Tausendfache Vergeltung. Frank Ebert

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Tausendfache Vergeltung - Frank Ebert страница 6

Tausendfache Vergeltung - Frank Ebert

Скачать книгу

alte David – er hat schon gewusst, warum er dich hierher schickt.“

      „Ich glaube, du machst dir falsche Vorstellungen von der Arbeit im Hauptquartier“, warf Al ein und fragte sich, was der Sarkasmus sollte. Der Begriff „Hauptquartier“ war eine von Al’s Sprachschöpfungen, die er seinem militärischen Wortschatz entlehnt hatte. Keiner außer ihm nannte die Chefredaktion „Hauptquartier“.

      Al war sich jetzt ganz sicher, dass Bill überfordert und nicht nur überlastet war. So dummes Zeug konnte nur einer daherreden, der mit seiner Arbeit nicht zurechtkam. Und warum kam er nicht zurecht? Weil ihm die richtige Einstellung fehlte. Al hatte die richtige Einstellung. Als Journalist einer weltweit verbreiteten Zeitung musste er immer damit rechnen, im Ausland eingesetzt zu werden, wenn er vorwärtskommen wollte. Und Al wollte vorwärtskommen. Schon damals bei der Marine war er bereit, für eine gerechte Sache einzutreten – und zwar dort, wo sein Einsatz gefragt war. Egal wo. Überall. Nicht wie die Stubenhocker, die die Welt nur aus dem Fernsehen kennen und die auf alle Probleme eine Antwort wissen. Hätte er in Los Angeles bleiben wollen, hätte er auch Gerichtsreporter beim Orange County Herald werden können, einer drittklassigen Provinzzeitung. Bill wäre damit wahrscheinlich auch überfordert!

      „Bill, ich muss dich was fragen“, warf Al ein, als Bill seinen Redefluss unterbrach, um Luft zu holen.

      „Später, Al, können wir alles später besprechen“, winkte Bill hastig ab. „Uns wird nicht viel Zeit für deine Einweisung bleiben. Die wichtigsten Kontakte – dann musst du selbst klarkommen“, fuhr er fort und schob Al auf den Gang hinaus.

      „Verlieren wir keine Zeit, fangen wir bei den Kollegen an.“

      Gegen Bills kleinkrämerisches Gedrängel wirkte Al’s vornehme Zurückhaltung wie das Verständnis eines Lehrers gegenüber pubertierenden Schülern.

      Sie traten in eines der anderen Zimmer. Die Tür war geöffnet.

      „Das ist Tom. Er schmeißt den Laden, wenn du raus musst. Und du wirst verdammt oft raus müssen. Das hier ist nichts für Stubenhocker“, lachte Bill in einer schadenfroh-ironischen Mischung.

      Was weißt du schon, dachte Al und schwieg. Es schien ihm das Beste zu sein, mit Bill keine Diskussionen zu führen. Mit dem Mann konnte er nicht diskutieren.

      Thomas Miller, ein unscheinbares, hageres Bürschchen mit einem pickeligen Milchgesicht, wirrem, rötlichem Haar und einer Nickelbrille machte mit seinen knapp dreißig Jahren auf Al den Eindruck eines pingeligen Buchhalters. Er arbeitete seit einigen Jahren für die LAN im Washingtoner Büro und war vor etwa einem halben Jahr nach Seoul gekommen.

      „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Sir“, säuselte Tom und streckte Al ungelenk seine Hand entgegen.

      „Nun hör’ dir das an, Bill! Sagt der doch glatt ,Sir‘ zu mir“, entrüstete sich Al, wobei er Toms Hand kräftig quetschte. „Hast du deine Leute zu Leibeigenen erzogen? – Tom, ich bin Albert Ventura. Und ich habe verdammt nichts dagegen, wenn man mich Al nennt. Im Hauptquartier heiße ich nur Al, klar?“

      „Okay – Al“, antwortete Tom kleinlaut und rieb sich die gedrückte Hand.

      „Und ich bin Sandy – Sandy Clay“, drängelte das kleine, mollige und fröhlich dreinblickende Wesen, das noch keine Chance gehabt hatte, sich an Tom vorbei Gehör zu verschaffen. Sandy arbeitete nun schon seit über einem Jahr im Seouler Büro.

      „Ach, Sie sind das?“, stellte Al überrascht fest.

      „Ja. Vom Telefon kennen wir uns bereits. Auf gute Zusammenarbeit, Al“, quietschte sie vergnügt.

      „Weißt du, Al, Sandy ist unsere gute Seele. Ohne sie läuft hier nichts, schon gar nicht die Kaffeemaschine“, fühlte sich Bill verpflichtet zu scherzen.

