Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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nach Grey Heaven und verbrachten die Nächte in einer Hafenherberge, während unser Schiff abreisebereit gemacht wurde.

      An unserem letzten Tag lagen Emily und ich nebeneinander auf einer Wiese unter einer Ulme. Es war ein Fleck Natur inmitten der grauen Hafenstadt. Das Gras wuchs hoch und verbarg uns vor Blicken. Das Sonnenlicht wärmte uns die Gesichter. Unsere Köpfe berührten sich fast, und wir lauschten dem Flüstern des Baumes.

      Bäume erzählten uns Geschichten. Wenn der Wind durch ihre Kronen strich, verwandelte sich das Rauschen in unseren Ohren in Worte. Die Bäume berichteten von Dingen, die wirklich geschehen waren. Von Geheimnissen. Es mag unglaublich erscheinen, aber es ist wahr. Einige Male hatten wir auf diesem Wege erfahren, dass etwas am Fuße eines Baums vergraben lag. Wertsachen, Diebesgut … Aber viel interessanter waren die Geschichten, die die Bäume erzählten. Fedlum, die Ulme, unter der Emily und ich an jenem Tage lagen, war über dreihundert Jahre alt. Ich glaube, ihm war nicht klar, dass wir lauschten. Wenn Bäume flüstern, ist es etwas zwischen Reden und Denken. Sie können sehr direkt sein, aber die meiste Zeit lassen sie einfach ihre Gedanken schweifen. Der Wind, der durch ihre Äste streicht, ist ihr ausströmender Atem. An windstillen Tagen scheint es, als holten sie nach jedem Satz tief Luft. Im Winter schliefen sie und nur selten murmelten sie im Schlaf.

      Wie die meisten Bäume fürchtete Fedlum sich vor Menschen. Viele seiner Freunde waren ihnen zum Opfer gefallen. Doch er mochte ihre Kinder. Seine Gedanken verweilten einige Zeit bei zwei Jungen, die sich gegenseitig die Mutprobe auferlegten, hoch hinauf zu klettern. Dann ließ er die Erinnerung an ein junges Liebespaar Revue passieren, das im Schatten seiner Krone heimliche Küsse tauschte.

      Jäh dachte er wieder an die Kinder. Ein dünner Ast brach, und einer der Jungen stürzte in die Tiefe.

      Ich schreckte hoch und sah zu meiner Schwester.

      „Dem Jungen ist nichts passiert“, sagte sie. Sie setzte sich auf und strich mir durchs Haar. Das tat sie oft. „Komm, gehen wir. Signore Fonti sucht uns bestimmt schon.“ Wir standen auf.

      „Wer als erster am Hafen ist …“ Sie fing an zu rennen.

      „Das ist unfair.“ Ich beeilte mich, ihr zu folgen. Natürlich war Emily schneller. Sie hatte längere Beine und war schon zwischen den Häusern jenseits der Wiese verschwunden, noch ehe ich dieselbe Strecke zur Hälfte zurückgelegt hatte.

      Das war das letzte Mal, dass ich sie sah.

      Als ich die Straße Zur See erreichte, war sie bereits weit voraus. So schnell ich konnte, folgte ich der abschüssigen Straße.

      „Vorsicht, Junge“, riefen die Menschen, einige verärgert, andere lachend. Je näher ich dem Hafen kam, desto intensiver wurde der Geruch nach Fisch und der Geschmack von Salz in der Luft. Schon konnte ich die Fregatte sehen, die Fonti für unsere Abreise vorbereiten ließ. Der Name des Schiffes leuchtete in goldenen Lettern auf dem Rumpf: Seven Worlds. Wieder spürte ich dieses Ziehen im Magen, das der Gedanke an das bevorstehende Abenteuer verursachte. Welche Wunder uns wohl erwarteten?

      Dann bemerkte ich das Schiff am Horizont. Etwas damit stimmte nicht. Ich wurde langsamer. Es schien noch weit weg zu sein und trotzdem war es ungewöhnlich groß. Es hatte viele Masten. Die Segel waren allesamt gehisst und blähten sich im Wind. Mit beachtlicher Geschwindigkeit kam es näher.

      Und bald erkannte ich, weshalb es aus der Ferne so seltsam ausgesehen hatte. Das Schiff war groß. Dreimal so groß wie das größte Schiff, das ich je gesehen hatte. Mit gepanzertem Rumpf und sechs Schornsteinen.

      Ich blieb stehen. Weitere Menschen folgten meinem Beispiel und gafften.

