DiGA VADEMECUM. Jörg F. Debatin
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Auch für PatientInnen dürfte jedoch die Haltung ihrer ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen entscheidend sein. Wenn diese ihnen eine DiGA ausdrücklich empfehlen und entsprechend verordnen, werden auch Patientengruppen jenseits der Early Adopter DiGA nutzen.
Wichtige Digitalisierungsprojekte neben dem Fast-Track
Neben dem DiGA-Fast-Track gibt es ein ganz wesentliches Digitalisierungsprojekt, welches Grundlage für viele weitere Projekte und Initiativen ist, und das – wenn erfolgreich umgesetzt – die Basis für ein florierendes digitales Gesundheitsökosystem in Deutschland schaffen könnte: Die Telematikinfrastruktur (TI) mit ihren Anwendungen wird der Digitalisierung im Gesundheitssystem enormen Vorschub leisten. Hierzu gehören die elektronische Patientenakte (ePA), der Notfalldatensatz (NFD), der elektronische Medikationsplan (eMP), das eRezept sowie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) (s. Kap. 10 ePA und TI – Ein Blick über den DiGA-Tellerrand). Diese Entwicklungen sollten alle Hersteller von digitalen Gesundheitstools stets im Blick behalten.
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Hallo, ich bin neu hier, wie funktioniert das deutsche Gesundheitswesen?
Wir kennen niemanden, der das gesamte deutsche Gesundheitswesen komplett versteht – aber keine Panik, wie der Hitchhiker’s Guide sagt, es reicht zumeist, wenn man sich einigermaßen orientieren kann. Wenn man Bismarcks Sozialgesetzgebung als Start nimmt, ist es über fast 140 Jahre gewachsen. Es ist ein hochkomplexes Gebilde, welches zum Großteil weniger von der Politik als von den eigenen Stakeholdern verwaltet wird (Stichwort gemeinsame Selbstverwaltung, s. u.). Es gibt kaum einen Teilbereich, der nicht umfangreich geregelt und vielfach reformiert wurde. Dieses Kapitel gibt einen knapp gefassten Einblick, um das Verständnis der weiteren Kapitel dieses Buches zu erleichtern.
Duales Versicherungssystem
Das deutsche Gesundheitswesen ist von einem Nebeneinander von gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversicherung (PKV) geprägt. Ca. 73 Millionen Menschen sind gesetzlich versichert. In der GKV werden alle Versicherten im Hinblick auf Leistungen und Beiträge unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit und ihres Bedarfs gleichbehandelt (Solidaritätsprinzip). In der PKV entscheidet der Versicherte, welche Leistungen er in Anspruch nehmen möchte und welchen Tarif er entsprechend zu zahlen bereit ist. Hinzu kommt, dass das individuelle Risiko, z. B. Vorerkrankungen, und der resultierende Bedarf berücksichtigt werden. Aus diesen und anderen Faktoren ergibt sich ein individueller Tarif (Äquivalenzprinzip). Anders als in der PKV gilt in der GKV, dass Versicherte nicht in Vorleistung gehen müssen und Kosten von der Versicherung erstattet bekommen; Versicherte erhalten Leistungen unmittelbar als Sachleistung oder Dienstleistung. Ansprüche von Versicherten auf bestimmte Leistungen zur Krankenbehandlung bestehen rechtlich gesehen gegenüber der jeweiligen Krankenkasse, die diese Leistungen allerdings nicht selbst erbringt, sondern sich gleichsam der Leistungserbringer bedient. Die Abrechnung erbrachter Leistungen erfolgt zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern. Es bestehen nur wenige Ausnahmen von diesem Grundsatz. Das führt dazu, dass regelmäßig Preise mit Krankenkassen oder gar einheitliche Preise für alle Krankenkassen mit dem Spitzenverband Bund der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband – GKV-SV) vereinbart werden müssen. So ist es auch bei den Vergütungsbeträgen für DiGA, bei denen der jeweilige DiGA-Hersteller Vergütungsbeträge mit dem GKV-SV verhandelt. Scheitern solche Verhandlungen, werden Vergütungsbeträge durch eine Schiedsstelle festgelegt.
