Fürchte die Dunkelheit. Peter Gerdes

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Fürchte die Dunkelheit - Peter Gerdes

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zur Ruhe gegangen, und die Sommernacht umfing ihn wie mit warmer Watte. Stahnke ließ die Glastür hinter sich zuschwingen und blieb stehen. Gerade­aus ging es in die Altstadt, nach Hause, ins Bett, zum wohlverdienten und verdammt nötigen Schlaf. Er gab sich einen Ruck, machte zwei, drei Schritte, blieb wieder stehen. Und wandte sich nach rechts. Was für ein Job, dachte er wieder und seufzte.

      Die Georgstraße, in der das Polizeigebäude thronte, war eine Tangente der Fußgängerzone und selbst teilweise eine Einkaufsstraße. Linker Hand ragte wie ein Riesenbauklotz ein Billigkaufhaus in den dunklen Himmel, rechts duckte sich eine Zeile gesichtsloser Filialgeschäfte. Dort, wo Stahnke kürzlich noch CDs gekauft und sich über die inkompetente Bedienung geärgert hatte, waren die Scheiben verklebt. Die Leeraner Innenstadt kränkelte schon länger, während sich die Center auf der grünen Wiese immer mehr wie die eigentlichen Marktplätze aufspielten. Das wurde bejammert, aber nicht wirklich bekämpft. Nicht mehr lange, und man würde die ganze Stadt aufs Land verlegen, überlegte der Hauptkommissar und grins­te. Dann konnte der ganze Zirkus wieder von vorne losgehen.

      An der Hauptpost knickte die Straße ab, als hätte man sie um den Betonblock mit dem gelben Horn herumgebogen. Ab hier ging es direkt auf den von einer großen schwarzgelben Untiefentonne gezierten Verkehrskreisel vor dem Bahnhof zu. Rechts davon lag das Zollhaus. Und davor der Parkplatz.

      Der Schattenriss des im Jahre 1865 erbauten Zollgebäudes mit seinen eckigen Zinnen hatte etwas von einer Ritterburg. Im vorderen Bereich des Gründerzeit-Kolosses gab es noch ein paar Diensträume der Zollbehörde, der größere Teil des Hauses aber wurde für kulturelle Veranstaltungen genutzt – bei weiter Auslegung dieses Begriffs, der auch Discoabende und Rockfeten einschloss. Zu solchen Anlässen wäre hier um diese Zeit der Bär los gewesen, auch draußen auf dem Parkplatz. Jetzt war alles menschenleer und still. Nun ja, relativ still, eben bis auf den kaum gedämpften Verkehrslärm und das Gebrabbel der Punker und Penner, die auf den Bänken vor dem Bahnhof hockten und dem Dosenbier tapfer die Treue hielten.

      Da, der kleine rote Twingo, das musste ihrer sein. Nicht weit davon war der Überfall geschehen. Dort hatte man sie gefunden, in einer Blutlache, die Tatwaffe neben sich. Die Tatortuntersuchung war abgeschlossen, eine Markierung nicht mehr zu erkennen. Alles längst von der Spurensicherung erledigt. Was also suchte er noch hier?

      Wieder spürte er das Beben und die vielen kleinen heißen Nadeln. Verdammt, dieser Blick.

      Er lehnte sich mit dem Hinterteil gegen einen Mercedes und ließ die Arme baumeln. »Nun mal sachte«, murmelte er vor sich hin. Analyse. Was ging mit ihm vor?

      Wie auf einer inneren Projektionswand sah er Sinas Gesicht, ihr spöttisches, spitzbübisches Lachen. Von ihr hatte er viel gelernt, wichtige Dinge, Dinge über Männer und Frauen, auch mit fast fünfzig noch. Eine tolle Zeit war das gewesen mit ihr, nicht nur von wegen »Alter Sack trifft Jungbrunnen«, auch sonst, eben – menschlich? Blöder Ausdruck, das klang ja, als sei schöner Sex etwas Unmenschliches. Aber wenigstens wuss­te er selber ja, was er damit meinte.

      Sina hatte ihm eine Menge beigebracht. Auch, dass manche Dinge nicht ewig dauerten. Und wie man sich auf anständige Art trennte.

      War es das? War es nur Hunger, Sehnsucht, einfach Sucht nach einer neuen Frau, einer jungen? Nach Ersatz? Indizien dafür gab es. KK Rosenbohm zum Beispiel. Seine begehrlichen Gedanken an sie waren ihm plötzlich peinlich. Mein Gott, er war drauf und dran gewesen, sich diese Frau schön zu gu­cken und zu denken. Dabei war sie doch überhaupt nicht sein Typ. Oder?

