Die Chroniken des Südviertels. Rimantas Kmita
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Читать онлайн книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita страница 15
Was labert ihr Schwuchteln da von Opfern – ihr sammelt eure Siebensachen jetzt ein, aber n bisschen dalli, und macht nen Abgang, schrie ich, ohne zu überlegen, Hauptsache, es klang wie Kriegsgeschrei und ich stinksauer. Ohne Warnung verpasste ich noch einem von diesen Armleuchtern eins mitm Fuß vor die Rübe, bevor er sich wieder einkriegte und checkte, was hier ablief. Die Menge wogte hin und her, alle waren happy und schienen vor Freude gleich ne Schlägerei starten zu wollen. Aber dann hörte man das Klirren von ner Kette, und Minde und ich nahmen wie nachm Startschuss die Beine untern Arm. Hinter uns hörten wir außer den Ketten noch Schwüre, dass sie uns erwischen und uns ne tüchtige Abreibung verpassen, dass sie uns kennen und wir nicht wissen, mit wem wirs aufgenommen haben. Wie immer nur leere Worte des Selbsttrostes.
Der Zug ratterte los, alle redeten wie immer übers Geschäft, nur ich schaute durchs Fenster auf die grauen Felder, und in meinem Kopf schwabbelte n grauer Brei. Immer die gleiche Platte: Ich stecke tief in der Scheiße, wie soll ich die Knete zurückgeben, was tun mit den Klunkern. In meinem Kopf stellte ich schon ne Liste der Tussen zusammen, denen ich sie verticken wollte. Zuoberst standen die mit Alten, die Kohle hatten. Minde schaute durchs andere Fenster, aber er dachte wohl ganz ähnlich. Unser Plan B mit den Klunkern aber wirkte schon jetzt völlig utopisch.
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Dad musste ich doch erzählen, wo die Würste verschwunden waren. Ich versuchte ihm weiszumachen, dass ich die Schulden abbezahlen würde, doch er winkte ab. Ich kapierte, dass ich die Knete nicht zurückgeben musste, aber auch keinen Cent mehr von ihm kriegen würde. Von den Ohrringen sagte ich ihm nix, denn die kamen mir selbst bescheuert vor.
Minde hatte irgendwo nen ganzen Haufen Popcorn-Magazine aufgetrieben. Ich blätterte darin und hirnte, wie ich diese Klunker absetzen konnte. Ich las was über Metallica, Guns N’ Roses und ähnliche Langhaartypen. Bei uns trieben die sich an den Straßenrändern oder in Kellern rum, aber da, sieh nur, mit was für Kohle die um sich warfen. So viel machte nicht mal unser Baranis. Wenn die sich in Šiauliai auf der Straße blicken ließen, dann kämen sie nicht ohne Abreibung davon. Irgendwie hatte ich das Gefühl, n bisschen Abwechslung an meiner Wand würde nicht schaden. Also hängte ich neben Rambo, SEL, Kris Kross und n paar Mädchen am Strand zwei von diesen Langhaartypen – Bon Jovi und Metallica.
Seit kurzem wusste ich, dass Kris Kross hier nicht nur mir gefiel. Im Training erwähnte ich beiläufig, dass ich ne Originalkassette von denen aus Polen mitgebracht hatte. Kris Kross konnte man auch hier in Šiauliai bekommen, aber im besten Fall als Kopie auf ner BASF-Kassette mit maschinengeschriebener Songliste drauf. Meine aber war von VOX MAD, aufm Cover n Farbfoto, na, alles so, wies sein musste. Original. Vom Markt in Polen. Vaiduks war Feuer und Flamme, verkauf sie mir, die muss ich haben. Wer Rap hört, ist cool, aber wenn du so ne Originalkassette hast, dann landeste sofort im Olymp der Obercoolen. Unverkäuflich, sagte ich, die brauch ich selber. Mir gefallen Kris Kross auch. Und ich wollte sie wirklich nicht verkaufen. Komm schon, verkauf mir deine Kris Kross. Ja, die habe ich, sagte ich zu ihm, was machste dich hier zum Affen. Ich habe sie und du nicht. Als wir aber übern vierfachen Preis sprachen, da musste ich überlegen. Seine Eltern hatten Geld wie Heu, also schraubte ich den Preis schamlos hoch, verkaufte das Teil und bereute es nicht. Nicht n einziges Mal. Ich fühlte mich besser und konnte mich an die Arbeit machen.
