Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes

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Ostfriesische Verhältnisse - Peter Gerdes

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ein paar Tagen hatte in der Zeitung gestanden, was mit der alten Emssturm geschehen sollte. Angeblich wurde sie in die Türkei geschleppt, zum Abwracken. Schade drum! Das mehr als fünfundsiebzig Meter lange ehemalige Fischereiforschungsschiff mit seiner hoch aufragenden Back hatte dem Hafen von Leer rein optisch gut zu Gesicht gestanden.

      »Noch einen Kaffee?« Wieder stand die Buchhändlerin so unvermittelt neben ihm wie aus den braunen Fliesen gewachsen.

      »Nein danke, aber Sie könnten mir vielleicht eine Frage beantworten«, erwiderte Stahnke, der diesmal nicht zusammengezuckt war.

      »Aber gerne, wenn ich kann.« Die junge Frau verschränkte ihre Finger und hob erwartungsvoll die Brauen, den Blick ihrer weit aufgerissenen Augen fest an ihren Gast geheftet.

      Was soll das, dachte der Hauptkommissar irritiert, will die mich veräppeln? »Ich würde gerne Ihren Chef sprechen, den Herrn Christiansen«, sagte er. »Ist er vielleicht im Büro?«

      »Nein, tut mir leid.« Auch ihr bedauernder Tonfall schrammte hart an der Parodie vorbei. »Herr Christiansen ist vor einer Stunde nach Aurich gefahren. Wir erwarten ihn erst kurz vor Ladenschluss zurück. Die Kasse macht er ja immer gerne selber.« Sie legte eine Hand auf ihren Mund, als wollte sie diese halb vertrauliche Information noch im Nachhinein am Entfleuchen hindern.

      »Das ist bedauerlich. Nach Aurich, ja?« Sollte er nach dem Grund fragen? Noch hatte er sich ja nicht einmal vorgestellt.

      »Er schaut sich dort Immobilien an. Möglicherweise will er demnächst eine Filiale aufmachen.« Wieder legte sie ihre schlanken Finger an die Lippen: »Das muss nicht unbedingt jeder wissen, jedenfalls noch nicht. Aber Sie sagen das ja sicher nicht weiter, nicht wahr, Herr Kommissar?«

      So so, sie wusste also, wer er war! War er in Leer etwa schon derart bekannt? Unwillkürlich glitt sein Blick von ihrem Gesicht über Finger und Hand auf das blaue Tattoo auf ihrem Unterarm. Jetzt zuckte er doch ein wenig zusammen, denn die gehörnte Fratze sah unglaublich diabolisch aus, direkt unheimlich. Auf einem schmalen Banner darunter stand etwas geschrieben. Etwa ein Fluch?

      Sie nahm die Hand herunter, ehe Stahnke die Worte entziffern konnte. »Soll ich Herrn Christiansen vielleicht etwas bestellen, wenn er wieder zurück ist?«

      Der Hauptkommissar schüttelte den Kopf. »Danke, nicht nötig, ich rufe ihn dann selbst an. Aber sagen Sie, die Wohnung dort oben, da wohnen doch mehrere junge Leute – ob ich dort vielleicht jemanden antreffen kann?«

      Ihre Augen wurden schmal. »Keine Ahnung«, versetzte sie knapp. »Letzte Nacht ist dort wohl jemand zu Hause gewesen, wie ich hörte, aber jetzt – das weiß ich nicht.«

      »Wie Sie hörten? Von wem denn?«

      »Von einem Krimi-Autor, der gestern Abend hier im Laden eine Lesung abgehalten hat. So was machen wir öfter mal, auch kleine Konzerte. Die Künstler übernachten dann immer in der kleinen Wohnung, die nach hinten raus geht und ansonsten leer steht. Als der Autor heute Vormittag abgereist ist, meinte er, vorne sei wohl mächtig Party gewesen letzte Nacht. Erst weit nach Mitternacht habe er schlafen können, und selbst dann habe er noch geträumt, jemand hätte ihm auf dem Kopf herumgetrampelt.«

      »So wild, ja?« Da wäre der kleine Oliver Eickhoff bestimmt gerne dabei gewesen, setzte Stahnke in Gedanken hinzu. Typisch Bürgertum, nach außen immer etepetete, aber dann das Verdrängte umso wilder ausleben! Schade für ihn, dass ihn der Zustand seines Hinterteils vom Mitfeiern abgehalten hatte.

      Wieder flog die Ladentür auf; die Altstadt hatte sich deutlich belebt, die Kunden gaben sich die Klinke in die Hand. Die Buchhändlerin machte eine Geste des Bedauerns: »Ich glaube, ich werde gebraucht. Wenn ich dann nichts mehr für Sie tun kann …«

      »Danke, alles klar.« Der Hauptkommissar entließ sie mit einem freundlichen Nicken. Schon war die junge Frau Richtung Kassentresen verschwunden.

