Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich

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Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich Geschichten des Dreißigjährigen Krieges

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des Direktoriums wissen offenbar selbst nicht so recht, wie es im Reich weitergehen soll«, sagte Diepold von Lobkowitz, der gerade von einem Gespräch mit Graf Wilhelm von Ruppau zurückkehrte.

      »Was ist passiert?«, gab Polyxena zurück. Die Gräfin saß gemeinsam mit Philipp im Arbeitszimmer, wo sie ein paar eingegangene Schriften durchgearbeitet hatten.

      »Nichts ist passiert«, antwortete ihr Gemahl. »Das ist ja das Problem. Die protestantischen Stände haben durch ihre Rebellion die Macht im Reich übernommen, wissen nun allerdings selbst nicht damit umzugehen. Das Direktorium will den Frieden für das Reich bewahren und akzeptiert derzeit auch noch die Vormachtstellung der Habsburger. Graf von Thurn dagegen vergrößert seine Armee. Täglich kommen neue Landsknechte hinzu und bald wird nicht mehr genug Platz in der Stadt sein, um sie alle unterzubringen.«

      »Warum verpflichtet von Thurn so viele Männer?«, fragte Philipp.

      »Wenn es nach ihm ginge, würde er alle Habsburger und Jesuiten aus Böhmen vertreiben und mit seiner Armee bis zum Kaiserhof vordringen.«

      »Die anderen Reichsfürsten werden ihm nicht dabei zusehen und warten, bis Böhmen an Macht gewinnt«, sagte Philipp.

      »Natürlich nicht«, stimmte Diepold zu. »Auch in Wien wird die Armee verstärkt. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass Maximilian von Bayern ebenfalls Soldaten bereitstellen wird. Mit Graf von Tilly hat er einen Feldherrn an seiner Seite, der über eine große Erfahrung verfügt und in der Lage ist, von Thurn mit seinem Heer in seine Schranken zu verweisen. Gelingt es dem Direktorium nicht, den Grafen unter Kontrolle zu behalten, wird sich ein Krieg in Böhmen nicht mehr lange verhindern lassen.«

      »Ich hatte vor einem Monat schon erwartet, dass König Ferdinand mit einer Armee gegen Prag vorrücken würde«, sagte Polyxena.

      »Das hätte er auch getan«, stimmte Philipp zu. »Der Kaiser und Kardinal Klesl haben das allerdings verhindert. Ich weiß, dass Ferdinand bald zum König von Ungarn gekrönt wird. Danach wird er sein Augenmerk wieder auf Böhmen richten und alles daran setzen, die Macht über das Reich zurückzugewinnen.«

      »Auch in der Stadt werden die kritischen Stimmen lauter«, berichtete Diepold. »Die meisten Bürger sind zwar protestantisch und können die Gründe für die Rebellion nachvollziehen. Einen Krieg will jedoch niemand. Das Direktorium muss mit seiner Politik alle Stände im Reich berücksichtigen, wenn es nicht zu einem neuen Aufstand kommen soll. In der Zwischenzeit kommt es überall im Land zu Überfällen auf Klöster und kleinere Dörfer. Die Soldaten machen auf dem Weg nach Prag alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt.«

      »Das haben wir ja beim Gasthof von Magdalenas Eltern gesehen«, sagte Philipp. Er hatte genug gehört und wollte Polyxena und Diepold nicht weiter mit seiner Anwesenheit stören. Seine Arbeiten waren erledigt. Er wollte, bevor er in seine Kammer ging, noch zu Magdalena, die damit beauftragt worden war, sich um Wenzel Eusebius, den neunjährigen Sohn von Polyxena und Diepold, zu kümmern. Er verabschiedete sich von seinen Arbeitgebern und trat ins Freie, wo er von der warmen Nachmittagssonne empfangen wurde. Dort sah er Wenzel, der einen Gärtner dabei beobachtete, wie er die Hecke schnitt.

      »Wo ist Magdalena?«, fragte Philipp den Jungen.

      »Das weiß ich nicht.«

      »Hat sie nichts gesagt?«

      »Nur, dass sie in die Stadt wollte.«

      Mehr als beunruhigt machte sich Philipp auf den Nachhauseweg. Es passte nicht zu Magdalena, dass sie einfach verschwand, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Bisher hatte die junge Frau eher Angst davor gehabt, das Haus zu verlassen und hielt sich von anderen Menschen fern. Kurz dachte er daran, mit Polyxena über ihr Verschwinden zu sprechen, aber er wollte nicht, dass Magdalena am Ende noch Ärger mit der Gräfin bekam. Die von Lobkowitzes waren sehr gut zu ihr, und auch Philipp selbst war froh, das Ehepaar auf seiner Seite zu wissen. Er hoffte, dass Magdalena einfach nur losgegangen war, um ein paar Besorgungen zu machen. Sie würde sicher bald zurückkehren.

