Schlusslichter. Georges Simenon
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»Es hat keinen Zweck, zu früh loszufahren«, sagte Nancy und kramte in ihrer Handtasche nach Zigaretten. »In ein, zwei Stunden ist der schlimmste Verkehr vorbei.«
Als sie durch Brooklyn fuhren, liefen ein paar Wassertropfen über die Windschutzscheibe, aber noch blieb der angekündigte Regen aus.
Er war guter Laune zu diesem Zeitpunkt. Und er war es noch, als sie zu Hause in Scottville ankamen, einem Neubaugebiet im Zentrum von Long Island.
»Hast du etwas dagegen, wenn wir kalt essen?«
»Nein, im Gegenteil.«
Auch hier im Haus stand mit der Rückkehr der Kinder eine Veränderung bevor. Im Sommer hatte er immer ein Gefühl von Leere, als ob sie keinen Grund hätten, beide zu Hause zu sein, sich eher in diesem als in jenem Zimmer aufzuhalten, zumal sie auch nicht wussten, was sie mit ihren Abenden anfangen sollten.
»Ich gehe Zigaretten holen, während du die Sandwiches machst.«
»Es sind noch welche im Schrank.«
»Aber wir sparen Zeit, wenn ich volltanken und den Ölstand kontrollieren lasse.«
Sie hatte nicht protestiert, was ihn gewundert hatte. Er war tatsächlich bei der Tankstelle vorgefahren, und während der Reifendruck geprüft wurde, war er in das italienische Restaurant gestürzt, um an der Bar einen Whisky zu trinken.
»Scotch?«
»Rye.«
Eigentlich mochte er keinen Rye. Er hatte sich für den stärkeren Whisky entschieden, weil er die ganze Nacht keine Gelegenheit mehr zu einem Schluck haben würde und ihnen eine stundenlange Fahrt auf dem Highway bevorstand.
Konnte man sagen, dass er den Tunnel betreten hatte? Er hatte zwei Gläser getrunken, so viel trank er auch, wenn sie ins Theater gingen und Nancy dasselbe bestellte wie er. Als er nach Hause kam, sah sie ihn trotzdem verstohlen an.
»Hast du Zigaretten mitgebracht?«
»Du hast doch gesagt, dass welche im Schrank sind. Ich habe vollgetankt und mich um die Reifen gekümmert.«
»Dann besorgen wir unterwegs welche.«
Es waren doch keine Zigaretten im Haus. Entweder hatte sie sich geirrt, oder sie hatte ihm absichtlich etwas Falsches gesagt.
Sie rief ihn zurück, als er zum Badezimmer ging.
»Du kannst nach dem Essen duschen, während ich die Küche mache.«
Sie kommandierte ihn zwar nicht herum, gestaltete ihr gemeinsames Leben aber ganz selbstverständlich nach ihren Vorstellungen. Er war im Unrecht. Er fühlte sich im Unrecht. Immer wenn er ein oder zwei Drinks zu sich genommen hatte, sah er sie mit anderen Augen. Dann ging ihm auf die Nerven, was ihm sonst normal vorkam.
»Du solltest dein Tweedsakko und den Regenmantel mitnehmen.«
Draußen kam Wind auf und fuhr in die Blätter der noch recht kümmerlichen Bäume, die fünf Jahre zuvor gesetzt worden waren, als man die Häuser gebaut und die Straßen trassiert hatte. An einigen Stellen wollten sie auch nach zwei oder drei weiteren Versuchen einfach nicht anwachsen.
Gegenüber machte einer ihrer Nachbarn einen Bootsanhänger an seinem Auto fest, während seine Frau – knallrot von einem frischen Sonnenbrand und die dicken Schenkel in hellblaue Shorts gezwängt – an der Bordsteinkante stand und die Angelruten hielt.
»Woran denkst du?«
»An nichts.«
»Ich bin gespannt, ob Dan noch mehr gewachsen ist. Letzten Monat ist er ziemlich in die Höhe geschossen, und seine Beine kamen mir noch dünner vor.«
»Das ist normal in dem Alter.«
Es war nichts Besonderes vorgefallen. Er hatte geduscht und sich angezogen, dann hatte seine Frau ihn daran erinnert, die Hauptsicherung in der Garage herauszudrehen, während sie selbst nachsehen wollte, ob alle Fenster geschlossen waren.
»Soll ich die Koffer schon ins Auto laden?«
»Prüf erst noch mal nach, ob sie richtig zu sind.«
Als er sich hinter das Steuer setzte, war sein frisches Hemd trotz Wind und bedecktem Himmel schon wieder durchgeschwitzt.
»Fahren wir dieselbe Strecke wie letztes Mal?«
»Wir hatten uns doch geschworen, die nie wieder zu nehmen.«
»Sie ist aber am praktischsten.«
Eine Viertelstunde später hingen sie zwischen Tausenden anderer Wagen, die alle in dieselbe Richtung fuhren, aus unerklärlichen Gründen zum Stehen kamen und dann plötzlich wieder losrasten.
Am Anfang des Merrit Parkway kam das erste Gewitter. Es war noch nicht richtig dunkel, und alle fuhren mit Standlicht. Drei Wagenreihen drängelten sich in Richtung Norden zwischen den weißen Markierungslinien, während in Gegenrichtung natürlich viel weniger Verkehr war. Sie hörten den Regen auf die Autodächer trommeln, vernahmen das nervtötende Geräusch der Scheibenwischer und das monotone Zischen der Reifen, die Wasserfontänen aufwarfen.
»Bist du wirklich nicht müde?«
»Nein.«
Mal überholten sie die Autos auf den beiden anderen Spuren, dann hatten sie wieder das Gefühl zurückzufallen.
»Du hättest auf die dritte Spur wechseln sollen.«
»Ich versuch’s.«
»Nicht jetzt. Hinter uns spielt einer verrückt.«
Bei jedem Blitz erhaschte man einen Blick auf die Gesichter in den anderen Autos, und alle hatten denselben angespannten Ausdruck.
»Zigarette?«
»Ja, gern.«
Wenn er am Steuer saß, zündete sie die Zigaretten immer an und hielt sie ihm dann hin.
»Radio?«
»Meinetwegen.«
Sie musste das Gerät sofort wieder ausschalten, weil es wegen des Gewitters stark knisterte.
Sich zu unterhalten war auch zwecklos. Bei dem Motorenlärm musste man laut reden, und das wurde schnell anstrengend. Während er den Blick auf die Straße gerichtet hielt, hatte er im Halbdunkel Nancys blasses Profil im Augenwinkel, und er fragte sie zwei oder drei Mal:
»Woran denkst du?«
»An nichts.«
Einmal setzte sie hinzu:
»Und du?«