Hier begann mein langsamer und eher verzweifelter Weg aus der Scheiße. Mit der Losung »Wer hat, der kauft!« versuchten wir unseren Blechschmuck bei den Mädels aus der Klasse und ihren Freundinnen loszuwerden. Die Ohrringe bestanden aus kleinen Teilen, zu so ner Pyramide zusammengefügt und mit so Dingern dran, die wie kleine Eiszapfen aussahen. Ich band den Tussen den Bären auf, dass die von meiner seligen Großmutter sind und ich nur n einziges Paar habe. Die sind wahrscheinlich echt, sagte ich, das heißt aus Gold, was weiß ich. Zu Omas Zeiten gab es ja nur echtes Gold. Und ich brauche unbedingt Geld. Eine von den Schlaueren fragte, ob meine Großmutter vielleicht ne Zigeunerin war, dass sie solche Klunker trug. Aber ich gab mir alle Mühe, sie den Schlaueren gar nicht anzubieten. Du gehst zu so einer voller Sommersprossen, die Angst hat, in die Disco zu gehen, und wenn sie trotzdem kommt, dann steht sie die ganze Zeit in der Ecke, schaut den anderen beim Tanzen zu und träumt von so nem Prinzen, der auf seinem weißen Pferd schnurstracks in ihre Ecke galoppiert … Also, du gehst zu so einer und lügst ihr das Blaue vom Himmel: Die Klunker sind wirklich günstig, anderswo zahlste mehr, als ich die bekommen habe, dachte ich sofort an dich, denn die passen so gut zu dir, du wirst n ganz neuer Mensch sein damit, und du weißt ja selbst, dass die anderen voll scharf sind auf diese Ohrringe, wenn du die trägst, biste sofort ne coole Tusse …
Ein paar davon wurde ich los, wenn auch mit viel Mühe. Der Plan, es zuerst bei den Tussen zu versuchen, deren Eltern am meisten Kohle hatten, stellte sich als bescheuert heraus, denn die ließen sich durch die Blechteile gar nicht beeindrucken. Die mit weniger Knete würden sie ja nehmen, aber für die waren sie zu teuer. Ich konnte sie ja nicht für weniger als zwei Bucks weggeben. Das Leben ist grausam …
Mit den Mädels aus der Klasse waren keine guten Geschäfte zu machen, denn die wollten ja nicht mit denselben Klunkern rumlaufen, und wenn doch, so würden sie die einander ausborgen. Bei mir zu Hause aber lagen noch Berge von Klunkern rum, also bot ich die bei n paar von den Kommerzshops an. Okay, sagten die, aber wir brauchen nen richtigen Ausweis, der Schülerausweis reicht nicht. Also musste ich mit Dad herkommen, der seinen Pass vorzeigte, und auch beim Preis musste ich ganz schön nachgeben, damit auch sie Gewinn machen konnten. Minde wollte den Eltern nix davon erzählen, also sagte er zu mir, nimm meine fürn Drittel. Nein, du siehst doch, dass die nicht laufen, bist wohl nur zu faul zum Verticken? Ach, scheiß auf diese Klunker aus Falschgold, Gold kann ich selbst machen, meinte er. Gold ist doch n chemischer Stoff, n Metall, oder? Er hatte sich aus Holland n Buch kommen lassen, in dem stand, wie man Gold herstellt. Wenn schon die alten Ägypter das konnten, warum sollte das dann im zwanzigsten Jahrhundert nicht gelingen? Man musste sich nur ranhalten.
»Halt du dich nur ran. Aber wer hat in Riga schon wieder Märchen von Investitionen, immerwährender Nachfrage und der Sahara erzählt? Irgendwie sehe ich keine Durstigen hier, aber du gehst jetzt ganz ruhig für dich dieses Gold herstellen? Damit hätteste beginnen sollen. Oder schaff dir doch lieber nen Gold scheißenden Esel an. Den musste nur füttern und weiter nix. Nach Riga kann ich auch alleine fahren …«
»Wären wir zu den Hallen gegangen, dann hätten wir alles im Nu verkauft, aber nein, wir musstens ja unter der Brücke versuchen …«
»Schon gut, wenn du so n gescheiter Kerl bist und wirklich Gold herstellst, dann kannste mit Prophezeien anfangen.«
Also blieb mir noch der Markt. Sich dort die Beine in den Bauch zu stehen war gar nicht lustig. Aus irgendnem Grund hatte ich nicht die geringste Lust, dass mich n Nachbar oder n Bekannter dort mit diesen Klunkern in der Hand sieht. Aber man gewöhnt sich an alles. Als ich meine Mathelehrerin Wollsocken verkaufen sah, da schämte ich mich nicht mehr. Ganz Šiauliai arbeitete hier. Aber dieser Paukerin mit den Formeln wollte nix gelingen. Kein Riecher. Ob bei der Berufswahl, bei der Partei oder bei der Ware, die sie aufm Markt verhökern wollte. Wollsocken kurz vor Sommeranfang … Diese Lehrerin hatte einst im Korridor Jagd auf uns gemacht und uns angefaucht, wir sollten die Pionierkrawatten umbinden. N paar von uns trugen die nicht mehr, denn die schnürten echt den Hals zusammen, und außerdem musste man die vor dem Turnen abnehmen und danach wieder umbinden – noch nicht wieder auf normaler Betriebstemperatur und du musst dich mit diesem Würgeteil foltern … Jetzt aber hält uns diese Lehrerin bei jeder Gelegenheit die litauische Trikolore unter die Nase und treibt uns zu Veranstaltungen zum Lobe der litauischen Großfürsten oder von Kudirka, dem Autor der Nationalhymne. Ist das nicht ne zu plötzliche Wende in ihrem Alter? Die sitzt jetzt sicher auch noch in der Kirche in der vordersten Reihe. In den wenigen Jahren seit der Unabhängigkeit hat die ihre Flagge schon so abgenutzt, dass sie sich