Schlusslichter. Georges Simenon

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Schlusslichter - Georges  Simenon Die großen Romane

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hervor, um die Fotos anzuschauen, die er immer bei sich trug.

      Er hatte etwas anderes sagen wollen. Er liebte seine Kinder, und was er für sie tat, war ihm nicht zu viel. Aber was er jetzt verbissen zu erklären versuchte, das war, dass er ein Mann war und dass …

      Er griff in seine Brieftasche, um unter dem Führerschein die Fotos hervorzuziehen, und hielt gerade den Kopf gesenkt, als sein Nachbar ein Geldstück auf den Tresen legte und zur Tür ging. Das geschah so unvermittelt und in einer solch fließenden Bewegung, dass er einen Augenblick lang nicht begriff, was los war.

      »Ist er gegangen?«, fragte er den Wirt.

      »Gott sei Dank!«

      »Kennen Sie ihn?«

      »Nein! Und ich möchte ihn auch bestimmt nicht kennenlernen.«

      Er war schockiert, dass selbst der Eigentümer einer Bar wie dieser auf den Schienen bleiben wollte. Im Übrigen hatte Steve getrunken und nicht der andere – der hatte nicht einmal sein Bierglas geleert. Trotzdem wurde Steve ein gewisser Respekt entgegengebracht; wahrscheinlich stand es ihm ins Gesicht geschrieben, dass er eine gesicherte Existenz und gute Manieren hatte.

      »Sind das Ihre Kinder?«, fragte der Wirt.

      »Ja, mein Sohn und meine Tochter.«

      »Holen Sie sie aus den Ferien ab? Waren sie auf dem Land?«

      »In Walla-Walla in Maine. Dort sind zwei Camps gleich nebeneinander. Eins für Jungen und eins für Mädchen. Mrs Keane kümmert sich um die Mädchen, und Hector, ihr Mann, der wie ein alter Pfadfinder aussieht …«

      Der Wirt hörte ihm gar nicht zu, sondern interessierte sich viel mehr für eine Radiomeldung, die er mit gerunzelter Stirn verfolgte. In der Hoffnung auf einen besseren Empfang spielte er an den Knöpfen und blickte dabei wütend zu der alles übertönenden Musicbox hinüber.

       »… der auf ungeklärte Weise nacheinander drei Polizeisperren ausweichen konnte. Gegen elf Uhr ist er in einem gestohlenen Fahrzeug auf der Straße Nummer zwei gesehen worden, wo er in Richtung Norden fuhr …«

      »Wer ist das?«, fragte er.

      Die Durchsage ging weiter:

       »… höchste Vorsicht geboten. Der Mann ist bewaffnet.«

      Und dann:

       »Die nächsten Nachrichten hören Sie um zwei Uhr.«

      Musik.

      »Wer ist das?«

      »Der Typ, der aus Sing-Sing ausgebrochen ist und die Kleine im Wandschrank eingeschlossen hat, mit einer Tafel Schokolade.«

      »Welche Kleine?«

      »Die Tochter des Farmers von Croton Lake.«

      Der Wirt hatte eine besorgte Miene aufgesetzt. Er kümmerte sich nicht mehr um ihn und sah sich nach einem nüchterneren Gesprächspartner um. Er wandte sich zu dem Ecktisch, wo zwei Männer und zwei Frauen beim Bier saßen, ältere Leute, die wie Bauunternehmer aussahen.

      Wegen der Musik verstand Steve nicht, worüber sie redeten. Er sah, wie sie auf den leeren Sitz neben dem seinen deuteten, und die eine Frau, die neben dem Zigarettenautomaten saß, schien sich plötzlich an etwas zu erinnern. Der Wirt nickte bei ihren Ausführungen mit dem Kopf, blickte unschlüssig auf das Wandtelefon und ging schließlich auf Steve Hogan zu.

      »Ist Ihnen etwas aufgefallen?«

      »Was soll mir aufgefallen sein?«

      »Haben Sie gesehen, ob er eine Tätowierung am Handgelenk hatte?«

      Steve konnte nicht folgen. Er versuchte zu begreifen, was man von ihm wollte.

      »Wer?«

      »Der Typ, dem Sie vorhin einen Drink spendiert haben.«

      »Er wollte ja nicht. Das kann man ihm nicht übelnehmen.«

      Da zuckte der Wirt die Achseln und warf ihm einen Blick zu, der ihm gar nicht gefiel. Jetzt, wo er niemanden mehr zum Reden hatte und nichts mehr zu trinken bekommen würde, konnte er das Lokal auch verlassen.

      Er legte einen Fünfdollarschein auf die Theke, direkt in eine Lache, stand schwankend auf und sagte:

      »Da, bedienen Sie sich!«

      Gleichzeitig vergewisserte er sich, dass ihn keiner schief ansah, denn das hätte er sich nicht gefallen lassen.

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