Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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klopfendem Herzen musterte ich die Silhouetten. Eine von ihnen war riesig, gewiss über zwei Meter groß, und doppelt so breit gebaut wie ein gewöhnlicher Mann. Auf seinen Schultern hockte ein Zwerg. Daneben zeichnete sich die Figur eines hageren Mannes ab, der in der einen Hand eine Sichel, in der anderen eine Pistole hielt. Ihm folgte ein Mann, der aussah wie ein Metzger: Er trug eine Schürze. In der Hand hielt er ein Hackmesser.

      Schon legten weitere Boote an, und eine große Zahl an Gestalten sammelte sich im Hafen. Keine ähnelte der anderen.

      „Also dann“, rief jemand. „Sehen wir nach, was es hier zu holen gibt.“ Die Menge setzte sich in Bewegung. Ich duckte mich tiefer, drückte das Gesicht an den kalten Stein und hoffte, dass meine Gestalt nahtlos mit dem Trümmer verschmolz.

      „Wen haben wir denn da?“ Die Stimme war ein dunkler Bass. Eine Hand packte mich am Kragen, zog mich zurück und warf mich rücklings zu Boden. „Einen Glückspilz.“ Der Mann, der mich entdeckt hatte, war ein Koloss. Jeder seiner Oberarme dicker als meine Körpermitte. Seine Haut war schwarz, seine wulstigen Lippen zu einem gnadenlosen Lächeln verzogen. Sein Haar hatte er sich bis auf einen schwarzen Streifen in der Mitte wegrasiert.

      Eine zweite Person erschien in meinem Blickfeld. Der Mann hatte kurz rasiertes Haar. Die Gesichtshaut war zur Hälfte geschmolzen, das rechte Auge milchig. In seinem unversehrten Auge lag ein irrer Glanz. Ein breites Grinsen tat sein Übriges.

      Er hob eine Sichel. „Kann es kaum erwarten, ihm den Bauch aufzuschlitzen“, sagte er und lachte meckernd. Er beugte sich zu mir herab, packte mein Handgelenk und zog mich auf die Beine. „Sieh gut her, Kleiner. Nicht viele haben die Ehre, mal einen Blick auf die eigenen Eingeweide zu werfen.“ Ohne zu überlegen, ohne zu zögern, packte ich den Griff der Pistole, die aus dem Gürtel des Irren ragte. Ich zog sie heraus, richtete ihren Lauf auf das Gesicht des Schwarzhäutigen und feuerte. Die Kugel verwandelte sein Auge in ein blutiges Loch. Der Mann taumelte mit einem auf komische Weise überraschten Gesichtsausdruck rückwärts und fiel.

      Der Irre schrie und schlug mir die Pistole aus der Hand. „Du kleines Stück Scheiße!“, brüllte er und erwischte mich mit der Hand so heftig im Gesicht, dass ich stürzte. Ich schmeckte Blut. „Jamaal. Dafür wirst du leiden …“ Er hob die Sichel.

      „Malaka!“ Eine Frau kam aus dem Nichts und verpasste dem Irren einen Faustschlag ins Gesicht. „Wir haben noch eine Rechnung offen.“

      Der Irre heulte vor Wut und Schmerz auf und warf sich auf seine Gegnerin. Kurz rangen die beiden miteinander. Wie gebannt beobachtete ich die junge Frau. Sie konnte kaum älter als Emily sein! Sie hatte ihr blondes Haar an einer Seite des Kopfes wegrasiert und sich verschlungene Ranken mit Blättern, die wie Augen aussahen, in die Haut stechen lassen. Ihre Bewegungen waren wild, kraftvoll und elegant. Schnell hatte sie ihren Gegner entwaffnet. Die Sichel fiel klingelnd zu Boden. Die Frau trat dem Irren mit Wucht vor die Brust, und der stolperte rückwärts und stürzte.

      „Mach lieber, dass du wegkommst“, sagte eine leise Stimme nahe bei meinem Ohr. Ich zuckte zusammen. Ohne dass ich es bemerkt hatte, hatte sich eine kleine Frau von hinten genähert. Ihre Haut war so dunkel wie Jamaals. Ihre Augen leuchteten. „Sam hat dir das Leben nicht aus Nettigkeit gerettet, sondern weil du dich um Jamaal gekümmert hast. Noch einmal hilft sie dir nicht aus der Klemme.“

      „Ella, Negrita“, rief die Frau, die die Schwarzhäutige Sam genannt hatte. Der Irre lag stöhnend zu ihren Füßen. „Gehen wir.“ Das schwarze Mädchen und Sam gingen davon.

