DiGA VADEMECUM. Jörg F. Debatin
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Um der dynamischen Entwicklung digitaler Innovationen Rechnung zu tragen, wurde eigens ein Fast-Track-Evaluationsverfahren entwickelt. Administriert vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), beruht die Beurteilung nicht zwingend auf einem vollendeten Nutzennachweis, sondern kann sich zunächst auf die Evaluation einer mit systematischen Datenauswertungen unterfütterten Nutzenhypothese beschränken. Da eine Zertifizierung der DiGA nach der Medizinprodukterichtlinie (Medical Device Directive – MDD) bzw. der Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation – MDR) ebenso vorausgesetzt wird wie strikte Vorgaben zu Cyber Security und Datenschutz, ist eine schädliche Wirkung der Anwendungen so weit wie möglich ausgeschlossen. Darüber hinaus wurde das Fast-Track-Verfahren zum Ausschluss weitergehender Risiken auf DiGA der medizinprodukterechtlichen Klassen I und IIa beschränkt.
Die konsequente Integration von DiGA in die Regelversorgung in Deutschland ist weltweit einzigartig. Entsprechend aufmerksam wird die Entwicklung von vielen Seiten, nicht zuletzt vom deutschen Gesetzgeber selbst, verfolgt. So geht es in den kommenden Monaten und Jahren vor allem darum, Erfahrungen mit digitalen Gesundheitstools in der medizinischen Versorgung zu sammeln. Im Vordergrund stehen dabei zunächst der tatsächliche medizinische Nutzen der DiGA und die damit verbundene Akzeptanz bei PatientInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen. Kosten-Nutzen-Analysen werden ebenso Teil einer umfassenden Beurteilung sein, wie die Frage nach Adhärenz und Compliance aufseiten der PatientInnen.
Weitere Schritte, wie die Ausweitung des Zulassungsverfahrens auf DiGA der MDR Klassen IIb und III sowie der Fortbestand des Fast-Track-Verfahrens insgesamt werden direkt von den dokumentierten Erfahrungen abhängen.
DiGA VADEMECUM
In den kommenden Monaten und Jahren steht die Einführung der DiGA als „App auf Rezept“ im vorgesehenen gesetzlichen Rahmen im Vordergrund. Die Breite der gesammelten Erfahrungen wird sehr direkt von der Anzahl der entwickelten und letztlich zugelassenen DiGA abhängen. Und das bringt uns zum Sinn und Zweck dieses Buches.
Verfasst als schlanke Anleitung von Konzept über Zulassung bis zum erfolgreichen Produkt, ist das DiGA VADEMECUM als Unterstützung für die Entwicklung und Verbreitung digitaler Gesundheitsanwendungen konzipiert. Es ist eine Anleitung für Anwendungsentwickler von Start-ups bis etablierten Unternehmen. indem die notwendigen Schritte von der Idee bis zur erfolgreichen Markeinführung klar umrissen sind, schafft das DiGA VADEMECUM auch wertvolle Einblicke für Finanzierungspartner aus dem Venture Capital und Private-Equity-Bereichen sowie mögliche Vertriebspartner aus den Pharma- und Medizintechnikbranchen. Interessant ist das Werk auch für VertreterInnen der Krankenkassen, die sich mit der Abwägung von Nutzen und Kosten befassen. Letztlich schafft das DiGA VADEMECUM wertvolle Einblicke für ÄrztInnen und TherapeutInnen, die nicht nur lernen wollen DiGA sinnvoll zu verschreiben, sondern auch mit deren digitalen Output im Interesse einer besseren Gesundheitsversorgung ihrer PatientInnen umzugehen.
Das Vademecum, lateinisch für „Geh mit mir!“, ist ein seit dem Mittelalter etabliertes Format. Es steht für ein handliches Buchformat, das als praktischer Begleiter mitgeführt werden kann. im Mittelalter zunächst für theologische und liturgische Schriften verwendet, etablierte sich das Format vor allem für medizinische Handbücher. Vom Vademecum der speziellen Chirurgie und Orthopädie (Ziegner 1919), über das Vademecum für Pharmazeuten (Schmidt-Wetter 1975) bis hin zum Vademecum für die Onkologie (Schleucher et al. 2015) hat das Format nicht an Relevanz verloren. Wo im Mittelalter Aderlass, Harnschau und heilsame Kräuter thematisiert wurden, ist heute die digitale Medizin Gegenstand des Vademecums.
