Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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Luft.“

      „Folgen der Umweltverschmutzung“, meinte ein Zelleninsasse. „Das bedeutet aber nicht, dass unsere Welt untergeht.“

      „Es gibt noch andere Anzeichen. Welche, die keine logische Erklärung haben.“ Die Insassen warteten schweigend. Aber End ließ die Worte allein im Raum stehen.

      „Er meint die Spiegel“, flüsterte der Junge.

      „Dieses Phänomen ist schon vor Jahren aufgetreten, Junge“, meinte einer der Insassen. „Es hat nichts mit der Industrialisierung zu tun.“

      „Der Junge hat Recht“, widersprach End. „Das Verschwinden der Spiegelbilder war vermutlich das erste Anzeichen. Das erste von dreizehn. Es trat lange vor der Industrialisierung auf, weil diese nicht die Ursache des Untergangs ist. Vielleicht wird uns die Umweltverschmutzung eines Tages die Existenz in dieser Welt unmöglich machen. Aber vermutlich ist die Förderung der Kohle bloß ein Schritt von vielen in Richtung eines viel größeren Übels. Der Untergang der Welt bedeutet nicht unbedingt die Zerstörung unseres Universums. Die Wahrheit ist, dass ich nicht weiß, was es bedeutet.“

      „So ein Bockmist! Bloß weil die Spiegel plötzlich nicht mehr funktionieren?“

      „Die Spiegel sind bloß ein Zeichen von dreizehn. Wie ich schon sagte. Genau wie die Sternenbilder, die verlöschen.“

      „Es verlöschen Sternenbilder?“, fragte der Sänger.

      End nickte und sah mit verschwommenem Blick aus dem Fenster. „Elf Wächter sind verloschen.“

      „Aber … was macht dich so sicher, dass diese Zeichen den Untergang der Welt bedeuten? Erzähl mir deine Geschichte, Godric End, ich bitte dich.“

      End seufzte schwer. „Meine Geschichte ist nicht von Belang. Mit mir ist es bald vorbei. Der Schwarze Baron kommt persönlich hierher, um mich zu richten.“

      „Der Schwarze Baron hat Rust verlassen und ist auf dem Weg nach Stonefort?“

      „Wenn er mit dem Zug fährt, wird er in einem Viertel hier sein.“

      „Nein“, sagte End. „Er wird aufgehalten werden. Seine Reise wird sich um vier Tage verzögern.“

      „Woher willst du das wissen?“

      „Ich weiß es.“

      „Dreizehn Tage“, murmelte der Sänger und prüfte seinen Tabakvorrat. „Eine Zigarette pro Tag. Sollte reichen. Dafür erzählst du deine Geschichte. Was sagst du?“

      End blickte den Sänger nachdenklich an. „Worte sind Wind. Wieso würde jemand etwas so Kostbares wie Zigaretten gegen Wind eintauschen?“

      „Was kümmert es dich? Bekommst du nicht, was du willst?“ Der Sänger rollte die nächste Zigarette und hielt sie hoch. End musterte sie kurz.

      „Einverstanden. Aber wisset: Ihr werdet mir nicht glauben. Ihr werdet spöttisch lachen wollen, den Kopf schütteln und mich einen Narren schimpfen wollen. Lasst es! Denkt euch euren Teil, aber behaltet eure Gedanken für euch. Anderenfalls fahre ich nicht fort, ehe ich nicht eine weitere Zigarette bekommen habe.“

      Der Sänger warf die Streichholzschachtel in Ends Zelle. „Ich werde sie nicht mehr brauchen. Lass sie nur die Wärter nicht sehen.“ Die Zigarette folgte. End zündete sie an und wieder rauchte er sie in aller Ruhe auf, ehe er ein weiteres Wort sprach.

      „Bevor ich den Aufseher der South Harrow Colliery erschlug, dutzende Arbeiter meinem Beispiel folgten und die Revolte der Arbeiter zu einem Bürgerkrieg wurde“, begann er, „bevor das Militär in eine demonstrierende Menge schoss und die Aufstände eskalierten, ja, bevor ich nach Treedsgow kam und dort ein schreckliches Geheimnis lüftete, bevor die Swimming Island des berüchtigten Captain Black Ravens sank, war ich bloß der Sohn eines sehr reichen Mannes aus dem Bergmannsadel …“

       End

      Ich war ein unscheinbares Kind. Klein, mager und blass. Kein Vergleich zu heute. Ich hing stets am Rockzipfel meiner Schwester. Emily. Sie war fünf Jahre älter als ich. Wenn es darum ging, Neues auszuprobieren, ließ ich ihr immer den Vortritt. Wenn mich Albträume plagten, fand ich Zuflucht unter ihrer Bettdecke. Sie sorgte für mich. Sie nahm mich in Schutz und spendete mir Liebe, wenn ich mich danach sehnte.