      Ich kam auf die Beine. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet. Soldaten waren zur Verteidigung des Hafens eingetroffen. Brüllend stürzten sich die Piraten in den Kampf. Schüsse krachten. Männer schrien. Ich sah, wie der Riese den Zwerg auf seinen Schultern packte und ihn im Rennen mitten unter die Feinde warf. Er landete auf einem der Soldaten und stieß ihm einen Dolch in den Hals. Ich sah, wie der Metzger einem Gegner das Beil in den Hals rammte und ihm fast den Kopf von den Schultern trennte. Sah, wie ein Mann eine schwarze Kugel mit brennender Lunte mitten unter die Soldaten warf, wo sie nach wenigen Sekunden in einer Wolke aus Rauch und Blut explodierte. Es folgten Schreie, die von grausamen Schmerzen kündeten, vom Leiden und Sterben, eine Symphonie des Grauens.

      Der Verrückte am Boden stöhnte erneut und holte mich in die Realität zurück. Er richtete sich halb auf und funkelte mich aus dem gesunden Auge an. Die linke Hand presste er auf den Bauch, mit der rechten tastete er nach der Sichel. Speichel troff ihm von der Unterlippe.

      Ich wandte mich ab und rannte davon.

      „Lauf!“, schrie der Irre. „Mir entkommst du nicht.“ Ich hörte, wie er stöhnend auf die Beine kam und die Verfolgung aufnahm. Bald gelangte ich an die Kaimauer und lief einfach weiter auf einen Bootssteg. Zu spät wurde mir klar, dass ich in eine Sackgasse lief. Schon ertönten die Schritte meines Verfolgers auf dem hölzernen Untergrund.

      „Ich werde dich ausweiden!“

      Der Steg endete vor einem Schiff, das wie durch ein Wunder den Angriff der Piraten überlebt hatte – wenn auch nicht ohne Schaden zu nehmen. Nostalgie hieß es auf dem Rumpf. Ich rannte über die Brücke hinauf zum Hauptdeck. Überall lagen Schiffstrümmer. Zersprengte Fässer, deren Inhalt sich auf dem Boden verteilte: Tee, Korn, Gewürze, Schmucksteine …

      Ich riskierte einen Blick über die Schulter, stolperte über eine Leiche und wäre beinahe gestürzt. Mein Verfolger war mir dicht auf den Fersen. Ich rannte zum Hauptmast, der einen Meter über dem Deck abgeknickt war, und kletterte hinauf. Der Mast musste mit der Spitze irgendwo aufliegen, führte er doch aufwärts. Sein Ende verschwand im Trüben. Ich lief weiter. Mein Atem ging pfeifend. Der beißende Nebel brannte in meinen Lungen.

      Bald erkannte ich, wohin der Mast führte. Es war das Deck der Swimming Island. Das Krähennest der Nostalgie hatte sich in der Reling des Piratenschiffes verhakt. So hätte ich mühelos auf das Hauptdeck gelangen können. Aber spätestens dort hätte mein Verfolger mich eingeholt. Panisch suchte ich nach einer anderen Fluchtmöglichkeit. Mein Blick fiel auf das Segel. Es hing in Fetzen vom Rah. Das Tauwerk der Takelage hatte sich darin verheddert, und das Segel sich in einer Luke im Schiffsrumpf der Swimming Island verfangen.

      Ich zögerte nicht. Ich war damals ein Feigling, aber die Angst trieb mich zu einer mutigen Tat. Ich sprang. Im Fallen glitten meine Hände über das Segel und ich bekam eines der Taue zu fassen. Ein Ruck ging durch meine Arme. Mein Verfolger stieß einen überraschten Laut aus.

      „Glaubst du, so entkommst du mir?“, brüllte er. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie auch er sprang. Er flog nah an mir vorbei, während seine Hände hoffnungslos über das glatte Segeltuch glitten. Ich betete, dass er ins Wasser stürzte. Dann verriet mir ein neuerlicher Ruck, dass auch er Halt gefunden hatte. Kurz fürchtete ich, das Segel könne sich von der Luke im Schiffsrumpf losreißen. Doch es hielt. Ich vergeudete keine Zeit und kletterte durch das Durcheinander aus Tauen, Spieren und Segeltuch. Ich spürte ein Rucken, das durch die Seile ging, und wusste, dass mein Peiniger die Verfolgung erneut aufgenommen hatte. Ich fühlte mich wie eine Fliege, die einer wahnsinnigen Spinne ins Netz gegangen war.

      Unter großer Anstrengung erreichte ich die Luke und zwängte mich an der dahinter befindlichen Kanone vorbei aufs Batteriedeck. Zwielicht und klamme Kühle umfingen mich. Der Geruch von Rost lag in der Luft. Oder war es Blut?

      Ich rannte zum anderen Ende des Raums. Als ich einen von Öllampen notdürftig beleuchteten Gang betrat, hörte ich, wie mein Verfolger laut fluchend mit der Kanone rang. Ich rannte weiter, obwohl meine Oberschenkel brannten, als stünden sie in Flammen. Meine Schritte hallten laut auf dem eisernen Boden. Irgendwo tief unten im Schiffsrumpf ertönte ein stählernes Stöhnen. Ratten schlüpften aus Spalten in den Wänden, begleiteten mich ein Stück, fiepten und quiekten und verschwanden

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