Schlusslichter. Georges Simenon

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Schlusslichter - Georges  Simenon Die großen Romane

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ließ den Motor an und warf beim Fahren suchende Blicke auf den Rand der Straße, die – soweit das bei Nacht zu erkennen war – durch Felder oder Brachland führte.

      Er entdeckte niemanden, erreichte die Kreuzung und hielt vor einer Cafeteria an. Von draußen waren die weißgetünchten Wände, ein Metalltresen und zwei oder drei Gäste beim Essen zu sehen.

      Er stieß die Tür auf.

      »Halten die Busse hier?«

      Die Wirtin hatte dunkle Haare und ein gutmütiges Gesicht. Sie war gerade dabei, Hotdogs zu machen.

      »Den nach Providence haben Sie gerade eben verpasst«, antwortete sie. »Der ist vor fünf Minuten hier durch.«

      »Haben Sie vielleicht eine junge Frau in einem hellen Kostüm gesehen? Womöglich hatte sie auch einen Gabardinemantel an …«

      Ihm war plötzlich eingefallen, dass er ihren Mantel nicht mehr im Wagen gesehen hatte.

      »Hier ist sie nicht reingekommen.«

      Er überlegte nicht lange und stürzte, immer noch in heller Aufregung, wieder hinaus, wobei ihm bewusst war, dass er wie ein Verrückter wirken musste. Rechts zweigte eine Straße ab. Es war die Hauptstraße eines Dorfs mit dem erleuchteten Schaufenster eines Möbelgeschäfts, in dem ein Bett mit blauem Satinüberwurf stand. Ohne auf die Karte zu schauen oder irgendjemanden zu fragen, wo er war, warf er sich wieder in den Wagen, fuhr mit aufheulendem Motor los und brauste auf der nassen Straße davon.

      Normalerweise fahren Busse nicht schneller als fünfzig Meilen pro Stunde. Das hatte ihn auf den Gedanken gebracht, den fraglichen Bus einzuholen und ihm bis zur nächsten Haltestelle zu folgen, wo er Nancy bitten wollte, wieder zu ihm ins Auto zu steigen, selbst wenn er ihr dafür das Steuer überlassen musste.

      Er hatte unrecht gehabt. Sie hatte auch unrecht gehabt, würde es aber nicht zugeben, und wie immer würde letzten Endes er um Verzeihung bitten. Er machte die Scheibenwischer an und trat aufs Gas. Da die Seitenfenster heruntergekurbelt waren, wehte ihm der Wind in die Haare und fuhr ihm fast eiskalt über den Nacken.

      Vielleicht führte er während dieser Minuten hin und wieder Selbstgespräche, den Blick in Erwartung der Schlusslichter des Busses starr auf die Straße geheftet. Er überholte zehn, fünfzehn Wagen, von denen mindestens zwei einen Satz zur Seite machten, als er vorüberrauschte. Dass sein Tacho siebzig zeigte, versetzte ihn in eine Art Fieber, und er wünschte sich beinahe, dass ein Polizist auf dem Motorrad auftauchen und zu einer Verfolgungsjagd ansetzen würde. Er legte sich für diesen Fall eine Geschichte zurecht, in der von seiner Frau die Rede war, die er um jeden Preis einholen musste, und von den Kindern, die in Maine warteten. Hat man unter solchen Umständen nicht das Recht, gegen die Verkehrsregeln zu verstoßen?

      Er überquerte zum zweiten Mal eine hellerleuchtete Kreuzung mit Tankstellen rechts und links, an der sich die Straße gabelte. Auf den ersten Blick waren beide Straßen gleichrangig. Er bremste gar nicht ab, um sich zu orientieren, und merkte erst nach etwa fünfzehn Meilen, dass er sich schon wieder verfahren hatte.

      Eben noch war er, das hätte er schwören können, in Rhode Island gewesen. Wie und wann war er zurückgefahren? Er verstand es nicht, Tatsache aber war, dass auf den Hinweisschildern die Stadt Putman in Connecticut angegeben war.

      Das Wettrennen mit dem Bus lohnte sich nicht mehr. Steve hatte jetzt reichlich Zeit. Sollte Nancy doch wütend sein – er konnte ihr nicht helfen. Sich selbst auch nicht. Ihnen beiden war nicht zu helfen!

      Am liebsten wäre er noch einmal in die Bar von vorhin gegangen, aber die wiederzufinden war fast unmöglich. Unterwegs gab es jedenfalls Bars, so viel er nur wollte. Und jetzt, wo er gewissermaßen Junggeselle war, konnte er anhalten, ohne jemandem Rechenschaft darüber ablegen zu müssen.

