Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich страница 18
»Seit wann werden Küchenhilfen zu so etwas eingeladen?«
Also keine Adelige. Anton atmete auf. Wenn das Weib zum Personal gehörte, gab es vielleicht doch noch die Möglichkeit ungeschoren aus der Sache herauszukommen. »Du hast aber doch sicher viel mit der Vorbereitung der Feierlichkeiten zu tun.«
»Das habe ich. Es ist aber noch früh am Morgen. Schau mal durch das Fenster. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Warum hast du es so eilig? Hast du etwa Angst, mit mir gesehen zu werden?«
Was denkst du denn? Natürlich habe ich das. »Es könnte unangenehme Fragen aufwerfen, wenn man uns unbekleidet in diesem Zimmer erwischt. Du musst gehen. Und zwar sofort.«
»In der Nacht hast du ganz anders geredet.«
Da war ich auch volltrunken wie ein alter Säufer!
»Ich hoffe, du erinnerst dich noch an die Versprechungen, die du mir gemacht hast.«
»Wie könnte ich die vergessen?«
»Dann holst du mich nach Wien, sobald du die Stellung des kaiserlichen Schreibers bekommen hast?«
Gott bewahre, nein. Anton sah das Weib entsetzt an. Die merkte wohl, dass es ihrem Liebhaber nun doch nicht mehr so ernst war, und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Du hast es mir versprochen.« Noch immer lag sie unbekleidet im Bett und machte weder Anstalten aufzustehen, noch endlich ihre Blöße zu bedecken.
Trotz allem gefiel Anton sehr, was er sah. Die Wiener Frauen hatten aber auch schöne Töchter und er würde das Weib auf keinen Fall mit nach Hause nehmen. Zeidler würde ihn glatt aus dem Kaiserhof werfen, wenn er es wagte, sie mit dorthin zu nehmen.
»Noch unterstütze ich meinen Meister nur. Es kann noch dauern, bis ich der erste Schreiber des Kaisers werde.«
»Das hast du mir gestern schon gesagt. Ich kann warten. Auch wenn es noch ein Jahr dauert, bis du mich zu dir nach Wien holst.«
»Können wir heute Abend noch einmal darüber sprechen«, versuchte es Anton, der mit der Situation völlig überfordert war und in diesem Moment beschloss, nie wieder einen Becher Wein anzurühren.
»Nach den Feierlichkeiten im Ballsaal?«
»Ja. Jetzt muss ich wirklich dringend weg. Und du musst ebenfalls gehen. Das musst du verstehen.«
»Das tue ich auch, mein Geliebter.«
Nenn mich nie wieder so.
Anton hatte es jetzt noch eiliger, das Weib aus diesem Zimmer herauszubekommen. Der Durst war unerträglich und außerdem musste er sich dringend erleichtern. Er öffnete die Tür einen Spalt breit und sah vorsichtig nach draußen. Im Flur war alles ruhig.
»Wo willst du denn hin?«
»Ich bin gleich wieder da. Es wäre besser, wenn du dann nicht mehr in meinem Zimmer wärst.« Es schien tatsächlich noch recht früh zu sein. Auf dem Weg zum Abort traf er niemanden. Wenn sich das Weibsbild beeilte, würde man sie nicht sehen, wie sie sich aus seinem Zimmer und zurück in den Trakt des Dienstpersonals schlich.
Zu Antons Erleichterung war sie tatsächlich nicht mehr im Raum, als er seine Notdurft verrichtet hatte und in das Zimmer zurückkehrte. Der junge Mann hatte nicht vor, sich noch einmal mit dem Weib zu treffen. Am Abend würde er schon eine Möglichkeit finden, ihr aus dem Weg zu gehen.
***
Drei Stunden später saß Anton im Martinsdom und wartete auf den Beginn der Zeremonie. Er war einer der Ersten gewesen, die die Kathedrale betreten hatten, und beobachtete die weiteren Besucher, die nach und nach ihre Plätze einnahmen. Noch immer litt er an den Nachwirkungen seines nächtlichen Abenteuers und der vorangegangenen Reise. Der Schreiber dachte daran, dass in den letzten Tagen Vieles ganz anders gekommen war, als er es noch vor eine Woche erwartet hatte.