      Vor dem vordersten Segel entrollte sich eine riesige Flagge und offenbarte das Schlimmste: das weiße Skelett eines Raben, der auf schwarzem Grund dahinflog. Das Wappen des Piratenkapitäns Black Raven.

      Ein Seufzen ging durch die Menge. Nicht wenige machten auf dem Absatz kehrt und rannten. Gebannt beobachtete ich, was sich im Hafen abspielte. Ein kleines Dampfschiff hatte abgelegt und ergriff die Flucht. Sein Schornstein spie panisch Rauch in den Himmel. Vom Schiff Black Ravens ertönte ein Warnschuss. Der Dampfer dachte nicht daran, seine Geschwindigkeit zu drosseln.

      Im nächsten Moment folgte das Krachen dutzender Kanonen. Wasserfontänen spritzten auf, und der Rumpf des kleinen Gefährts wurde von Kugeln durchlöchert. Innerhalb kürzester Zeit versank der Dampfer im Meer.

      Vielleicht wusste der Offizier der Hafenverteidigung nicht, dass man mit Black Raven besser einen friedlichen Kompromiss fand. Vielleicht verlor er beim Anblick des sinkenden Dampfers auch schlicht die Nerven. Jedenfalls war dies der Moment, da er den Befehl gab, das Feuer zu eröffnen. Die dürftige Bemannung auf den Verteidigungsanlagen des Hafens richtete ihre Geschütze auf den Feind aus. Vereinzelte Schüsse ertönten.

      Langsam richtete das Schiff seine Steuerbordseite zum Land aus. Silberne Lettern auf dem gepanzerten Rumpf offenbarten den Namen des Gefährts: Swimming Island.

      Wenige Sekunden lang blickten die zu Schreck erstarrten Bürger Grey Heavens in die schwarzen Mündungslöcher von über sechzig Kanonen.

      Dann eröffnete die Swimming Island das Feuer. Rauch hüllte innerhalb weniger Sekunden das Piratenschiff ein. Die Kugeln zertrümmerten die im Hafen ankernden Schiffe und Bootsstege. Sie zerfetzten die Bäume, die entlang der Promenade wuchsen, rissen Löcher in Gebäude und brachten Türme zum Einsturz. Sie durchschlugen die Bürger Grey Heavens, die zu dumm gewesen waren, sich nicht in Sicherheit zu bringen, und die dürftige Anzahl an Soldaten, die sich bis dahin im Hafen eingefunden hatte. Ihre Leiber wirbelten umher oder wurden brutal zu Boden gerissen. Blutige Fetzen sprühten durch die Luft wie rotes Konfetti.

      Das Donnern der Kanonen wollte nicht enden. Längst lag der Hafen in Schutt und Asche. Leichen überall. Wie durch ein Wunder war ich noch am Leben. Ich konnte nicht begreifen. Mein Kopf war leer, meine Augen weit aufgerissen.

       Emily.

      Der Gedanke an meine Schwester brachte mich zur Besinnung. Sie war vermutlich schon auf der Seven Worlds gewesen, als der Beschuss begonnen hatte. Der Rauch der Kanonen war inzwischen herübergezogen und hatte das Hafenbecken und die Fregatte verschlungen.

      Ohne nachzudenken, rannte ich los und tauchte in den Nebel ein. Beißender Schwefelgeruch drang in meine Nasenlöcher. Meine Augen tränten. Ich sah nur noch verschwommene Schatten und wurde langsamer.

      Dann kehrte Stille ein. Grabesstille. Die Kanonen schwiegen. Niemand regte sich. Nur das Schwappen des Wassers an der Kaimauer war noch zu hören.

      „Emily?“

      Ich spitzte die Ohren. Nichts. War Emily vielleicht beim Anblick der Swimming Island geflohen? Oder war sie auf der Fregatte gewesen, als der Angriff begonnen hatte? Gab es die Seven Worlds überhaupt noch? Nun, nur eines war sicher: Emily war noch am Leben. Eine andere Wahrheit konnte ich nicht akzeptieren.

      Gerade wollte ich ein weiteres Mal den Namen meiner Schwester rufen, da vernahm ich Stimmen. Stimmen und das Platschen von Rudern. Die Silhouetten mehrerer bemannter Boote schälten sich aus dem Nebel.

      „Hoffe, da ist noch einer am Leben“, sagte jemand mit meckernder Stimme. „Hab schon viel zu lange niemanden mehr ausgeweidet.“

      Ein Knurren war die Antwort.

      Der erste stieß ein Lachen aus, das ebenso meckernd klang wie seine Stimme. „Na und? Ich will auch meinen Spaß.“

      Das

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