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Ich habe doch keine Zeit! Ein Überblick
Mit dem DiGA VADEMECUM möchten wir die gesamte Bandbreite an DiGA-Themen aus unterschiedlichen Perspektiven des Gesundheitswesens adressieren. Dabei müssen wir Autoren uns nicht auf die Theorie beschränken, sondern können auf unsere jeweiligen Erfahrungen zurückgreifen, die wir vor dem hih im (inter-)nationalen Gesundheitswesen gesammelt haben. Neben der Beratung von Unternehmen in der Praxis umfasst das insbesondere eigene Gründungserfahrung. Diese Erfahrung lehrt: Wer eine digitale Gesundheitsanwendung entwickeln will, muss die verschiedenen Themen in der Breite UND Tiefe durchdringen. Dieses Kapitel zu lesen, wird daher nicht reichen. Pardon. Aber um schneller zu finden, was man sucht, soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die folgenden Kapitel gegeben werden. Denn uns ist klar, dass neben der Regulatorik eine ganze Palette an Aufgaben und Herausforderungen auf GründerInnen wartet, die zumeist parallel gemeistert werden müssen: seien es die Entwicklung des ersten Prototypen, Sicherung der Finanzierung, HR, Steuern, Recruiting, Office Hunting und all die anderen Themen, die ebenfalls volle Aufmerksamkeit erfordern. Doch ohne die in diesem Buch geschilderten Themen wird deine DiGA nicht erfolgreich in das deutsche Gesundheitswesen gelangen.
Das Gesundheitswesen ist neben dem Finanzsektor der am stärksten regulierte Markt in Deutschland und das aus gutem Grund: Es geht um eines der höchsten Güter, die wir haben – die Gesundheit. Nicht alle Hürden sind notwendig, einige wurden von den UnternehmerInnen errichtet, die 20–30 Jahre vor dir hier gestartet sind, erfolgreich wurden und Konkurrenz, u.a. innovative, digitale Konkurrenz raushalten wollen. Aber die ganz überwiegende Mehrheit der Regulierungen gewährleisten, dass deine und alle anderen Produkte und Dienstleistungen rund um die Gesundheitsversorgung sicher, hochwertig, und wissenschaftlich nachgewiesen wirkungsvoll sind und darüber hinaus äußerst sensibel mit den anvertrauten (Gesundheits-)Daten umgehen.
Du wirst dieses gesamte Buch durchlesen müssen, um die Zusammenhänge in der Tiefe zu verstehen. Da gibt es keine Shortcuts. Einiges davon ist notwendige, manchmal zähe Regulatorik. Vieles ist aber (hoffentlich) pragmatisch geschrieben, um Menschen wie dich rascher in die Lage zu versetzen, gute, innovative DiGA an den Start zu bringen, die vielen Tausenden, womöglich Millionen Menschen den Umgang mit ihrer Krankheit erleichtern. Denn darum geht es.
Kapitel 3 Zeitenwende im deutschen Gesundheitswesen
Warum gibt es plötzlich einen Fast-Track, wie wird die Digitalisierung von ÄrztInnen, Krankenkassen, Krankenhäusern und PatientInnen wahrgenommen? Welche Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen stehen sonst noch an?
Bis 2016 gab es keine praktikable Möglichkeit DiGA im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in den Markt zu bekommen. Seit 2018 wird ein Feuerwerk digitaler Gesetzesvorhaben an den Start und in die Umsetzung gebracht. Krankenkassen haben früher als alle anderen Akteure DiGA erprobt, in Abwesenheit passender Regulatorik zumeist aber aus Marketingbudgets. Die übrigen Akteure sind eher skeptisch, auch weil Technik im Gesundheitswesen nicht immer einlöste, was sie versprach. Neben DiGA wird es ab 2021 eine elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Krankenversicherten (> 70 Mio. Deutsche) geben, die ein neues digitales Gesundheitsökosystem etablieren könnte. Und dann kommt 2022 flächendeckend das eRezept.
Kapitel 4 Hallo, ich bin neu hier, wie funktioniert das deutsche Gesundheitswesen?
Im Gesundheitswesen sind KundInnen oder User (fast) nie derjenige, der zahlt. Und der User bekommt seine DiGA nur, wenn er sie von Leistungserbringern (ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen) verschrieben bekommt, die als Gatekeeper einen Mehrwert in der Verschreibung sehen