Schlusslichter. Georges Simenon

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Schlusslichter - Georges  Simenon Die großen Romane

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was?«

      »Vor unserer Abfahrt.«

      »Ich versteh nicht, wovon du redest.«

      »Was hast du getrunken, als du tanken gefahren bist?«

      Diesmal log er.

      »Nichts.«

      »Aha!«

      »Glaubst du mir nicht?«

      »Wenn es stimmt, hat der doppelte Martini stärker gewirkt als sonst.«

      »Meinst du, ich bin betrunken?«

      »Jedenfalls redest du so, wie wenn du getrunken hast.«

      »Ich rede dummes Zeug?«

      »Ich weiß nicht, ob es dummes Zeug ist, aber du hasst mich.«

      »Warum willst du nicht verstehen?«

      »Was soll ich denn verstehen?«

      »Dass ich dich nicht hasse, dass ich dich im Gegenteil liebe und ich wirklich glücklich wäre mit dir, wenn du endlich bereit wärst, mich wie einen Mann zu behandeln.«

      »Indem ich zulasse, dass du unterwegs in jeder Kneipe was trinkst?«

      »Da siehst du’s!«

      »Was soll ich sehen?«

      »Du lässt dir dauernd irgendwelche Beleidigungen einfallen und blähst jede Kleinigkeit auf. Bin ich vielleicht ein Säufer?«

      »Bestimmt nicht. Einen Säufer hätte ich nie geheiratet.«

      »Und? Trinke ich oft?«

      »Nein. Selten.«

      »Weniger als einmal im Monat. Vielleicht einmal im Vierteljahr.«

      »Was ist dann los mit dir?«

      »Nichts wäre los mit mir, wenn du mich nicht wie den letzten Dreck behandeln würdest. Sobald ich mal einen Abend lang Lust habe, auch nur ein kleines bisschen aus unserem Alltag auszubrechen …«

      »Empfindest du unseren Alltag als Last?«

      »Das hab ich nicht gesagt … Aber nimm zum Beispiel Dick … Der geht jeden Abend mehr oder weniger blau ins Bett … Und trotzdem ist er in deinen Augen ein interessanter Bursche, und du diskutierst mit ihm, als ob nichts wäre. Selbst wenn er getrunken hat …«

      »Erstens ist er nicht mein Mann.«

      »Und zweitens?«

      »Haben wir einen Lastwagen vor uns.«

      »Den hab ich gesehen.«

      »Sei mal einen Moment still. Wir kommen gleich an eine Kreuzung, und ich möchte gern die Schilder lesen.«

      »Hast du was dagegen, von Dick zu reden?«

      »Nein.«

      »Tut es dir leid, dass du mich geheiratet hast und nicht ihn?«

      »Nein.«

      Sie waren wieder auf dem Highway. Die Autos auf den beiden Spuren fuhren viel schneller als bei der Abfahrt in New York, und die auf der linken Spur überholten zügig. Offenbar in der Hoffnung, ihn zum Schweigen zu bringen, drehte Nancy das Radio an, wo gerade die Elf-Uhr-Spätnachrichten liefen.

       »… Die Polizei hat Hinweise, dass Sid Halligan, der in der vergangenen Nacht aus Sing-Sing ausgebrochen ist und den Fahndern bisher entkommen konnte …«

      Nancy machte das Radio wieder aus.

      »Warum lässt du es nicht an?«

      »Ich wusste nicht, dass dich das interessiert.«

      Es interessierte ihn nicht. Er hatte nie etwas von einem Sid Halligan gehört und überhaupt nicht mitbekommen, dass letzte Nacht ein Häftling aus Sing-Sing ausgebrochen war. Er hatte bei der Radiomeldung nur an den Mann in der Bar gedacht, der beim Telefonieren die Sprechmuschel abgeschirmt und eine grausame Härte in den Augen gehabt hatte. Aber das war belanglos, abgesehen davon, dass sie das Radio ausmachte, ohne ihn zu fragen, denn gerade so unbedeutende Nebensächlichkeiten können einen …

      Wo waren sie stehengeblieben, als Nancy den Streit unterbrochen hatte? Bei Dick Lowell, der eine Freundin von Nancy geheiratet hatte. Manchmal verbrachten sie einen Abend zusammen.

      Alles Quatsch! Wozu noch lang diskutieren? Kümmerte Dick sich vielleicht um die Meinung seiner Frau? Es war seine eigene Schuld, dass er ständig ängstlich überlegte, was sie wohl denken mochte, und immer auf ihre Zustimmung aus war.

      »Was machst du jetzt?«

      »Das siehst du doch. Ich halte an.«

      »Hör zu …«

      Die Bar machte einen heruntergekommenen Eindruck. Die davor parkenden Autos waren allesamt alte Schrottkisten, was seine Lust hineinzugehen nur erhöhte.

      »Ich warne dich«, sagte Nancy und betonte dabei jede Silbe. »Wenn du aussteigst, fahre ich allein weiter.«

      Er war schockiert und sah sie einen Moment ungläubig an. Sie hielt seinem Blick stand. Sie wirkte noch genauso frisch und adrett wie bei der Abfahrt in New York. Eiskalt, das Aas, dachte er.

      Vielleicht wäre nichts geschehen und er hätte die Segel gestrichen, wenn sie nicht hinzugefügt hätte:

      »Du kannst ja mit dem Bus weiterfahren.«

      Er spürte, wie ihm ein eigenartiges Lächeln um die Lippen spielte. Auch er war ganz ruhig, als er die Hand nach dem Zündschlüssel ausstreckte, ihn abzog und in die Tasche steckte.

      Noch nie war ihnen so etwas passiert. Er konnte nicht mehr zurück. Er war überzeugt, dass sie eine Lektion verdient hatte.

      Er stieg aus und schlug die Wagentür zu, ohne seine Frau anzusehen. Er versuchte, mit sicherem Schritt zum Eingang der Bar zu gelangen. An der Tür drehte er sich um: Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt, und er sah durchs Seitenfenster ihr blasses Profil.

      Er trat ein. Gesichter wandten sich ihm zu, die hinter den Rauchschwaden leicht verzerrt wirkten. Als er die Hand auf die Theke legte, fasste er in einen feucht-klebrigen Alkoholrest.

      2

      Während er vom Eingang in Richtung Tresen ging, war die Unterhaltung an den Tischen verstummt, das Stimmengewirr, das eben noch den Raum erfüllt hatte, war plötzlich abgeklungen wie beim Schlussakkord eines Orchesters. Alle waren reglos an ihrem Platz sitzen geblieben und hatten ihm, weder feindselig noch neugierig, nachgeblickt; auf den Gesichtern war kein Ausdruck zu erkennen.

      Sobald er die Hand auf den Tresen gelegt und der behaarte Arm des Barkeepers mit einem schmutzigen Lappen vor ihm entlanggewischt hatte, war das Leben wieder zurückgekehrt, und keiner schien sich mehr um ihn

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