transportieren. In der Wohnung gefunden hatte man jedenfalls nichts Derartiges.
Was dann folgte, dürfte sich über einige Zeit hingezogen haben, nach Mitternacht, als das Restaurant unten bereits geschlossen, gesäubert und verlassen gewesen war. Der oder die Täter hatten Frederik Jaschinsky das Kapuzenshirt vom Leib gerissen, hatten ihn durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer geschleift, an den altmodischen Heizkörper gefesselt und ihm systematisch eine Wunde nach der anderen zugefügt, teils mit besagtem Schlagstock, überwiegend jedoch mit einem Messer. Mehrere Rippen waren gebrochen, vermutlich durch Fußtritte mit Stiefeln, deren Abdrücke sich sowohl auf dem Fußboden als auch auf dem Unterhemd des Toten gefunden hatten.
Irgendwann, nachdem Frederik Jaschinskys Gesicht vollkommen zerschnitten und zerprügelt worden war, hatte ein tiefer Schnitt durch die Kehle der Sache ein Ende gemacht. Entsprechend ausgedehnt war die Blutpfütze auf dem Fußboden, in deren Mitte der Tote saß, die Beine ausgestreckt, die Hände ins eigene Blut herabhängend. Offenbar hatte er noch eine Weile gezuckt, während die Pfütze an den Rändern schon zu gerinnen begann. Spuren davon waren deutlich zu erkennen. Ein weiteres grausiges Detail in diesem Szenario des Schreckens.
»Todeszeitpunkt?«, fragte Stahnke, als Mergner wieder einmal an ihm vorbeihastete. Den üblichen bösen Blick ob der Unziemlichkeit dieser verfrühten Frage steckte er regungslos weg.
»Zwischen drei und vier Uhr heute früh. Aber nageln Sie mich nicht drauf fest«, knurrte der Gerichtsmediziner und hastete weiter.
»Das deckt sich mit der Aussage des Nachbarn«, sagte Kramer. »Der will letzte Nacht Geschrei und laute Musik gehört haben, stundenlang. Genau weiß er nicht, wann der Lärm aufgehört hat, aber seine Vermutung lautet auch gegen vier Uhr.«
Heute früh also; inzwischen war es Abend. Der Tote hatte demnach den ganzen Tag über hier gelegen. Beziehungsweise gesessen oder gehangen, wie auch immer. Und er, Stahnke, hatte dort