Die Chroniken des Südviertels. Rimantas Kmita
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Читать онлайн книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita страница 18
Die raffste nicht, die Deutschen, also ziehen wir durch die Läden, und in einem sagt uns die Verkäuferin auf Russisch, ob wir was möchten: Schelajate tschewo nebudj. Soll wohl heißen, raus hier! Also gut, ich kann doch nicht sagen, dass wir nur Lenins in den Taschen haben und hier ne Preisvergleichsanalyse durchführen.
Auf unserer Tour durch die Stadt kommen wir zu so nem Laden. Schon von weitem sehe ich ne Glastür, aber nen Türgriff, den sehe ich nicht. Wir gehen näher, nö, da ist kein Türgriff. Wie gehts denn da rein? Noch nen Schritt näher zur Tür und sie geht von selbst auf. Ich glaub, mich knutscht n Elch! Wir gehen nen Schritt zurück. Nein, da bleibt einem ja die Spucke weg! Die sind wie in diesem Trickfilm – Sesam öffne dich. Aber hier funktioniert das ganz ohne Zauberspruch. Ich stehe da, betrachte die Tür erst von hier, dann von da. Die anderen gehen rein. Drinnen ist alles wie gewohnt. Menschen, die Verkäuferinnen wirbeln durch die Gegend. Nein, ich geh da nicht rein. Man muss da ja auch wieder raus, dann gibts da sicher ne Finte, und dann weiß man gar nicht, wie man rauskommt. Ich raffe diese Deutschen einfach nicht.
Und am Abend wieder n Meer von leuchtenden Worten. Du schaust in die Dunkelheit und es ist so, als wäre die ganze Straße von bunten Feuerwerken erhellt. Wo habe ich schon mal solche Farben gesehen? Vielleicht nirgendwo? In meiner Glotze ganz sicher nicht. Und es ist so, als würde alles nur für dich leuchten. Nur wegen dir. Und Weiber, bald Ischen, bald alte Weiber, kommen zu dir, sagen dir was, auch nur wegen dir. Und wenn sie begreifen, dass du nix verstehst, packen sie dich am Arm und zerren dich weg. Da schnallste dann, dass das Nutten sind und dass … Pfff, natürlich würde ich mitgehen, aber wie könnte ich, da in meiner Tasche nur Leninköpfe klimpern, in den Taschen der Deutschen aber Deutschmarks. Ja, der deutsche Trainer hat den seinen n paar Märker in die Hand gedrückt und gesagt, sie sollten was mit uns unternehmen. Und hat auch noch auf mich gezeigt – der versteht Deutsch. Na ja, in der Schule habe ich Deutsch gelernt. Und als n paar Schüler aus Deutschland auf nem Ausflug in unserer Schule vorbeiguckten, da ging das ganz gut mitm Quatschen. Nö, kein Ausflug war das, wie heißt das schon wieder, wenn man mit ner Schule im Ausland befreundet ist, einander Briefe schreibt und sich gegenseitig besucht. Aber ich wüsste nicht, dass wir uns Briefe geschrieben hätten. Vielleicht die Lehrerin, was weiß ich.
Diese Deutschen führen uns also durch die Stadt. Sie gehen in einer Gruppe vorneweg, wir hinterher. Wir geben uns Mühe, nicht zurückzubleiben, denn Menschen gibts hier in rauen Mengen, alles flimmert. Wir gehen in ne Kneipe, randvoll, kein Platz, dann gehen sie als Erste in ne andere und verschwinden. Wir warten, stehen vor Tür rum, sie kommen nicht zurück. Rundherum Nutten und du kannst ihnen nix sagen und auch sonst nix. Also gut, ich würde nirgendwo mit ihnen hingehen. Ich hätte Schiss. Hier in dieser fremden Stadt, weiß der Henker wo, mitten in der Nacht. Aber der Alte da ist pampig. Guck doch ma, wie ich aussehe und wie du aussiehst, willste vielleicht Jacken tauschen, wa? Ich will ihm n wenig Geld geben, der ist schon uralt … Aber was meinste? Der Alte zieht Leine, denn er checkt, dass wir weder die Spendierhose anhaben noch ihm was sagen werden.
Dann schicken mich meine Jungs nach drinnen. Ich latsche also in diese Kneipe, die Treppe runter in den Keller, und da finde ich sie.
Irgendwie easy, schon das zweite Weizen vor sich aufm Tisch. Ich zum Tisch und will, fuck, schon anfangen zu fluchen … Aber da stelle ich fest, ich kann gar nicht fluchen, nicht auf Deutsch. Also stammle ich was hervor … Bus … nach Hause … Bus … Und sie nur, ja, ja, und ich schleiche mich raus, in der Tasche schlagen die Lenins aufeinander, drehen und wenden sich, dumpf, niemand hört es. Na, und die Clique der Deutschen kommt nach zwei großen Bier, wies sich für anständige Leute gehört, wieder raus, die einen ziehen in die eine Richtung, die anderen in die andere davon, wir sehen schon, wir werden wohl hier über Nacht bei den Nutten bleiben, dann bin ich mit nem Satz bei einem von ihnen und sage laut und deutlich zu ihm – nach Hause fahren, nach Hause fahren, nach Hause … na … Der ziert sich erst, führt uns dann aber doch zur Straßenbahn und erklärt uns irgendwie, wo wir aussteigen müssen. Wir kehren zurück, ich liege im Wigwam, habe nen Scheißhunger, aber noch mehr will ich nach Hause, nach Šiauliai.
