Tausendfache Vergeltung. Frank Ebert
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Читать онлайн книгу Tausendfache Vergeltung - Frank Ebert страница 8
„Entschuldige. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit. In vier Tagen fliege ich“, schwärmte Bill. „Wahnsinn!“
Teils amüsiert, teils verständnislos schüttelte Al den Kopf. Er hatte er noch nicht erlebt, dass sich jemand Berge von Essen einverleiben und dabei ununterbrochen reden konnte. Bills Gedanken schienen sich zu überschlagen.
„Fertig“, stellte Bill erleichtert fest. „Ich bin fertig, Al.“
Bill schob die Serviette, mit der er sich seinen vollen Mund abgewischt hatte, auf den leeren Teller und schluckte den letzten Bissen hinunter.
„Wahnsinnig gut, die Dinger. Das Einzige, was man als Amerikaner in Korea verträgt.“
Empört sah Al ihn an.
„Lass dir ruhig Zeit, Al“, setzte Bill mit einem Blick zur Uhr nach. „Ich lasse schon mal die Rechnung bringen. Hoffentlich dauert das nicht so wahnsinnig lange …“
Al bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. Doch in dieser unruhigen Atmosphäre verzichtete er gerne darauf, aufzuessen.
Er steckte sich eine Zigarette an.
Bill redete unablässig weiter:
„Ich dachte mir, Tom und Sandy könnten dir heute Nachmittag einiges über die Redaktionsarbeit erklären.“
„Die Buchhalterseele und der Straßenkreuzer?“, fragte Al ungläubig.
„Lass mal. So wirr Tom auch aussieht – der Junge ist wahnsinnig clever. Du kannst dich auf ihn verlassen. Auf Sandy auch. Hundertprozentig!“
Al glaubte ihm bedenkenlos. Am Vormittag hatte er die einigermaßen aufgeräumten Büros der beiden gesehen. Ihm war klar, wer der Verursacher des organisierten Chaos in der Redaktion war.
„Das geht in Ordnung“, bestätigte Al. „Allerdings – ich hätte da noch eine Kleinigkeit zu erledigen – privat“, ließ er Bill geheimnisvoll wissen.
„Wo bleibt denn die Bedienung, verdammt noch mal?“
Bill schlug gereizt auf den Tisch.
„Spätestens morgen sollten wir zu Bob Woods gehen, Al.“
„Bob Woods? Wer ist das?“
„Robert O. Woods! Du musst ihn kennenlernen – Presseattaché in unserer Botschaft. Das ist eine Type! Wahnsinn, der Kerl. Trägt meistens Fliege. In Fachkreisen heißt er ,Fliegen-Bob‘. Kolossal wichtig. Außerdem wird er dir bei der Akkreditierung behilflich sein. Er kennt Tod und Teufel. Aber jetzt sollten wir wirklich los.“
Bill stand auf und zog sich umständlich den Hosenbund hoch.
„Hallo, zahlen bitte …“
Fahrig schleppte er Al zum Büro zurück. Al weigerte sich standhaft, die Straße noch einmal oberirdisch zu überqueren. Beiden perlte der Schweiß von der Stirn, als sie die Redaktionsräume erreichten. Aus Sandys Zimmer plärrte der amerikanische Nachrichtensender Popmusik. Sandy sang schräg mit – irgendeinen unverständlichen Text. An den Decken der Büroräume surrten gleichmäßig riesige Ventilatorenblätter.
Ohne sie, die die stickige, heiße Luft umschaufelten, war die Hitze auf der Etage unerträglich.
In Toms Zimmer schellte sich das Telefon wund.
4 Seoul, Redaktionsbüro der LAN
„Gut, Se Ung. Bis halb sechs – am Chogyesa-Tempel.“
Al legte den Telefonhörer auf und sah auf die Uhr. Es war kurz nach vier. Um halb sechs Uhr war er mit seinem Schwager Se Ung, dem Bruder seiner toten Frau, verabredet. Zum ersten Mal seit Shing-hees Tod würde er einem Mitglied der Familie Bae gegenübertreten. Er konnte nicht behaupten, dass ihm seit seiner Ankunft vor drei Tagen leichter zumute war. Im Gegenteil – ein mulmiges Gefühl bemächtigte sich seiner Magengrube. Sein Schwager hatte sich am Telefon ausgesprochen kühl angehört, als sie soeben den Termin verabredeten. Dass er mit Al überhaupt sprechen wollte, ließ ihm einen winzigen Hoffnungsschimmer.
