Tatort Antike. Cornelius Hartz

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Tatort Antike - Cornelius Hartz

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sehr hochgestellte, zumindest reiche Männer und auch Intellektuelle zu sogenannten Symposien, wo man sich mit mehreren trifft, um zu speisen, zu trinken (bzw. sich zu betrinken), gehaltvolle Gespräche zu führen und anschließend oder währenddessen Sex zu haben. Und auch von der Hetäre kann unter Umständen erwartet werden, dass sie sich an solchen Gesprächen beteiligt – also muss sie nicht nur körperliche Voraussetzungen erfüllen, sondern auch intellektuelle Fähigkeiten besitzen. Sie soll sich in Literatur, Kunst und Musik auskennen, was man von den gewöhnlichen griechischen Frauen damals im Allgemeinen nicht erwartet (vgl. Ps.-Dem. 59.22).

      Wie bereits erwähnt, ist es nicht gerade billig, eine solche Hetäre zu „mieten“. Die berühmteste Hetäre der Antike, Rhodopis, von geradezu legendärer Schönheit, ruiniert Herodot zufolge mehrere Männer, die ihr ganzes Vermögen an sie verlieren (vgl. Hdt. 2.134 ff). Dass Neaira ebenfalls einen höheren Status hat, geht daraus hervor, dass nicht nur Neaira, sondern auch andere Mädchen der Nikarete damals weithin namentlich bekannt sind; sie tauchen in verschiedenen literarischen Werken auf – dies ist in der Regel nur bei besonders bekannten und mithin besonders teuren Hetären der Fall. Zu Neairas Kunden zählen bekannte Politiker, Philosophen, Sportler, Dichter und Schauspieler (vgl. Athen. deipn. 13.567c, 586e). Allerdings muss man in Betracht ziehen, dass sie trotz allem eine Sklavin ist, einen solch hohen gesellschaftlichen Status wie Rhodopis also nicht erreichen kann.

      Mit etwa 16 Jahren besucht Neaira zum ersten Mal Athen, als Begleitung einer Kollegin, deren Stammkunde, der bekannte Redner Lysias, die Reisekosten übernimmt. Ein paar Jahre später, 378 v. Chr., besucht sie die Stadt ein zweites Mal, diesmal in Begleitung eines anderen Kunden, der sie regelmäßig bucht: des Thessaliers Sinos (vgl. Ps.-Dem. 59.24). Es ist kurz nach dieser Reise, dass der Korinther Timanoridas und der Leukadier Eukrates Neaira kaufen. Sie sind ebenfalls Stammkunden bei Neaira und haben sich offenbar ausgerechnet, dass es für sie auf lange Sicht zu teuer ist, Neaira zu besuchen. So beschließen sie, die Sklavin zu kaufen, auch wenn sie dies eine ganze Stange Geld kostet – nämlich 3000 Drachmen (vgl. Reinsberg, 89).

      Etwa ein Jahr lang geht dieses Arrangement gut, dann will einer der beiden noch ledigen Männer heiraten; vielleicht sogar beide. Und nun zeigt sich wieder, dass Neaira eine hochklassige Prostituierte ist – allerdings ein wenig zu ihrem eigenen Nachteil: Timanoridas und Eukrates können oder wollen es sich nicht mehr leisten, sie zu unterhalten, und so bieten sie ihr an, sich freizukaufen – für 2000 Drachmen. Danach jedoch, so ihre Bedingung, müsse sie Korinth verlassen und dürfe nie wiederkommen (vielleicht wollen sie sichergehen, dass ihnen das ehemalige Objekt ihrer Begierde später nicht zufällig begegnet).

      Aus der Anklage des Apollodoros gegen Neaira

      Zeugenaussage: Philagros von Melite bezeugt, dass er in Korinth anwesend war, als Phrynion, der Bruder des Demochares, zwanzig Minen [= 2000 Drachmen] für Neaira, die hier vor Gericht steht, an den Korinther Timanorides und den Leukadier Eukrates zahlte, und nach der Zahlung brachte er Neaira fort nach Athen.

      Ankläger: Als er mit ihr nun hierherkam, verfuhr er mit ihr unbesonnen und leidenschaftlich, nahm sie überall mit hin zum Abendessen und zum Gelage. Er betrank sich ständig mit ihr zusammen, und sie hatten überall ganz offen Geschlechtsverkehr, stellten es für jedermann zur Schau, dass sie die Freiheit hatten, dies zu tun. Unter den vielen Häusern, wohin er sie mit zum Trinken nahm, war das des Chabrias von Axione. […] Dort hatten auch viele andere mit ihr Geschlechtsverkehr, als sie betrunken war und Phrynion schlief, darunter sogar die Sklaven, die bei Chabrias das Essen serviert hatten.

      Ps.-Dem. 59.33

      Nun läuft Neaira Gefahr, in die Fänge eines Zuhälters (pornobóskos) zu geraten, wenn sie das Geld nicht aufbringen kann (vgl. Davidson, 117 f.). Doch das verhindert ein großzügiger ehemaliger Kunde, ein Mann mit Namen Phrynion. Er hat sie früher oft gebucht, und die jetzige missliche Lage Neairas hat sich herumgesprochen bis nach Athen – dorthin nimmt Phrynion sie mit, und sie wohnt bis auf Weiteres bei ihm (vgl. Ps.-Dem. 59.30–32). Klar, dass Phrynion dafür eine Gegenleistung erwartet; und so nimmt er Neaira ganz ungeniert zu ausschweifenden Festen und Symposien mit. Die Anklage im späteren Prozess schildert eine solche Party im Sommer 374 v. Chr. in allen Einzelheiten.