      Unsere Mutter war bei meiner Geburt ums Leben gekommen. Emily erzählte, dass sie die schönste Frau auf Erden gewesen sei. Mit einem traurigen Lächeln und stets liebevollen Augen. In meiner Vorstellung war sie ein Engel.

      Wir wuchsen in der Obhut von Rico Fonti auf. Fonti stammte aus dem Süden, aus Izzian. Er war ein kleiner Mann. Er hatte dunkles Haar und buschige Augenbrauen, einen Spitzbart und einen kunstvoll gewichsten Schnurrbart. Sein strenger, durchdringender Blick kündete von Klugheit und Bildung. Er galt als einer der besten Lehrer überhaupt. Er beherrschte sieben Sprachen und verfügte über unvergleichliche Kenntnisse in unzähligen Wissenschaften. Lehrer wie er, die ihr Gebiet nicht nur beherrschen, sondern auch lehren können, sind so selten wie wahre Freundschaft. Fonti lehrte uns Lesen und Schreiben, Mathematik, Geschichte, Kultur und Geographie, Astronomie und Astrologie, Mythen, Religion und Philosophie, Naturkunde und Chemie sowie fremde Sprachen und Schriften einschließlich der norvolkischen Runen. Mein Vater bezahlte ihn.

      Mein Vater.

      Ich hatte ihn nie zu Gesicht bekommen. Ich wusste nur, dass er ein erfolgreicher Mann aus den Reihen des Bergmannsadels war. Reich an Einfluss und Geld. Gewiss trug er einen schwarzen Anzug, rauchte Zigarre und wachte aus der Ferne über mich und meine Schwester. Ich glaubte, dass ich und Emily ihn eines Tages treffen würden, sobald wir ausgebildet waren.

      Doch haben wir unsere Ausbildung nie abgeschlossen … Wir blieben nie lange an einem Ort. Fonti erklärte uns, dass wir Erfahrung sammeln mussten. Wir reisten durch Dustrien und verweilten höchstens einen Monat in einer Stadt. Die Metropole Rust bildete da eine Ausnahme, war sie doch um ein Vielfaches größer als gewöhnliche Städte. Wir begegneten vielen Menschen: Händlern und Betrügern, Handwerkern und Bergmännern, Bettlern und Dieben …

      Fonti lehrte uns, in diesen Menschen zu lesen. Ihre Mimik und Gestik zu deuten und ihre Absichten zu durchschauen. Er schenkte uns den Blick fürs Detail, und bald sahen wir nicht mehr die Gesichter unserer Gegenübers sondern Grenzflächen der Kommunikation. Weiteten sich die Pupillen eines Händlers beim Anblick eines Gegenstandes, den er erwerben wollte, bedeutete dies, dass man den Preis in die Höhe treiben konnte. Verhielt sich jemand offen, laut und lustig, hatte er meist etwas zu verbergen. Auch Kleidung verriet viel. Über Reichtum, Bescheidenheit und Selbstvertrauen.

      Fonti ließ uns tagelang in der Obhut von Handwerkern und Landwirten, Heilern und Händlern, um deren Berufe kennenzulernen. Schon bald kannten Emily und ich die Bearbeitungsverfahren verschiedener Materialien wie Holz, Stein und Stahl. Wir konnten komplexe Konstruktionen zu Papier bringen und einfache sogar selbst fertigen. Wir erfuhren, welche Pflanzen essbar sind und wie man sie anbaut, welche Kräuter heilen und wie man sie richtig zubereitet.

      Emily und ich lernten unverhältnismäßig schnell. In jedweder Hinsicht. Bescheidenheit wäre hier schlicht unangebracht. Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschten wir jeweils bereits im Alter von fünf. Mit sieben Jahren stiegen wir in die höhere Mathematik ein. Wir lasen Texte auf höchstem Niveau. Wir kannten uns mit den Kulturen von Ländern aus, von denen viele nicht einmal wissen, dass sie existieren.

      Aber die Theorie genügte Fonti nicht.

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