      Eigentlich hatte er gar keinen bevorzugten Frauentyp, überlegte er. Katharina, seine Exfrau, und Sina waren überhaupt nicht vergleichbar, und keine von beiden ähnelte Maike Rosenbohm. Oder Marion Haak. So sehr er auch für optische Reize empfänglich war, letztlich entschied für ihn doch die gesamte Persönlichkeit. Ob er sich darauf etwas einbilden durfte?

      Etwas anderes aber hatte sich geändert, keine Frage. Nachdem ihm Katharina den Laufpass gegeben hatte, war er jahrelang blockiert gewesen, hatte ihm die innere Bindung an seine frühere Frau neue Beziehungen unmöglich gemacht. Es hatte ewig gedauert, bis er sich davon emanzipiert hatte. Dann, ein paar Affären später, war das mit Sina passiert. Ausgerechnet mit der Freundin eines alten Kumpels! Das aber war »typische Männerdenke«, eine Einsicht, die er ebenfalls Sina verdankte. Sie als jemandes Eigentum zu betrachten, das wegzunehmen gegen ungeschriebene Gesetze verstieß, hieß eine Frau zum Gegenstand zu degradieren. Sina entschied schließlich selbst, wohin und mit wem sie ging. Das hatte das Ganze viel leichter gemacht. Komischerweise sogar Sinas spätere Entscheidung, wieder eigene Wege zu gehen. Ohne ihn.

      Das war es wohl: War er nach der Trennung von Katharina jahrelang wie vernagelt gewesen, so war er jetzt offen. Ganz normal, ohne Torschlusspanik. Ein Fortschritt, wenn man es genau nahm. Und eine Lösung.

      Die Verwirrung aber blieb.

      Stahnke stieß sich von der Limousine ab, die unter dem Rückstoß seines Hinterteils leicht in ihren Federbeinen erbebte. Gut, dass die Karre keine Alarmanlage hat, dachte er und mus­terte den Wagen. Gelbe Nummernschilder, aha, ein Holländer.

      Olthoffs Listen fielen ihm ein. Herrje, die hatte er ja völlig vergessen! Ein blöder, ein unverzeihlicher Fehler, schließlich konnten die Fahrzeuge, die der dicke Nachbar seinerzeit notiert hatte, auf dem Umweg über eine Halterfeststellung ein bisschen Licht in Frerichs’ Bekanntenkreis bringen. Wie hatte er das verbaseln können?

      Richtig. Nummer vier. Jetzt erinnerte er sich wieder. Die Nachricht vom vierten Kinderleichenfund hatte alles andere in seinem Kopf ausgelöscht wie ein nasser Tafelschwamm. Als ob Betroffenheit ein Ersatz für Professionalität und erprobte Routine wäre.

      Apropos Routine: Das Messer, mit dem man Marion Haak attackiert hatte, musste auch endlich mal aus dem Labor kommen. Und überhaupt, zu tun geben würde es mehr als genug.

      Langsam stapfte er davon.

      10.

      Ein leises Rascheln hatte sie geweckt. Zunächst sah sie nur die bauschigen Vorhänge, in denen sich das Licht der Straßenlaterne fing, und spürte den angenehm kühlen Luftzug. Dann bemerkte sie Sanna.

      Die gerade noch erfrischende Kühle verwandelte sich in beißende Kälte. Ihre Hände krallten sich in die Bettdecke und zogen sie hoch. Bis übers Kinn, die Nase, die Augen. Wärme, Geborgenheit, Schutz suchend.

      Sanna aber blieb.

      »Hör gut zu, Kleines«, zischte sie, »nur für den Fall, dass Roland nicht deutlich genug war. Dieses Weichei. Du weißt, dass wir keine leeren Worte machen. Das weißt du doch hoffentlich?«

      »Ja, das weiß ich«, stieß Nane hervor. Gierig saugte die Bettdecke ihre Worte auf.

      »Deine Warnung hast du ja gekriegt«, fuhr Sanna fort. »Aber wir haben noch mehr auf Lager. Wir haben noch mehr.«

      »Das weiß ich doch«, keuchte Nane. Der Bettbezug drang ihr zwischen die Lippen und verursachte ein pelziges Gefühl auf der Zunge.

      »Wir haben sie«, sagte Sanna. »Wir haben sie immer noch. Und wir werden sie auch behalten. Jetzt liegt es bei dir.«

      »Ja.« Nane schluchzte.

      »Also Maul halten«, sagte Sanna. »Maul halten. Niemals vergessen. Niemals ein Wort. Für immer und ewig.«

      »Ja.«

      Nane spürte Tränen auf ihren Wangen. Sie wusste, dass Sanna gegangen war. Vorsichtig schob sie das Oberbett hinunter bis unters Kinn. Laue Luft

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