Das klingt alles sehr aufwendig. Deutschland gehört jedoch zu den wenigen Ländern, in dem jede Bürgerin und jeder Bürger sowohl seine gesetzliche Krankenversicherung als auch seine ÄrztInnen, sein Krankenhaus oder seine Apotheke frei wählen kann, in beliebiger Kombination, und sich auch jederzeit ohne Angabe von Gründen umentscheiden kann. Trotz dieser vielen Freiheitsgrade, kommt die Krankenversicherung für alle wesentlichen Kosten auf.
Parallelwelten/Säulen im Gesundheitswesen
Die Dualität des Versicherungssystems im Gesundheitswesen ist nur ein Beispiel für dessen komplexe Strukturen. Das Gesundheitswesen fußt daneben auf drei Säulen, die sich in Auftrag, Governance und Finanzierung voneinander unterscheiden (s. Abb. 1).
Abb. 1 Die 3 Säulen des Gesundheitswesens in Deutschland
Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass es Gesundheitsämter auf Ebene der Landkreise bzw. der kreisfreien Städte gibt. Sie sind Teil des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Wenn das Land nicht gerade von einer Pandemie befallen ist, liegt der Fokus des ÖGD auf der Bevölkerungsgesundheit und der Prävention von Erkrankungen z.B. durch allgemeine Gesundheitsförderung aber auch durch Infektionsschutz. Der ÖGD ist für den DiGA-Fast-Track nicht relevant, weil DiGA erst im Krankheitsfall z. B. durch VertragsärztInnen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Digitale Gesundheitstools, um z. B. Infektionsketten nachzuvollziehen oder um den Gesundheitszustand von Menschen in Quarantäne zu beobachten, haben jedoch ein großes Potenzial. Diesbezüglich besteht erheblicher Nachholbedarf, der in den kommenden Jahren sicherlich gedeckt werden muss.
Neben dem ÖGD stehen die beiden kurativen Säulen des Gesundheitswesens. In der ambulanten und der stationären Versorgung geht es um die individuelle Versorgung des Einzelnen im Krankheitsfall. Die ambulante Versorgung wird von niedergelassenen, freiberuflichen oder angestellten ÄrztInnen, ZahnärztInnen, PsychotherapeutInnen und anderen Heilberufen wie PhysiotherapeutInnen oder ErgotherapeutInnen geleistet. Nicht jeder Healthcare Professional kann PatientInnen zulasten der GKV versorgen. Dafür braucht es eine sozialrechtliche Zulassung („Kassenzulassung“).
Niedergelassene ÄrztInnen arbeiten oft freiberuflich und sind entsprechend quasi als EinzelunternehmerInnen organisiert. Im Rahmen der stationären Versorgung im Krankenhaus sind Healthcare Professionals in der Regel angestellt tätig. Die beiden Sektoren unterscheiden sich zudem in der Vergütungslogik. In der stationären Versorgung erfolgt die Abrechnung auf Basis von Fallpauschalen, den sogenannten Diagnosis Related Groups (DRG). PatientInnen werden den Gruppen auf Basis ihrer Diagnosen, den im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren und weiteren Faktoren zugeordnet.
Für die Abrechnung in der ambulanten Versorgung ist der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) maßgeblich. Dieser definiert, welche Art von vertragsärztlichen Leistungen abgerechnet werden können und legt den sogenannten Punktwert für die Leistung fest. Durch den Punktwert wird der Wert der Leistung definiert. Der Wert eines Punktes wird regelmäßig angepasst, sodass sich die effektive Abrechnungshöhe genauso regelmäßig ändert. Ärztliche Leistungen in der Regelversorgung werden durch ein Gesamtbudget der Krankenkassen mit befreiender Wirkung an die Kassenärztlichen Vereinigungen vergütet, die die Verteilung der Gelder im Rahmen der Abrechnung übernehmen. In der ambulanten Versorgung werden ebenfalls Pauschalen abgerechnet, insbesondere in der hausärztlichen Versorgung. Hinzu kommt hier und insbesondere in der fachärztlichen Versorgung die Abrechnung von Einzelleistungen