Die Chroniken des Südviertels. Rimantas Kmita
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Читать онлайн книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita страница 10
Genau das taten wir dann auch. Wir fanden heraus, wo hier der größte Markt, dieses Stadion, ist, und wie man da hinkommt, und als wir dort waren, ließen uns die Ghettoblaster, Klamotten und anderen geilen und exotischen Teile den Speichel im Mund zusammenlaufen. Die Schlitzaugen brachten allen möglichen bunten Kram dahin, die Kasachen Wolle, da war alles, was das Herz begehrte, viele verscherbelten ihre Ware auf Pump. Und es wimmelte nur so von Käufern, also hätten wir leichtes Spiel mitm Verklickern der Waren in unseren Taschen.
Endlich kam unser freier Tag und wir machten uns schon am frühen Morgen zum Stadion auf. Der Handel hatte schon begonnen, dafür trieben sich dort jetzt schon nicht mehr nur die herum, die auf Pump kauften, um weiterzuverscherbeln, sondern auch Gaffer der einfacheren Sorte. Ich schmiss meine Tasche aufn Boden, ging n Schritt zurück und versuchte zu rekapitulieren, was ich alles mitgebracht hatte. Ich konnte kaum n paar Klamotten hervorkramen, da traten auch schon n paar Käuferinnen zu mir und fragten mich was. Wonach konnten die sich aufm Markt schon erkundigen, wenn nicht nachm Preis? Aber mir kam plötzlich in den Sinn, dass ich kein Polnisch konnte, und dass diese Sprache nur geringe Ähnlichkeit mit Russisch hatte. Ich antwortete dennoch auf Russisch – was hätte ich denn tun sollen? Aber wer hätte mir jetzt sagen können, wie viel ich wofür bezahlt hatte und wie viel ich für all die Höschen, BHs oder die irgendwo dazwischen versteckte Kaffeemühle verlangen soll. Glaubt ihr etwa, wir hätten tags zuvor, als wir den Markt ausgespäht und die Messer der Tschetschenen befingert hatten, daran gedacht, uns die Höschenpreise anzusehen? Ich stammelte irgendwas, die Kundinnen hielten es nicht mehr aus und streckten mir n paar Scheine hin. Ich fackelte nicht lange und nahm sie. Gar nicht schlecht, dachte ich bei mir, obwohl ich die Zlotys noch nicht im Schlaf in unser Geld umrechnete. Am meisten Mühe bereitete mir das Rausgeben. Wie sollte ich denn wissen, ob sies mir richtig gaben oder noch was raushaben wollten. Und wenn ich irgendwie doch raffte, dass ich was rausgeben sollte, dann musste ich lange wühlen, bis ich das Geld zusammengeklaubt hatte, ich bekam ja diese Scheine zum ersten Mal zu Gesicht. Also zupften sich die Frauen selbst ausm Bündel in meiner Hand, was sie brauchten.
Ich war platt vor Staunen. Die Kundinnen kamen zu meiner Tasche, zogen Klamotten hervor, wühlten drin rum, bis sie was Passendes fanden, legten den Preis fest, gaben mir das Geld, und in meinen Fingern schillerten die Zlotys mit ihren Königen und Generälen, während sich mir der Kopf von ihrem psze, psze im Kreis drehte, und ich mit Spannung darauf wartete, wie das alles ausgeht. Aber als meine Tasche schließlich leer war, da stellte ich fest, dass sowohl die eine als auch die andere Hosentasche und auch mein Geldbeutel prallvoll mit Scheinen waren, und das konnte nix Schlechtes bedeuten.
Ich warf mir also die leere Tasche über die Schulter und zog los, um abzuchecken, was man aus diesem Paradies mitbringen kann. Das war gar nicht so einfach, denn ich hätte am liebsten gleich alles gekauft: Sweatshirts, Jacken, bunte Shorts, Turnschuhe, bunte Plastikstrandschuhe … Natürlich gabs die auch bei uns, aber die Auswahl hier – echt abgefahren. Zwar liefen im Sommer alle in Strandschuhen rum, aber mit denen von hier ist man der Platzhirsch, die hatte wie die Mode der neuen Saison noch niemand gesehen.