Und am nächsten Morgen ist das erste Spiel. Wie soll ich denn spielen, das ist doch Hannover. Wie soll ich spielen, wenn vor mir n Neger steht. N echter, keiner von MTV und auch keiner auf nem Plakat. Wie soll ich spielen, wo ich doch gestern vor nem UFO gestanden habe – ner selbstöffnenden Tür.
Natürlich herrscht aufm Platz n Riesendurcheinander. Alle machen, was sie wollen, nur nicht das, was wir gestern beim Training ausprobiert haben. Wo rennste denn hin?!, ruft der Trainer.
Was schreiste, verdammt noch mal, rum, denke ich. Haste vielleicht schon mal nem Schwarzen gegenübergestanden? Und überhaupt, herfahren, dauernd nur Autoinserate lesen, weiß der Teufel wo verschwinden, uns hängen lassen, keiner da beim Training, und dann brüllen: Wo rennste denn schon wieder hin?!
Eigentlich gar keine schlechte Frage. Die könnte ich mir auch selbst stellen. Du rennst, denn rennen ist besser, rennen und warten, dass einer zuschlägt. Aufm Gras liegen und sich fragen, wann das alles n Ende findet. Denn manchmal ist das eben so, dass man keinen blassen Schimmer hat, was da gerade abläuft, manchmal will mans auch nicht wissen, will nur, dass es möglichst bald vorbei ist. Man tritt den Ball ins Aus, macht Unsinn, schindet Zeit.
Zum Schluss wechselt der Trainer Artūriuks ein, der ist von den Älteren, sieht aber jünger aus. Da starten wir mit ihm noch n paar Attacken, dann sieht alles nicht mehr ganz so trübselig aus. Wir haben tüchtig was aufn Deckel gekriegt. Jetzt stehen wir völlig neben den Schuhen.
»Diese Neger stinken wirklich«, sagt Tomas beim Umziehen zu mir.
»Riech doch mal an dir! Vielleicht hat dir ja dieser Gestank eins auf die Rübe verpasst, dass du den Ball nicht gehalten und dich aufm Rasen gewälzt hast. Stimmt, es ist weich, das Gras, gut zum Sichwälzen …«
Sonst aber schweigen wir. Natürlich stinken diese Schwarzen. Auch mir. Na, irgendwie haben auch früher schon alle gesagt, die Neger würden stinken. Als die Mannschaft von Statyba nach Šiauliai kam, brachten die auch einen mit, die Beine dünn wie Streichhölzer, natürlich zu wenig Masse, um etwas zu riechen, aber sonst hätten doch nicht alle skandiert: Nigger go home! Aber wer hätte gedacht, dass wir hier in Deutschland gegen Schwarze spielen müssten? Das ist doch nicht Afrika hier! Mir scheint, diese Schwarzen haben uns alle ganz durcheinandergebracht. Wir sind mit der Losung RED ARMY GO HOME! aufgewachsen. Aber da, wo die dann schließlich doch hin sind, war für uns alles viel klarer. Mit denen verband uns die einzige Fremdsprache, die wir beherrschten, obwohl das gar keine wirkliche Fremdsprache war, als wir aufwuchsen, keine ausländische. Und jetzt preschen wir mit vollem Karacho in die andere Richtung, dahin, wo nix klar und alles farbig ist und glänzt. Und dann stören uns hier die Farbigen. Da müsste man sich n wenig geradebiegen und im Kopf für Ordnung sorgen.
Vielleicht stinken die Schwarzen ja wirklich, aber wir sind auch keine schlechten Knalltüten und stinken nachm Spiel ja selber. Na, nach all dem Gequatsche ab unter die Dusche. Da sind sie ja, die Duschen. Ja, Duschen, aber wo sind denn die Wasserhähne? Wir versammeln uns alle im Duschraum, der eine umgezogen, der andere nicht, wo zur Hölle sind die Hähne, wie sollen wir uns hier duschen? Was denn, wollen die uns etwa verarschen? Während wir so um die Duschen streichen, schießt n Wasserstrahl hervor, direkt auf Dariuks, der hat noch die Spielerkleidung an, das Bärchen. Wir halten uns die Bäuche vor Lachen. Das isn guter Witz, aber wir schnallen nicht sofort, wie das hier alles funktioniert. Man stellt sich unter die Brause und das Wasser kommt von selbst. Nein, das ist ja der Hammer! So was haben wir noch nicht mal in der Glotze gesehen. Und wo kann man das hier regulieren, wo ist warm, wo ist kalt? Ach egal, es kommt lauwarmes, das ist okay.
Die