      Stahnke erhob sich, trug seine leere Tasse nach hinten ins Restaurant, wo noch mehr Betrieb herrschte als vorne im Laden, zahlte und verließ das Gebäude durch die Seitentür, die hinaus auf die Terrasse führte. Die Oktobersonne war inzwischen hinter den Wolken und dem klotzigen Rathausneubau zum Vorschein gekommen und bestrahlte die Außentische, von denen viele besetzt waren, obwohl es eigentlich schon zu frisch war, um draußen zu sitzen.

      Eine schmale Gasse verband die Terrasse mit der Rathausstraße; dorthin wandte sich der Hauptkommissar, denn da, etwa auf halber Strecke, lag auch der Eingang zur vorderen Wohnung über dem Tatort Taraxacum. Unter der Klingel hing ein Pappschild mit den Namen der Bewohner. Ursprünglich mochten es vier oder fünf gewesen sein. Seither aber waren mehrere durchgestrichen und andere, teils kaum leserlich, dazugekritzelt worden, so dass schwer zu erkennen war, wer hier aktuell eigentlich lebte. Von der ursprünglichen WG schien nur noch ein einziger Name erhalten zu sein: Frederik Jaschinsky.

      Stahnke presste seinen Daumen auf den Klingelknopf. Oben im Haus ertönte ein Gong, gerade eben noch hörbar. Sonst geschah nichts. Der Hauptkommissar gongte noch ein zweites und ein drittes Mal, ohne Erfolg. Na gut, dachte er. Dann eben später; wegen der Befragung des Tatzeugen Christiansen musste er ohnehin noch einmal wiederkommen. Vielleicht konnte er diesen Besuch ja mit einem weiteren Kaffee verbinden.

      Das Gesicht der jungen Buchhändlerin kam ihm in den Sinn. Ebenso die blaue Fratze auf ihrem Arm. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Dann schaute er auf die Uhr: Mit etwas Glück hatte Kramer das Gespräch mit Eickhoff senior schon erledigt, dann konnten sie beide in Ruhe Mittag essen gehen und das weitere Vorgehen besprechen. Was er selbst tun würde, wusste er schon: sich mal ein bisschen mit der Familie Eickhoff befassen. Wer so dazugehörte, was die so trieben. Nicht nur wegen Dahlmanns Bemerkung vorhin; Karl-Friedrich Eickhoff persönlich hatte ihn auf diesen Gedanken gebracht, durch seine Behauptung, das Attentat auf seinen Sohn hätte sich in Wahrheit gegen die ganze Familie gerichtet. Da gehörte es sich doch, mal nachzuforschen, welche Gründe es dafür geben mochte.

      Ob Eickhoff senior das mit seinen Worten hatte erreichen wollen? Sicher nicht. Stahnke lächelte vor sich hin. Gerade deshalb, dachte er. Gerade deshalb.

      6.

      »Domian, nein! Lass das, Domian! Domian, kannst du nicht hören? Ich will das nicht, verdammt noch mal!«

      Die Frau wehrte sich aus Leibeskräften, aber Domian war einfach zu stark. Unmöglich, ihm zu widerstehen, wenn er etwas wirklich wollte. Dann bremste ihn nichts und niemand. Und ein »Nein« schon gar nicht.

      »Nein, Domian! Nicht!« Vergebens, sie hatte keine Chance. Sie musste aufhören, sich dagegenzustemmen, zu ziehen und zu zerren, sonst ging es ihr dreckig. Das wusste sie aus böser Erfahrung.

      Sie ließ die Leine los. Während die Frau auf dem weichen, glitschigen Boden stolpernd um ihr Gleichgewicht rang, sauste Domian davon, hinter der getigerten Katze her hinein in den modderigen Graben. Während aber die Katze leichtfüßig über den stinkenden Schlamm hinwegsetzte und am jenseitigen Ufer im Unterholz verschwand, platschte der blendend weiße Golden Retriever mitten hinein.

      »Ach, Domian.« Die Frau schüttelte den Kopf. Hoffentlich blieb das dämliche Viech nicht auch noch im Modder stecken! Einmal war das schon passiert, und sie hatte Hilfe holen müssen, um das Vierzig-Kilo-Biest wieder auf festen Boden zu zerren. Anschließend hatte sie Stunden gebraucht, um den Hund zu waschen, zu trocknen und zu bürsten, bis jedes Stäubchen und jede Geruchsspur wieder entfernt war. Ihre Tochter stellte sich ja dermaßen an mit dem Hund!

      Dabei gehörte der Retriever eigentlich Oliver. Aber der hatte schon lange das Interesse an dem Tier,

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