Mir lief das Wasser im Mund zusammen beim Anblick der Ghettoblaster und der Kassetten. Alles original. Haddaway, Prince, Boyz II Men, Snoop Dogg, Shaggy, Snap und alles andere, was ich erst vor kurzem auf MTV gesehen hatte – und hier konnte ich die Cover in leuchtenden Farben anfassen. Aufm Markt in Šiauliai waren die Namen der Songs mit der Schreibmaschine oder auch von Hand draufgeschrieben, und aufm Rücken stand kurz und bündig, was drin war: Seite A – Bad Boys Blue 91, Seite B – Roxette 92. Hier aber wollte ich die eine oder andere Kassette allein wegen dem Cover kaufen.
Am schwersten fiel mir die Kaufentscheidung beim Chicago-Bulls-T-Shirt, denn ich musste die Jacke mit der Aufschrift Los Angeles Kings zur Seite legen. Die würde ich vielleicht auch in Šiauliai auftreiben, und außerdem waren die Bulls jetzt voll in Mode. Die gab es in allen möglichen Varianten und Farben, mit und ohne Jordan und Nummer 23, aber alle konnte ich ja nicht kaufen. Ich entschied mich für eins, auf dem Jordans Visage mit herausgestreckter Zunge fast die ganze Vorderseite bedeckte: Hoch in der Luft schmettert er den Ball von oben in den Korb, und du glaubst fast, du sitzt aufm Brett und kriegst gleich eins mitm Ball übergebraten. Am wichtigsten aber war das unten seitlich aufgenähte Etikett, auf dem gut lesbar stand, dass das Shirt n Original ist. Bei Fakeware fehlte die.
Da begegnete ich Dariuks und Sauliens – die waren auch schon fast fertig mit ihrer Shoppingtour. Wir vereinbarten, nachher zusammen zum Hotel zu fahren und dann noch auszugehen. Dieses Hotel befand sich natürlich am Stadtrand, durchs Fenster sah man so Felder und Gestrüpp, im Sommer weideten hier wohl Kühe. »Hotel« konnte man dieses Loch eigentlich nicht nennen, schon eher »Baracke«, aber im Ausland sieht halt alles viel korrekter aus.
Zum Treffen vor dem Hotel kommen die Kumpels schon mit ner Flasche Smirnoff. Also latschen wir alle zusammen in so nen Laden – wir brauchen doch was zu beißen dazu. Wir sehen uns um, Sauliens sagt, er hätte gern n Päckchen Kaugummi von ganz hinten in der Ecke. Während der Verkäufer es holen geht, beugen sich die beiden nach vorne, packen n Päckchen Camel, das neben der Kasse liegt, und nehmen die Beine unter die Arme. Ich hinterher – der Teaminstinkt funktioniert. Der Verkäufer nimmt mit nem weiß der Geier woher aufgetauchten Typen die Verfolgung auf. Wir rennen zu so nem Gebüsch – weit raus in die Pampa, um nicht auf die Polente oder andere Wohltäter zu stoßen. Wir sprinten über ne mit Reif bedeckte Wiese, vielleicht war das ja auch n Park – und weiter auf getrennten Wegen. Wie die Hasen im Trickfilm, in verschiedene Richtungen. Aber unsere Verfolger sind clever, einer heftet sich mir an die Fersen, der andere rennt Dariuks und Sauliens hinterher.
Kurzum, so sehr ich mich auch bemühe, ich werde ihn einfach nicht los. Wie sollte ich das auch mit diesen Schuhen. In denen spurteste und denkst – welcher Idiot hat mir gesagt, die sind super? Ja, die sehen geil aus, aber man rutscht nur – wie auf Schlittschuhen. Mein Cousin hat mir die angedreht – gute Schuhe, sagte er, original, keine Fakeware … Dem werde ich nie mehr was abkaufen … Ich spüre, gleich geht mir die Luft aus. Da nützt es dir n Dreck, dass dein Name auf der Tafel mit den Schulrekorden im Cross und Sprint seit ihrer Gründung steht. Aber woher haben die Polen denn nur solche Dauerläufer? Mir dämmert langsam, dass ich am Ende bin, wenn man mich im Ausland erwischt. Aus mitm Training, Schluss mit der Schule und mit den Eltern hätte ichs mir auch völlig verdorben.
Schließlich sprinte ich hinter so n Gestrüpp, jetzt sollte ich für ne Weile aus seinem Blickfeld verschwunden sein. Aber da ist n Graben. Den müsste ich