Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich
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Читать онлайн книгу Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich страница 20
»Das Wetter kann sich hier sehr schnell ändern.«
Vroni hatte ein Tuch dabei und wollte Anton das Wasser aus dem Gesicht wischen, doch er schob sie von sich. »Lass das sein. Was, wenn uns hier jemand zusammen sieht?«
»Es wird niemand kommen. Die meisten Gäste sind noch im Ballsaal.«
Im gleichen Moment öffnete sich eine Seitentür und drei Männer stürmten herein. »Ihr müsst sofort mitkommen«, schrie einer von ihnen. »Der Blitz ist in den Schlossturm eingeschlagen!«
Die Stallburschen warteten nicht auf eine Antwort von Anton oder Vroni und zogen sie einfach mit sich.
»Wo wollt ihr hin?«, rief Anton und versuchte sich loszureißen.
»Auf die obere Terrasse. Wir müssen das Feuer löschen!«
Sie rannten eine Treppe hinauf in einen Vorraum des Ballsaals. Von dort aus gelangten sie auf die Terrasse. Anton fuhr erschrocken zusammen, als er die riesigen Flammen sah, die aus dem Schlossturm herausschlugen. Im noch immer strömenden Regen hatten die Menschen eine Kette gebildet und reichten zügig Eimer mit Wasser weiter.
»Steh hier nicht einfach so rum!«, schrie Vroni Anton an.
Dem blieb nichts anderes übrig, als den Eimer weiterzureichen, den er von einem Mann hinter sich entgegennahm. Die Schreie der Menschen, die verzweifelt versuchten das Feuer zu löschen, mischten sich in die Donnerschläge und das Prasseln des Regens. Plötzlich wurde Anton von jemandem zur Seite gestoßen und fiel erneut auf den Boden. Er wollte sich gerade beschweren, als ein rauchender Holzbalken an der Stelle aufschlug, an der er gerade noch gestanden hatte. Anton stieß einen entsetzten Schrei aus und nahm die Hand dankbar entgegen, die in wieder auf die Beine zog. Er wischte sich das Wasser aus den Augen und sah zum Turm, aus dessen Dach noch immer die Flammen schlugen.
Auch die anderen Menschen hatten mitbekommen, dass Teile der Holzbalken auf die Terrasse geschlagen waren, dennoch blieben sie an ihrem Platz und stellten sich weiter ihrem aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die Flammen. Auch im Ballsaal musste man mittlerweile mitbekommen haben, was sich außerhalb des Schlosses abspielte. Einige der Adeligen kamen heraus, um ihre Landsleute zu unterstützen. Die meisten zogen es jedoch vor, sich im hinteren Teil des Schlosses in Sicherheit zu bringen.
Ohne den Regen wäre es den Pressburgern wohl nicht gelungen, das Feuer im Schlossturm zu löschen. Die Unmengen an Wasser, die sich nach wie vor über die Stadt ergossen, brachten aber schließlich die Rettung.
Anton sah, wie die Landsknechte und weitere Helfer mit Wassereimern in den Turm stürmten, um dort die restlichen Flammen zu bekämpfen. Der Schreiber vertraute darauf, dass es den Pressburgern nun gelang, den Brand unter ihre Kontrolle zu bringen. Für ihn wurde es Zeit, endlich aus der nassen Kleidung herauszukommen. Er watete durch die Wasserpfützen und atmete erleichtert durch, als er sich wieder im Vorraum des Ballsaales befand. Der bot ein Bild der Verwüstung. Tische und Stühle waren umgeworfen, Weinkelche lagen auf dem Boden und auch die Platten mit den Speisen waren überall im Raum verteilt. Menschen entdeckte Anton nicht.
***
Am nächsten Morgen erinnerte sich Anton an die Ereignisse des Abends wie an einen Traum. Alles kam ihm unwirklich vor. Seine noch immer tropfnasse Kleidung bewies ihm allerdings, dass sich das Unwetter und der Brand im Schlossturm tatsächlich ereignet hatten.