Den ersten Schock hatte Anton gleich nach dem Aufbruch aus Wien erlitten. Die wenigen Kutschen waren dem Materialtransport vorbehalten gewesen. So war dem Schreiber nichts anderes übriggeblieben, als zu reiten. In seinem bisherigen Leben waren ihm Pferde immer suspekt gewesen und er hatte gewaltigen Respekt vor den großen Tieren.
Es hatte Stunden gedauert, bis er auf der Reise nach Pressburg soweit mit dem Pferd zurechtgekommen war, dass es seine Anweisungen befolgte. Nachdem er den ganzen Tag auf dem Rücken des Tieres zugebracht hatte, konnte er am Abend kaum laufen und musste sich am nächsten Morgen unter dem Gelächter der Landsknechte beim Aufsitzen helfen lassen.
König Ferdinand hatte ihm befohlen, immer neben ihm zu reiten, obwohl er die Dienste seines Schreibers unterwegs nicht ein einziges Mal in Anspruch genommen hatte. Anton vermutete, dass er so einer Konversation mit Kardinal Klesl aus dem Weg gehen wollte. Der kaiserliche Berater von Matthias begleitete den Tross nach Pressburg, und Ferdinand ließ keine Gelegenheit aus, ihm zu zeigen, wie sehr ihm dies missfiel.
Am vorletzten Tag der Reise trafen sie auf Erzherzog Maximilian von Bayern und setzten den Weg nach Pressburg mit ihm und seinem Gefolge fort. Ferdinands Laune besserte sich sichtlich, als der Bruder seiner Mutter neben ihm ritt, und er ließ seinen Schreiber aus den Augen, der die Gelegenheit nutzte, sich etwas zurückfallen zu lassen. Die beiden Habsburger unterhielten sich lebhaft und ließen sich dabei auch über die Rebellion in Böhmen aus. Kardinal Klesl ritt hinter ihnen und hörte den mächtigen Männern mit bitterer Miene zu.
Die vier Tage, die sie bis zu ihrem Ziel brauchten, gehörten zu den bisher schlimmsten in Antons Leben. Wegen dem langen Ritt schmerzte sein Körper. Er konnte auch jetzt noch nicht wieder normal gehen und sein Rücken brannte wie Feuer. Kardinal Klesl hatte ihm unterwegs mehrfach geraten, nicht so verkrampft auf dem Pferd zu sitzen und den Rücken gerade zu halten. In seiner Angst herunterzufallen, hatte er diese Empfehlung aber nicht befolgen können.
Der abendliche Empfang in Pressburg war dagegen durchaus spannend und aufregend gewesen. Noch nie hatte er so viele Adelige auf einmal gesehen. Zu Beginn schien die Stimmung etwas gereizt zu sein, und Anton hatte den Eindruck gewonnen, dass nicht alle der Anwesenden froh über Ferdinands Krönung waren. Insbesondere die Vertreter der protestantischen Stände hatten ihm immer wieder unverhohlene Blicke zugeworfen und in ihren Gesprächen abwertend mit den Fingern auf den König gedeutet. Aus Mangel an einem Gesprächspartner hatte Anton die Zeit während des Banketts genutzt und die Menschen um sich herum genau beobachtet.
Auch wenn der Empfang zu Ferdinands Ehren gegeben worden war, hatte der sich gemeinsam mit dem Erzherzog von Bayern früh zurückgezogen. Danach war der Wein in Strömen geflossen. Auf sein nächtliches Abenteuer mit dem wilden Weibsstück hätte Anton allerdings liebend gerne verzichtet, zumal er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wie er mit der Rothaarigen in sein Zimmer gekommen war …
Inzwischen war die Kathedrale bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Martinsdom war mit bunten Fahnen geschmückt, welche die Wappen der Habsburger, des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und des ungarischen Reichs zeigten. Der kostbare Marmorboden glänzte im farbigen Licht, das durch die aufwändig bemalten Fenster des Domes fiel und das Kirchenschiff erhellte. Anton vermutete, dass der Bischof seine Novizen die ganze Nacht den Innenraum der Kathedrale hatte schrubben lassen. Alles war für die Krönung des neuen Regenten des ungarischen Reiches bereit. Lediglich die Soldaten, die verhindern sollten, dass sich einer der Gäste dem Altar näherte, störten den festlichen Eindruck