      Phrynions Glück ist jedoch nicht von Dauer: Nur ein bis zwei Jahre später verlässt sie ihn. Er hat sie des Öfteren geschlagen, und Phrynions Lebensstil ist ihr auf die Dauer wohl auch zu anstrengend. Sie nimmt ihre Besitztümer mit und ihre zwei persönlichen Sklavinnen sowie einige Gegenstände, die zu Phrynions Besitz gehören, und macht sich auf nach Megara. Diese Stadt ist ebenfalls für ihr Nachtleben bekannt: Offenbar will sie wieder als Hetäre ihr Geld verdienen, diesmal aber auf eigene Rechnung. Doch sie hat hier wenig Glück. Aufgrund des zwischen Theben und Sparta tobenden Krieges läuft das Geschäft schlecht. Dennoch bleibt sie zwei Jahre in Megara, bis sie 371 v. Chr. Stephanos kennenlernt, einen reichen Mann aus Athen. Zunächst wohnt dieser eine Zeitlang bei ihr, dann nimmt er sie und ihre Kinder – sie hat mittlerweile zwei Söhne und eine Tochter zur Welt gebracht – mit nach Athen (vgl. Ps.-Dem. 59.35 ff.). Stephanos bietet ihr finanzielle Sicherheit, aber auch persönliche – wahrscheinlich fürchtet sie sich immer noch davor, dass eines Tages der rachsüchtige Phrynion vor ihrer Haustür steht.

      Und genau dies geschieht. Allerdings kommt es erst dazu, als sie mit Stephanos in Athen ist: Phrynion lässt sie entführen. Er sieht sie als seine Sklavin an und klagt Stephanos an, ihm sein Eigentum genommen zu haben. Stephanos sieht sich im Recht und reicht eine Gegenklage ein, und der Fall wandert vor Gericht (vgl. Ps.-Dem. 59.40). Entschieden wird der Fall jedoch nicht durch Richterspruch, sondern in einem außergerichtlichen Vergleich: Dabei wird bestätigt, dass Neaira keine Sklavin ist, sondern den Status einer Freigelassenen hat. Außerdem muss sie natürlich die Gegenstände zurückgeben, die sie von Phrynion mitgenommen hat und die diesem gehören. Zudem wird vom beauftragten Schlichter festgelegt, dass sie abwechselnd bei Phrynion und bei Stephanos wohnen und ihnen sexuell zu Diensten sein soll (vgl. Ps.-Dem. 59.46–48).

      Eine Zeitlang hat dieses Arrangement Bestand – wie lange genau, darüber lässt sich in der Quelle nichts finden. Irgendwann in den folgenden Jahren zieht Neaira offenbar wieder ganz zu Stephanos und lebt fortan mit ihm in einem eheähnlichen Verhältnis. Heiraten dürfen die beiden nicht, denn Ehen zwischen Athenern und Nicht-Athenern sind gesetzlich verboten.

      Nun macht die Anklageschrift einen Zeitsprung von zehn Jahren – und hier beginnt die Geschichte, kompliziert zu werden. Ein Mädchen mit Namen Phano, laut Anklage die Tochter der Neaira, wird von Stephanos einem Athener mit Namen Phrastor zur Frau gegeben. Mit Mitgift und allem, was dazugehört. Diese Ehe wird ein Jahr später wieder geschieden. Da ist Phano gerade schwanger. Zu seinen Gründen befragt, sagt Phrastor aus, Stephanos habe so getan, als sei Phano Stephanos’ eigene Tochter mit seiner ersten Ehefrau (vgl. Ps.-Dem. 59.50). Da er sich hintergangen fühlt, weigert sich Phrastor, die nicht unerhebliche Mitgift (3000 Drachmen) zurückzugeben. Was nun folgt, wirkt bekannt: Stephanos klagt Phrastor an, und dieser reicht eine Gegenklage ein. Ganz siegessicher scheinen sich aber beide nicht zu sein, denn die Klagen werden zurückgezogen. Kurze Zeit später erkrankt Phrastor – obwohl er sich von ihr hat scheiden lassen, kümmert sich Phano aufopfernd um den Kranken, zusammen mit ihrer Mutter Neaira. Ob dies aus reiner Berechnung geschieht, wie die spätere Anklage es interpretiert, oder aus Menschenfreundlichkeit – Phrastor setzt ein Testament auf, in dem er seinen und Phanos Sohn als legitimen Nachkommen und Erben anerkennt (vgl. Ps.-Dem. 59.50–59).

      Wiederum einige Zeit später, um 356 v. Chr. herum, erwischt Stephanos einen Mann namens Epainetos, der in seinem Haus zu Gast ist, beim Sex mit Phano. Der Hausherr macht sein Hausrecht geltend und hält Epainetos in seinem Haus fest, bis dieser ihm Schadenersatz in Höhe von (wiederum) 3000 Drachmen auszahlen lässt – wahrlich ein teures Vergnügen. Doch Epainetos lässt es damit nicht auf sich beruhen: Schon wieder muss Stephanos vor Gericht. Epainetos will seine 3000 Drachmen zurück; als Begründung gibt er an, Phano sei eine Prostituierte, weshalb das Hausrecht nicht gegolten habe. Er sei betrogen worden,

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