Die Chroniken des Südviertels. Rimantas Kmita
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Читать онлайн книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita страница 14
Wir sitzen fast nackt und ohne Dokumente da. In Gedanken verabschiede ich mich von der Knete, habe keinen Schimmer, wie ich meine Schulden bei Dad bezahlen soll, und an weitere Geschäfte ist nicht mal im Traum zu denken. Der Pleitegeier kreist schon über mir. Im besten Fall. Wenn man uns hier rauslässt. Und die es der Schule nicht mitteilen. Die Alten keinen Wind kriegen. In Riga eingekerkert – das wäre n Business. Ich schaue Minde an. Auch er hat die Hosen voll.
Den Polypen erzählen wir lauter Unsinn: Wir haben nicht gewusst, dass man ne Genehmigung braucht. Wir sind überhaupt zum ersten Mal hier. Meine Mutter ist schwer krank, die Medikamente aus staatlichen Beständen sind rationiert, die muss man zu Marktpreisen kaufen, dafür reicht n Gehalt nicht aus. Minde sülzt ihnen vor, sein Vater ist Alkoholiker, versäuft alles, was die Mutter verdient, alles gluck, gluck in die Kehle, verstehen Sie doch – was sollen wir denn da tun? Sie aber halten uns Vorträge über Hygiene, Sauberkeit, allen möglichen Scheiß, aber alle treiben genauso Handel wie wir, doch ne Genehmigung brauchen nur wir. Und falls wir eine hätten, dann wäre sonst was nicht in Ordnung. Die würden sagen, was verkauft ihr ohne weiße Schürze Würste? Die finden schon irgendwas, um uns das Leben schwerzumachen. Einer hält unser Gequatsche über die Probleme in unseren Familien nicht mehr aus und fragt:
»Was hat denn deine Mutter konkret?«
»Konkret … Ich weiß nicht … Ich weiß nicht, wie man das auf Russisch sagt.«
»Schon lange?«
»Ja, wir haben schon fast alles Ersparte aufgebraucht, Chef, verstehen Sie doch, wenn diese Krankheit nicht wäre, würden wir in der Schule sitzen, die müssen wir doch abschließen, etwas Vernünftiges muss man doch im Leben lernen …«
Sie haben offenbar genug von unserem Gelaber, drohen uns, wenn sie uns noch einmal erwischen, knallen sie nen Stempel in unsere Pässe und wir fahren nie wieder nach Lettland. Am besten aber wäre, wenn wir uns auch ohne Stempel nicht mehr hier blicken lassen. Und meine Mutter soll bald wieder gesund werden, und deine, sagen sie zu Minde, die soll diesen alten Bock rauswerfen.
Wir verlassen die Wache.
»Wir hätten wie Erlickas bauchreden oder Taubstumme spielen sollen«, sagt Minde.
»Du Genie, sag lieber, was jetzt?«
Wir stehen mit leeren Händen und Taschen da. Die paar grünen Scheine bei den Eiern wärmen nicht, drücken nur auf die Tränendrüsen.
Wo hätten wir die paar Scheinchen denn reinstecken sollen, um aus so ner Scheiße wieder rauszukommen? Mit Plakaten haben wir Šiauliai schon versorgt. Und Spiritus zu kaufen, wenn du gerade bei den Bullen zu Besuch warst, das wäre das Schicksal herausgefordert. Und weiter? Wir ziehen die Bucks aus der Unterhose hervor und hirnen. Muss was Billiges sein, denn wir haben nur neun Bucks zusammengeklaubt. Wir beschließen, nur ne einzige Ware zu kaufen: Bis du kapierst, welche Ware du gut raushauen kannst, vergeht Zeit, also besser kein Hin und Her.
Ich sehe, wie Minde bei so Glitzerzeug für Tussen rumsteht. Ich gehe zu ihm, und er sagt zu mir: »Wir nehmen diese Ohrringe.«
»Ohrringe? Was verstehste schon von Ohrringen? Was weißte denn, was den Tussen gefällt?«
Minde: »Ist doch schnuppe, was ihnen gefällt. Gold ist immer und überall Gold.«
Ich: »Die Indianer finden Alufolie schöner als Gold.«
Minde: »Das war einmal, nicht mehr. Und was sollen überhaupt diese Indianer?«
Ich: »Wir brauchen ne Ware, ohne die die Leute nicht auskommen. In die Sahara würdeste doch auch kein Gold mitnehmen, sondern Wasser und Brot.«
Minde: »Was kommste mir jetzt mit dieser Sahara? Ich rede von Investitionen. Willste vielleicht in Brotlaibe investieren?«
Ich: »Lassen wir das Gequatsche, ich möchte erst was zum Investieren haben.«
Minde: »Also, wenn du kein Gold hast, dann investierste in was Vergoldetes. Wenns nämlich ne Nachfrage nach Gold gibt, dann auch nach vergoldetem Mist.«
Mir wird ganz übel vom Zuhören. Aber vielleicht sollten wir ja mal tun, was Minde sagt? Genug für heute. Wir kaufen also diese Klunker. Dann haben wir viel billigen Mist. Wir investieren also unsere Bucks in vergoldete Blechdinger. Ich starre meine Hände an, die dem Verkäufer das Geld entgegenstrecken, und traue meinen Augen nicht. Jetzt bin ich n Juwelier.
