Tatort Antike. Cornelius Hartz

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Tatort Antike - Cornelius Hartz

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Lähmung des Rückenmarks zur Folge hat. Von den Füßen aufwärts stellt sich eine Lähmung des Körpers ein, bis man schließlich erstickt, und das bei vollem Bewusstsein (auch wenn Sokrates’ Scharfrichter den Anwesenden gegenüber behauptet, dieser werde sterben, wenn die Lähmung das Herz erreiche). Dass der Delinquent den Becher selbst aktiv trinken muss, erscheint heute genauso grausam wie die Art des Todes, den der Trank verursacht. Doch immerhin behält der Verurteilte so bis zuletzt die Kontrolle über sein eigenes Leben und muss nicht in der letzten Sekunde seines Daseins passiv sein. Außerdem ist es eine Frage der Ästhetik: Wenn jemand vergiftet wird, dann bietet sein Leichnam einen schöneren Anblick als beispielsweis der eines Geköpften – und die Ästhetik ist im klassischen Griechenland eines der höchsten Ideale.

      Als Sokrates schließlich der Schierlingsbecher gebracht wird, sind wieder mehrere Freunde anwesend. Er leert den Becher ungerührt. Zu einem der Anwesenden spricht er seine letzten Worte: „Oh Kriton, wir schulden dem Asklepios einen Hahn. Opfert ihm den und unterlasst es nicht“ (Platon, Phaid. 118a). Dann stirbt Sokrates.

      Platon über den Tod des Sokrates

      Kriton winkte dem Jungen, der neben ihm stand, der ging hinaus und kam nach einer Weile wieder mit dem Mann, der ihm den Trank überreichen sollte, schon fertig zubereitet in einem Becher. Als nun Sokrates den Mann sah, sagte er: „Sprich, mein Bester, da du dich doch auskennst: Wie muss man das jetzt machen?“

      „Nichts weiter“, sagte dieser, „als trinken und danach umhergehen, bis dir ein Gefühl der Schwere in die Schenkel fährt; danach legst du dich hin. Dann wird es schon wirken.“

      Und gleichzeitig mit diesen Worten überreichte er Sokrates den Becher. Der nahm ihn mit freundlicher Miene, oh Echekrates. Und ohne zu zittern oder bleich im Gesicht zu werden, sondern so wie sonst auch sah er den Mann geradeheraus an und fragte ihn: „Was sagst du, ob man von diesem Trank auch ein Trankopfer darbringen kann? Oder lieber nicht?“

      „Gerade so viel“, sagte der, „bereiten wir zu, Sokrates, wie wir glauben, dass es ausreicht.“

      „Ich verstehe“, sagte dieser. „Aber zu den Göttern beten darf ich doch wohl (und das ist nötig), damit mein Weg von hier nach dort ein glücklicher ist: Also bete ich jetzt, und es möge geschehen.“

      Zugleich mit diesen Worten hob er den Becher an die Lippen, und er trank ihn mit gelassener Miene und ohne Zögern aus.

      Die meisten von uns hatten sich bis dahin zusammenreißen können und nicht geweint. Aber als wir nun sahen, wie er den Becher austrank, konnten wir nicht mehr an uns halten, und auch mir liefen die Tränen mit Gewalt, nicht als einzelne Tropfen, und ich musste mich abwenden und heftig weinen – aber nicht seinetwegen, sondern meinetwegen, da ich einen so guten Freund verlor. Kriton hatte sich sogar noch vor mir abgewandt, weil er seine Tränen nicht zurückhalten konnte. Aber Apollodoros, der schon in der Zeit zuvor ununterbrochen geweint hatte, brüllte nun beim Weinen laut los und erschütterte uns alle mit seiner Wut – außer Sokrates.

      Der sagte: „Was tut ihr denn, ihr wundersamen Männer! Aus genau dem Grund habe ich doch die Frauen fortgeschickt, damit sie nicht diesen Fehler machen! Denn ich habe gehört, dass man unter glückverheißenden Worten sterben soll. Also hört auf zu jammern und reißt euch zusammen!“

      Und als wir das hörten, da schämten wir uns und hörten auf zu weinen. Er aber ging umher, und als er sagte, ihm würden die Beine schwer, da legte er sich rücklings auf die Liege – dazu hatte der Mann ihn schließlich angewiesen. Dann berührte der Mann, der ihm das Gift verabreicht hatte, hin und wieder die Füße und die Beine. Er drückte seinen Fuß etwas stärker und fragte ihn, ob er das spüre. Er verneinte es. Danach die Knie, und dann immer höher, und er selbst zeigte uns, wie sein Körper nach und nach kalt und hart wurde. Dann berührte er ihn nochmals und sagte uns, er werde uns verlassen, wenn es ihm bis ans Herz ginge.