      Seit dem Aufstand in der Prager Burg war jetzt genau ein Monat vergangen. Es lag eine große Unsicherheit über der Stadt. Viele Bürger hatten Angst vor der Zukunft. Es gab nicht wenige Menschen, die kein Verständnis für die Rebellion hatten und die alten Verhältnisse gerne wiederhergestellt sähen. Andere standen voll auf der Seite von Thurns und der anderen Aufständischen und waren bereit, für ihre Freiheit zu kämpfen. Immer wieder kam es zu Zwischenfällen in den Straßen der Stadt, wenn die Verfechter der beiden Lager in hitzige Diskussionen gerieten und in ihrem Übermut aufeinander losgingen.

      Auch außerhalb Prags merkte man die Auswirkungen des Aufstandes. Der Tod von Magdalenas Eltern war nur ein Beispiel dafür, wie sehr es im Reich brodelte. Immer wieder trafen Nachrichten von verwüsteten Dörfern bei Polyxena ein.

      Philipp hatte selbst sehr unterschiedliche Reaktionen auf seine Rückkehr nach Prag erfahren. Während die protestantischen Bürger ihn mit abfälligen Blicken bedachten, sah ihn die katholische Bevölkerung als Helden, der von der Heiligen Maria persönlich gerettet worden war. Seitdem er in die Stadt zurückgekehrt war, wurde er mit Geschenken überhäuft. Das Schneiderehepaar, bei dem er wohnte, hatte sich regelrecht überschlagen und prahlte in der Nachbarschaft mit ihrem Mieter.

      Graf von Thurn war Philipp in den Tagen seit seiner Rückkehr aus Wien zweimal begegnet. Dank der Fürsprache von Polyxena von Lobkowitz, die großen Einfluss auf die Bürger der Stadt hatte, wagte es der Feldherr nicht, etwas gegen den Sekretär zu unternehmen. Dennoch wusste Philipp, dass der ihn am liebsten aus Prag verjagt hätte. Von Thurn hatte die wundersame Rettung der drei Opfer des Aufstandes auf einen Misthaufen geschoben, der im Graben vor dem Fenster gelegen haben sollte und damit versucht, die Statthalter in einem schlechten Licht darzustellen.

      Philipp hatte in den letzten Tagen oft darüber nachgedacht, die Stadt zu verlassen. Er wusste, dass er damit bei Magdalena offene Türen einrennen würde. Sie fühlte sich nicht wohl und sprach sehr wenig. Mit jedem Tag zog sie sich mehr zurück und ergab sich ihrer Trauer. Selbst dem lebenslustigen Wenzel Eusebius gelang es nur sehr selten, ihr ein Lächeln zu entlocken.

      Philipp zeigte großes Verständnis und unternahm alles, um der jungen Frau den Aufenthalt in der Stadt so angenehm wie möglich zu machen. Als ihre Heimat würde Magdalena Prag aber nie bezeichnen. Egal was Philipp unternahm. Seit dem Tod ihrer Eltern kam er nicht mehr an sie heran. Sie schien ihre Lebensfreude vollkommen verloren zu haben.

      Mit diesen eher trüben Gedanken erreichte Philipp das Haus, in dem er wohnte. Er wollte gerade die Tür öffnen, als Magdalena plötzlich vor ihm stand.

      »Wo kommst du denn her?«, fragte Philipp und sah die junge Frau überrascht an. »Du hast mich erschreckt.«

      »Ich muss mit dir sprechen«, sagte Magdalena.

      Philipp erkannte an ihren Augen, dass sie geweint hatte. Er ging zu ihr und wollte sie tröstend in den Arm nehmen, doch Magdalena wich ihm aus und verschränkte die Arme vor der Brust.

      »Ich werde nach Hause zurückkehren.«

      »Was sagst du da?« Philipp glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. Wollte ihm Magdalena tatsächlich gerade mitteilen, dass sie ihn verlassen würde? Er spürte einen plötzlichen Druck in der Brust und begann zu zittern. Das Atmen fiel ihm schwer. Er starrte die junge Frau vor sich an und schüttelte langsam mit dem Kopf.

      »Ich gehöre nicht in diese Stadt.«

      »Aber wo willst du denn hin?«

      »Zurück in meine Heimat.«

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