Auf der Rückreise im Zug kam ich n wenig zur Ruhe, denn ich hatte keine Entscheidungen treffen müssen und die Grenze verursachte diesmal auch keinen Stress. Es kam also gar nicht so schlimm, wies hätte kommen können. Die Polypen hatten sich über unsere Elterngeschichten krummgelacht und uns gehen lassen. Das hätten sie nicht tun müssen. Aber ich saß dennoch ganz schön in der Scheiße. Statt sechzig Bucks brachte ich vergoldete Blechdinger nach Hause. Beschissener noch als die Lehrer, die ihre lausigen Talonai erhielten – aber auf Nummer sicher.
Was tun? Ich trainieren und Minde Van Damme spielen? Ohne Kohle ist auch der coolste Typ nur n Bauernlümmel. N mit der Mistgabel trainierender abgebrannter Depp. Wie Antans ausm Training. Einmal hatte der die Verteidigung durchbrochen und preschte vorwärts. Er sah sich noch um, ob ihn auch wirklich niemand verfolgte, und lachte happy dabei. Und so rannte er mit nem Affenzahn mitm Kopf in die Stange, dass er n paar Sekunden lang bewusstlos liegen blieb. Dann stand er auf, als wäre nix gewesen, und spielte weiter. Und genau diese Typen, die du nicht mal mit ner Keule erschlagen kannst, sind eben nicht cool.
Du kannst faktisch n Zwerg sein, aber mit genug Kohle und ner Gang haben alle ne Höllenangst vor dir. Oder du bist n Van Damme mit Chicago-Bulls-Trikot, aber das bringt dir rein gar nix. Wenn deine Mutter dir keine Kopeken gibt, dann lässt man dich nicht mal in die Disco, und eine aus der Klasse durchkneten, das kannste, wenn du Glück hast, am Ende des Schuljahres, wenn die ganze Klasse zelten geht. Könnt ihr euch etwa Van Damme vorstellen, wie seine Mutter ihm Schotter gibt? Zu Edita wollte ich nicht zurück. Ich drängte vorwärts, aber irgendwie ging alles den Bach runter.
Kein Geld, keine Geschäfte, also blieb nur Knochenarbeit. Was denn für welche, in der Stadt? Hier pflanzte niemand Rote Beete an und niemand mistete den Stall aus. Hier wurden Schutzgelder erpresst, Karren abgestaubt, Investitionschecks zusammengekauft. Aber das war ne andere Liga. Wir konnten im besten Fall Fahrräder aus Schuppen klauen, uns draufsetzen und den Tussen die Handtaschen aus der Hand reißen, aber bei diesen Cowboy-Mätzchen schaut nur ne Renterausweis-Sammlung raus, und dabei riskierste, mit Namen, Vornamen und Adresse in unserer Zeitung zu landen, sodass die Rentnerinnen schon bald ne Dauerdemo vor deinem Zuhause organisieren, oder dass du am Ende in der Besserungsanstalt einsitzt. Dasselbe galt für alle anderen Arten von Diebstahl – von Kupfer bis zu Hühnern.
Aber es gab noch andere Handarbeiten. Ich hatte schon n paarmal Petzern tüchtig den Arsch versohlt, auch wenns für ne Karriere als Bodyguard wohl noch zu früh war. N solcher Fall war, als n paar Fuzzis sich nach der Disco die Fäuste an Mindes Segelohren abreiben wollten. Sagten, er hat die Tusse von einem von ihnen angebaggert, obwohl sie eigentlich nur schlecht drauf waren. Ich aber war gleich ganz aggro drauf, und das nicht nur, weil die Minde anmachten. Wie Tadas Blinda, unsern Robin Hood, befällt mich manchmal so n bescheuerter Gerechtigkeitsfimmel, wenn ich sehe, wie sich ne Gruppe von Arschgesichtern aus heiterem Himmel vor lauter Langeweile über nen Typen lustig macht. Nach kurzem Gezanke, während dem sie ihn weiter weg von der Schule drängten, verpassten sie ihm eins auf die Lippe – das Blut quoll hervor. Ich sofort ihrem Obermacker eins in die Fresse, der hatte so was natürlich