      Plat. Phaid. 117a–118a.

      Jacques-Louis David: La Mort de Socrate (1787). Metropolitan Museum, New York.

      Heute gilt der „Fall Sokrates“ oft als Musterbeispiel für die Verurteilung eines Unschuldigen. Gleichwohl konnten die Herrscher Athens damals natürlich kaum ermessen, welche Bedeutung die Lehren des (angeblich) kleinen, stupsnasigen Mannes mit der Glatze und dem langen Bart einmal haben würden. In ihren Augen hatte Sokrates das Gesetz übertreten, und zwar eines der wichtigsten Gesetze überhaupt. Sokrates war damals nun einmal einfach seiner Zeit voraus.

      Der Tod des Sokrates hat mehrfach in der Malerei als Motiv Verwendung gefunden; das wohl eindringlichste Beispiel ist Jacques-Louis Davids Gemälde La Mort de Socrate von 1787, das heute im Metropolitan Museum of Art in New York hängt. Seine Darstellung ist von der zentralen Szene aus Raffaels La scuola di Atene beeinflusst und zeigt Sokrates im Verlies aufrecht auf einer Bettstatt; den Schierlingsbecher ergreift er mit der rechten Hand, die linke zeigt nach oben, in Richtung Himmel (wie Platons rechte Hand bei Raffael). Er ist umringt von seinen wild gestikulierenden Schülern; allein Platon fällt völlig aus dem Rahmen, er ist am linken Ende des Bettes zusammengesunken und sitzt resigniert auf einem Stuhl, dem Geschehen abgewandt. Eine beeindruckende Leistung und ein Bild, das mehr zu sagen vermag als viele Worte. Und dem inzwischen die (zweifelhafte) Ehre zuteil wurde, als Vorlage für zahllose Internet-Memes zu dienen.

      Hetäre vor Gericht: Neaira (ca. 340 v. Chr.)

      „Unsere Hetären haben wir für das besondere Vergnügen, unsere Geliebten für die tägliche Befriedigung des Körperlichen und unsere Ehefrauen, um Kinder zu zeugen und unsere häuslichen Angelegenheiten zu regeln“ (Ps.-Dem. 59.122). Kaum zu glauben: Diese Worte kommen nicht vom Stammtisch in einer Athener Taverne und stehen auch nicht an einer altgriechischen Hauswand. Sie stammen aus der Anklagerede in einer Gerichtsverhandlung. Vor Gericht steht eine alte Dame um die 60 namens Neaira, und sie ist eine ehemalige Hetäre – eine Frau, die für Geld mit Männern schläft. Angeklagt ist sie jedoch nicht aufgrund ihrer früheren Tätigkeit als Prostituierte, sondern weil sie sich das Athener Bürgerrecht erschlichen haben soll.

      Dass wir so viel über den „Fall Neaira“ wissen, rührt daher, dass eine Gerichtsrede erhalten ist, ein Plädoyer des Anklägers Apollodoros, in der ihr Leben detailliert beschrieben ist. Lange dachte man, der berühmteste attische Redner, Demosthenes, habe Apollodoros diese Rede geschrieben, und sie ist auch unter seinen Reden überliefert; allerdings wissen wir heute, dass sie nicht von Demosthenes selbst stammt – daher wird ihr Urheber als „Pseudo-Demosthenes“ bezeichnet.

      Woher Neaira stammt, ist heute nicht mehr festzustellen. Zur Welt kommt sie etwa um das Jahr 400 v. Chr. Vielleicht ist sie eine Waise, vielleicht auch von ihrer Mutter ausgesetzt worden – auf jeden Fall wird sie im Alter von etwa zehn Jahren von einer Frau namens Nikarete gekauft, einer Bordellwirtin aus Korinth, einer Stadt, die als Handelsknotenpunkt berühmt-berüchtigt ist für ihr Rotlichtviertel. Schon bald muss Neaira ebenfalls anschaffen gehen, wohl noch bevor sie in die Pubertät kommt. Das Etablissement von Nikarete ist von der Qualität höherwertig, und Nikarete stellt den Kunden Neaira als ihre eigene Tochter vor – natürlich aus wirtschaftlichen Gründen: Der Verkehr mit freigeborenen Frauen erzielt nämlich bei den Freiern höhere Preise als der mit einem Sklavenmädchen.

      Der griechische Begriff „Hetäre“ (hetaíra) schließt streng genommen alle Varianten der käuflichen Liebe ein – von der billigen Straßenhure bis zur Edelprostituierten (vgl. Davidson, 96 f.). Im Falle von Neaira haben wir es wohl mit letzterer Ausprägung zu tun: Mädchen, die wie sie in einem hochwertigen Bordellbetrieb, manchmal auch auf eigene

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