„Ich gehe dann, Bill“, rief er Cooper zu, der in seinen Papierstapeln wühlte.
„In Ordnung, Al“, antwortete Bill knapp, ohne aufzusehen. „Und bitte, sei morgen pünktlich!“, setzte er nach.
Dieser Kleingeist! Als ob Al nicht selbst wissen würde, wann er zum Dienst zu erscheinen hätte, wenn sie einen Termin in der amerikanischen Botschaft hatten. Wieder einmal zog er es vor, nicht zu antworten, und verließ wortlos das Büro. Als er aus der Schwingtür des Hochhauses auf die Straße hinaustrat, kam es ihm vor, als würde ihm eine unsichtbare Hand den Hals zuschnüren. Er atmete tief durch und schlug den Weg nach Insadong ein, der engen Straße mit ihren Antiquitätengeschäften und Kunstgalerien.
Sein Weg führte ihn die Sejongno-Straße hinaus zu den prächtigen Anlagen des Toksugung-Palastes. Auf den steinernen Stufen mit den imposanten mittelalterlichen Bauten posierten Hochzeitspaare vor der malerischen Kulisse für Fotoaufnahmen. Dann schlenderte er an einigen der Kaufhäuser entlang, die das Rathaus umgeben. Er passierte mehrere Hochhäuser mit ihren zahlreichen ausländischen Botschaftsbüros und verweilte vor dem Koreanischen Pressezentrum. Es schien, als wollte ihn der gigantische Wolkenkratzer mit seinen über zwanzig Stockwerken erschlagen. Die US-amerikanische Botschaft war in einem eigenen, aber älteren und durch einen Vorgarten etwas von der Straße zurückgesetzten flachen Gebäudekomplex untergebracht.
Als er die Straße weiter hinaufging, fiel sein Blick auf das breite, bunt bemalte Tor des Kyongbokkung-Palastes, das die breite Sejongno-Straße nach Norden hin abschließt. Links und rechts bog auf mehreren Spuren vor dem Tor der Straßenverkehr ab, wie eine Reverenz an die längst vergangenen, aber immer noch lebenden Traditionen.
Shing-hee hatte ihm damals bei einem Spaziergang durch die Palastanlage die Geschichte der Choson-Dynastie nähergebracht. Geradezu ehrfurchtsvoll hatten sie von dem strengen, konfuzianischen Herrscherhaus erzählt: Es hatte nicht nur den Palast samt seinen prunkvollen Pavillons, Sälen und Hallen im vierzehnten Jahrhundert erbauen lassen und damit das heutige Seoul gegründet. Es hatte vor allem das koreanische Alphabet, das Hangul, eingeführt. Shing-hee hatte Al bei der Gelegenheit auch durch das Nationalmuseum geschleppt. An der Stelle des ehemaligen Museumsgebäudes klaffte heute hier lediglich eine tiefe Baugrube. Al konnte sich noch sehr gut an den imposanten Steinbau aus den Zwanzigerjahren mit seinen hunderttausend Exponaten erinnern. Er war damals zutiefst beeindruckt gewesen. Inmitten der hochbetagten Palastbauten hatte er das Museum aber irgendwie als unpassend empfunden. Nun, offenbar dachten auch Verantwortliche so.
Er folgte dem Straßenverlauf in östlicher Richtung. Nach einem kurzen Blick zum französischen Kulturzentrum hinüber, hinter dem sich die Dienststelle des CIA befinden musste, erreichte er auf einem kleinen Umweg den antiken Chogyesa-Tempel.
Eine Weile ging er vor dem Tempel nervös auf und ab. Seine Gedanken kreisten um seine verstorbene Frau und um ihre Familie. Shing-hees Eltern hatten der Hochzeit mit ihm damals nicht zugestimmt. Zu tief fühlten sie sich den alten konfuzianischen Traditionen verhaftet. Fleißig und nationalbewusst waren sie – und bei aller Bescheidenheit sehr stolz. Der Vater hatte im Krieg gegen die