      Schade war nur, dass er nicht mit dem Typ reden konnte, der ihm mit dem Finger auf die Schulter getippt und ihm einen Rye spendiert hatte. Er war nach wie vor überzeugt, dass sie sich gut verstanden hätten. Sie waren nicht nur im selben Alter, sie waren auch ähnlich gebaut und hatten denselben hellen Teint, die gleichen hellen Haare. Sogar die langen, knochigen Finger mit den eckigen Fingerkuppen ähnelten sich.

      Er hätte gern gewusst, ob der Mann in einer Stadt aufgewachsen war wie er selbst oder ob er ein Landkind war.

      Der andere hatte mehr Erfahrung als er, das musste er zugeben. Bestimmt war er nicht verheiratet, oder falls doch, kümmerte er sich nicht um seine Frau. Wer weiß? Es hätte Steve nicht gewundert, wenn er auch Kinder gehabt hätte, sie aber mitsamt der Mutter sitzengelassen hatte.

      Er musste Erfahrungen dieser Art gemacht haben. Jedenfalls verschwendete er keine Mühe darauf, morgens Punkt neun Uhr im Büro zu sein und abends rechtzeitig heimzukommen, damit das Kindermädchen nach Hause gehen konnte.

      Wenn Bonnie und Dan nämlich nicht im Camp waren, also den größten Teil des Jahres über, kam nicht etwa Nancy als Erste nach Hause, um sich um die Kinder zu kümmern, sondern er. Weil sie in dem Büro, in dem sie arbeitete, eine Vertrauensstellung hatte, weil sie bei Schwartz & Taylor die rechte Hand von Mr Schwartz war, der morgens gegen zehn oder elf Uhr kam, fast jeden Mittag ein Geschäftsessen hatte und sich erst danach an die Arbeit machte, bis sechs oder sieben Uhr abends.

      Hatte der Mann in der Bar das erraten? Stand Steve das auf der Stirn geschrieben? Es hätte ihn nicht gewundert. Wenn man jahrelang so ein Leben führt, muss sich das auf dem Gesicht abzeichnen.

      Und der Wagen? Er war auf seinen Namen angemeldet, immerhin, aber abends benutzte seine Frau ihn immer, um nach Scottville zurückzufahren. Natürlich gab es dafür gute Gründe! Da war ihre Position bei Mr Schwartz, die so wichtig war, dass Mr Schwartz sich persönlich zu ihnen bemüht hatte, um Nancy zu überreden, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, als sie nach der Geburt der Kinder auf Steves Drängen ihren Beruf aufgeben wollte.

      Steve hingegen hatte um Punkt fünf Uhr Schluss. Er durfte sich in die U-Bahn an der Lexington Avenue stürzen, mal mehr, mal weniger eingekeilt bis Brooklyn fahren, wo er wieder losrannte, um gerade noch den Bus zu erwischen, der am Rande ihrer Siedlung hielt.

      Das dauerte insgesamt nicht mehr als fünfundvierzig Minuten. Zu Hause stand dann das schwarze Kindermädchen Ida schon mit dem Hut auf dem Kopf da und wartete. Auch Idas Zeit war offenbar kostbar. Die Zeit aller Leute war kostbar. Nur seine nicht.

       »Hallo! Bist du’s? Ich muss heute Abend wieder länger bleiben. Vor sieben bin ich bestimmt nicht zu Hause, vielleicht auch erst um halb acht … Würdest du den Kindern etwas zu essen machen und sie ins Bett bringen?«

      Er fuhr jetzt auf einer Straße mit der Nummer sechs, kaum zehn Kilometer von Providence entfernt, und musste abbremsen, weil sich der Verkehr staute. Was mochte all den anderen Männern gerade durch den Kopf gehen, die um ihn herum am Steuer saßen? Die meisten hatten eine Frau neben sich. Bei anderen sah man Kinder, die auf dem Rücksitz schliefen. Er glaubte überall eine dumpfe Wartesaalmüdigkeit zu spüren, und manchmal drang ein Musikfetzen oder die ernste Stimme eines Radiosprechers bis an sein Ohr.

      Sein Scheibenwischer lief schon eine ganze Weile, obwohl es nicht mehr nötig war. An der Straße reihten sich jetzt in immer kürzeren Abständen Tankstellen und Restaurants aneinander und bildeten eine fast gleichmäßige Lichterkette, nur ab und zu unterbrochen von ein, zwei Meilen langen schwarzen Löchern.

      Er hatte Lust auf ein kaltes Bier. Aber weil ihn jetzt nichts mehr zurückhielt, wollte er sich den richtigen Ort aussuchen, um haltzumachen. Er dachte mit Wehmut an die letzte Bar und hätte gern etwas in derselben

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