      „Sandy kümmert sich um den ganzen technischen Kram. Sie setzt nachts deine Berichte in die Redaktion ab und sie wirft auch den Chef aus dem Bett, wenn es sein muss – da kennt sie keine Verwandten“, ergänzte Tom.

      „David Benjamin Goldmann nachts wecken? Das hätten wir nicht einmal bei einem Erdbeben gewagt“, raunte ihr Al mit forschendem Blick zu, wobei er den Namen seines Chefs mit Würde und betonter Ehrerbietung aussprach.

      Das Mädchen schien gutmütig und fleißig zu sein.

      Kichernd verzog sich Sandy in ihr Büro. Auch Tom war wieder an seine Arbeit gegangen. Irgendwo quäkte das AFKN, der Nachrichtensender der amerikanischen Truppen in Korea …

      „Wie geht es jetzt weiter, Bill?“, wollte Al wissen, der es als Wohltat empfand, dass Bill für einen Moment den Mund hielt. „Am besten machst du es dir hier bequem, solange ich noch da bin.“

      Bill zog Al in einen der leer stehenden Räume.

      „Hier hast du auch eine Urne für deine Qualmerei.“ Als er Al’s verdutztes Gesicht sah, verbesserte er rasch: „Äh, ich meine einen Aschenbecher. Am Wochenende kannst du mein Zimmer übernehmen, ich bin gerade beim Aufräumen. Ich werde noch einige dringende Sachen erledigen. Dann könnten wir essen gehen. Ich lade dich ein. Bis gleich.“

      Bill drehte sich auf dem Absatz um.

      „Einverstanden“, rief Al hinterher und atmete auf. Die Hektik, die dieser Mann verbreitete, fiel wie eine Last von ihm ab. Al schloss die Tür hinter sich. Mit der bloßen Hand wischte er den Staub von der blank polierten, überdimensionalen Schreibtischplatte, untersuchte den Schrank und hängte seine Jacke hinein. Er machte sich daran, den Inhalt seiner Aktentasche sorgfältig auf dem Schreibtisch auszubreiten – seine Terminmappe, das Diktiergerät, einige Diktierkassetten, die nötigsten Schreibutensilien. Es würde noch einige Wochen dauern, bis er sich vollständig einrichten konnte. Seine Habseligkeiten verbargen sich in einem Schiffscontainer, der ihm in jenem Augenblick auf einem Frachter über den Pazifik entgegenschaukelte.

      Er setzte sich an den Schreibtisch und zündete sich eine Zigarette an. Behutsam stellte er den schweren, goldmetallfarbigen Rahmen mit Shing-hees Bild vor sich hin. Er legte sein Kinn auf seine Arme, die er auf der Tischplatte verschränkt hatte, sah das Bild lange an und blies dabei nachdenklich den Qualm vor sich hin. Er konnte es noch immer nicht fassen, dass ihm diese wunderbare Frau nie mehr gegenübertreten würde. Ein paar Monate vor ihrem Tod hatte er das Foto selbst aufgenommen, das letzte Bild von ihr. Damals, kurz nach seinem fünfzigsten Geburtstag, hatten sie einen kurzen Wochenendurlaub entlang der Pazifikküste unternommen. Auf dem Weg von Los Angeles nach Santa Maria hatte Shing-hee Al gebeten, in Los Alamos zu halten.

      Shing-hee hatte immer davon geschwärmt, ihren Lebensabend gemeinsam mit Al in Los Alamos zu verbringen. Al hielt dieses gottverlassene Nest mit seinen zwei Straßenkreuzungen inmitten einer Wüstenlandschaft für das Ende der Welt. Er konnte nie verstehen, was Shing-hee an den wenigen Häusern so aufregend fand. Nicht einmal eine Bar gab es. Er hätte eines der schmucken Häuschen in Long Beach oder in Santa Monica vorgezogen. Von ihm aus hätten sie auch in Rowland Heights im Orange County wohnen bleiben können. Im Hintergrund des Bildes flossen Kakteen und blühende Bäume ineinander. Shing-hee lächelte ihn mit leicht geneigtem Kopf aus dunklen, faszinierenden Augen an. Ihr Haar fiel sanft auf die rechte Schulter. Für einen Moment glaubte er, ihre Gegenwart zu fühlen. Damals war Frühling in Kalifornien …

      Ein zaghaftes Klopfen an der Tür riss Al aus seiner Versonnenheit. Er erschrak.

      „Ja.“

      „Oh, Al, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ein Kaffee gefällig?“, grinste Sandy und stand

Скачать книгу