Von einem Bediensteten bekam Anton trockene Kleidung und machte sich auf den Weg zum Schlossturm. Er wusste, dass dort die Stephanskrone und die anderen königlichen Schätze untergebracht waren und wollte schauen, wie groß der Schaden war. Als er am Ballsaal vorbeiging, war dort nichts mehr von den Verwüstungen zu sehen. Alle Tische und Stühle standen wieder an ihrem Platz. Die Dienerschaft des Schlosses hatte sogar bereits alles für das Mittagsbankett vorbereitet. Zu seiner Erleichterung waren weder Vroni noch ihre Freundin zu sehen.
Auch auf der Terrasse waren die Spuren des Unwetters inzwischen beseitigt worden. Handwerker waren gerade dabei, die Schäden am Turm zu reparieren. Nach Antons Einschätzung war lediglich das Dach von den Flammen zerstört worden. Die Pressburger konnten froh sein, dass nichts Schlimmeres passiert war.
Am Nachmittag gab es auf dem Schlossplatz eine Parade der Landsknechte zu Ehren von König Ferdinand, der das Schauspiel gemeinsam mit Erzherzog Maximilian betrachtete. Auch der Adel aus Pressburg war anwesend. Es herrschte strahlender Sonnenschein und die Damen nutzten die Gelegenheit, sich in ihren prächtigsten Kleidern zu zeigen. Die Dienerschaft hatte Stuhlreihen aufgebaut, die bis auf den letzten Platz belegt waren.
Zu seinem Leidwesen war Anton nichts anderes übriggeblieben, als sich in der oberen Ecke neben Kardinal Klesl zu setzen. Der Jesuit machte einen gelangweilten Eindruck. Trotz der hohen Temperaturen trug er einen schwarzen Umhang, dessen Fütterung mit Samt umnäht war.
»Wie gefällt Euch diese Reise nach Pressburg, mein junger Freund?«
Anton sah Klesl überrascht an. Er hat nicht damit gerechnet, dass der Kardinal, der dem Schreiber in den letzten Tagen keinerlei Beachtung geschenkt hatte, ihn ansprechen würde. »Ich erachte es für wichtig, dass das ungarische Reich einen König bekommen hat, der dem Kaiser treu ergeben ist«, sagte er vorsichtig.
»Ist er das denn?«
»Ich verstehe Euch nicht …«
Anton lief ein Schauer über den Rücken. Er hätte das Gespräch mit Klesl am liebsten sofort wieder beendet und wäre gegangen. Wollte ihn der Kardinal etwa über König Ferdinand ausfragen? Weil der Jesuit über große Macht im Kaiserhof verfügte, durfte ihn Anton nicht verärgern, wenn er seine Anstellung als kaiserlicher Sekretär nicht in Gefahr bringen wollte. Er hatte allerdings auch nicht das Bedürfnis, einen Pakt mit dem Mann zu schließen.
»Denkt Ihr, dass Ferdinand und Matthias auf einer Seite stehen?«
»Natürlich tun sie das«, antwortete Anton.
»Ich weiß, dass der König nur zu gerne gegen Prag in den Krieg ziehen würde.«
»Warum sollte er das tun?«, gab Anton zurück, dem die Situation immer unheimlicher wurde. »Schließlich ist er der König von Böhmen.«
»Was glaubt Ihr, wie lange das noch der Fall ist?«
Zu seiner Erleichterung ersparte eine Salve aus den Musketen der Landsknechte Anton zunächst die Antwort. Er fühlte sich mehr als unwohl in seiner Haut. Klesl schien ihm mit seinen starren Augen direkt hinter die Stirn schauen zu können und nur auf eine falsche Reaktion des Schreibers zu warten.
Unter dem Beifall der Zuschauer luden die Landsknechte ihre Musketen nach und richteten die Läufe ihrer Waffen in die Luft. Ein ungarischer Obrist gab das Zeichen, die zweite Salve zu Ehren des Königs abzufeuern. Dieses Mal war Anton auf den Lärm vorbereitet und erschreckte nicht. Neben ihm zuckte der Kardinal jedoch plötzlich zusammen und sprang auf.
»Was ist mit Euch?«, fragte Anton überrascht.
Klesl stand mit bleichem Gesicht vor seinem Stuhl und starrte entsetzt auf einen Riss in seinem Umhang. »Ich bin von einer Kugel gestreift worden«, schrie er voller Panik.
Anton sah mit weit aufgerissenen Augen zu den Landsknechten und schüttelte den Kopf. »Wie kann so etwas passieren?«
Klesl