Der Fluch der goldenen Möwe. Peter Gerdes

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Der Fluch der goldenen Möwe - Peter Gerdes

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kaum Zeit, zischend den Weg freizugeben.

      Schöner Feiertag, dachte Sina, als sie ihrer Patientin hinterher eilte. Karfreitag, was gibt es denn da zu feiern? Der Gedanke an das Wunder der Auferstehung des Fleisches kam ihr in diesem Augenblick absurder vor denn je.

      9.

      Stahnkes erster Gedanke war: eine schlimme Nase. Und sein zweiter: Schlimm, ja – aber doch nicht so schlimm, dass alles davor flüchten müsste!

      Genau das aber schien Dr. Henning van der Werfts Gesicht zu tun. Alles wich von dieser spitzen, langrückigen Nase mit den großflächigen Flügeln und den schmalen, langgezogenen Nasenlöchern zurück: das unscheinbare Kinn, die hohe, eingezogene Unterlippe, die Mundwinkel, die glatten Wangen, die tiefliegenden Augen, die fliehende Stirn und die nach hinten gekämmten, stark gegelten Haare mit den tiefen Geheimratsecken. Mit so einem Gesicht, dachte Stahnke, ist ein Mensch geschlagen. Auch ohne eine dick verpflasterte Wunde am Hinterkopf.

      Als Dr. van der Werft aber seinen schmalen Mund öffnete, begriff der Hauptkommissar, dass sich der Wunsch nach eiligem Zurückweichen nicht nur jenseits dieser spitzen Nase manifestierte, sondern auch diesseits. Und dass nicht nur der Träger dieses Fluchtgesichts ein geschlagener Mensch war, sondern dass dies auch auf alle zutraf, die mit ihm zu tun hatten.

      »Und wer sind Sie jetzt?«, herrschte van der Werft ihn an, kaum dass Stahnke das kleine Polizeibüro an der Langeooger Kaapdüne betreten hatte. »Noch so eine Insulaner-Existenz, die mir klarmachen will, dass hier alles seine Zeit braucht und ich mich doch bitteschön gedulden soll? Daraus wird nichts, mein Lieber! Ich bin es nicht gewohnt, vertröstet zu werden, und ich habe auf keinen Fall vor, meine Gewohnheiten zu ändern, bloß weil ich mich hier auf einer größenwahnsinnigen Sandbank befinde! Mein Anwalt ist schon verständigt, das kann ich Ihnen versichern. Und dem geht das Wörtchen ›Dienstaufsichtsbeschwerde‹ ganz leicht von den Lippen!«

      Stahnke widmete Lüppo Buss einen sondierenden Blick. Der durchtrainierte, kerngesunde und gewöhnlich sehr souveräne Inselkommissar zitterte wie ein Drahtseil unter Spannung, und seine rötliche Gesichtsfärbung signalisierte nicht wie sonst eine windanimierte gute Durchblutung, sondern gefährlichen Hochdruck. Der Hauptkommissar verstand, warum er gerufen worden war. Zeit, die Dinge hier ins Lot zu bringen.

      Er schritt auf den hölzernen Besuchersessel zu, in dem van der Werft Platz genommen hatte, baute seine zwei Zentner vor ihm auf, senkte seinen breiten Oberkörper über ihn und stützte seine Fäuste auf die Armlehnen. Dann sagte er laut und vernehmlich: »Schnauze.«

      Jetzt flogen auch van der Werfts wimpernlose Augenlider zurück, und sein Körper sank tiefer in den Stuhl, als presse ihn ein starker Windstoß hinein, ausgelöst von Stahnke, der somit wohl das Sturmzentrum darstellte. Aber der Doktor wäre nicht der durchsetzungsfähige Erfolgsmensch gewesen, der er war, hätte er nicht umgehend eine Reaktion gezeigt. Nach kaum einer Schrecksekunde stemmte er sich hoch, um zum Gegenangriff überzugehen, die langrückige Nase wie eine Speerspitze voran.

      So schnell van der Werft reagierte, Stahnke reagierte schneller, und zwar um den entscheidenden Sekundenbruchteil. Als van der Werft hochschnellte, hatte sich Stahnke bereits wieder aufgerichtet, was auf diese Weise nicht wie ein Zurückweichen wirkte, sondern van der Werfts Vorstoß schlicht ins Leere laufen ließ. Der Doktor zwinkerte verwundert; sein bereits geöffneter Mund blieb stumm.

      Spielchen, dachte Stahnke. Ach was, noch nicht einmal das: Mätzchen! Aber genau darauf stehen die doch, diese Chefs. Also bitte, Doktor, schluck deine eigene Medizin.

      »Wo war denn Ihr Anwalt, als Sie heute Nacht was auf die Rübe bekommen haben?«, knurrte er den Verwundeten an. »Und meinen Sie, Ihr Anwalt kann den Burschen ausfindig machen, der Ihnen den Hinterkopf verbeult hat? Ob der denn auch weiß, wo er eigentlich suchen soll? Oder glauben Sie, dass eine Dienstaufsichtsbeschwerde verhindern kann, dass dieser Typ nächste Nacht wiederkommt, um sein Werk zu vollenden? Glauben Sie das wirklich?«

      Van der Werft klappte den Mund zu. Über eine weitere Attacke auf ihn – eine mit der Absicht, ihn zu töten – schien er noch nicht nachgedacht zu haben. Eine Überlegung, die jedoch unangenehm nahelag. Und die aus Stahnkes Mund wie eine Drohung geklungen hatte.

      »Ich denke mal, dass Sie Schutz und Hilfe in dieser Angelegenheit wohl eher von uns erwarten, richtig?«, resümierte Stahnke, jetzt in ruhigerem Ton. »Und genau das wollen wir nun auch versuchen, nämlich Ihnen zu helfen und Sie zu schützen. Dazu aber benötigen wir umgekehrt auch Ihre Hilfe. Am besten, Sie setzen sich wieder, und wir unterhalten uns in aller Ruhe. Okay?«

      »Okay.« Van der Werft ließ sich zurück in seinen Lehnstuhl fallen. Stahnke warf einen Seitenblick auf Lüppo Buss; dessen Züge entspannten sich sichtlich. Für ihn schien sich der Anruf bei Stahnke bereits voll ausgezahlt zu haben.

      »Na denn.« Stahnke lehnte sich an die Kante von Lüppo Buss’ auf Hochglanz poliertem Schreitisch, die Arme vor der Brust verschränkt. »Bringen Sie mich mal auf Stand. Was genau ist passiert?«

      »Ich wurde angegriffen. Gestern am späteren Abend, bei der Melkhörndüne. Mit einem Knüppel niedergeschlagen«, referierte van der Werft knapp.

      Der Hauptkommissar nickte. Na bitte, das klang doch ebenso exakt wie kooperativ. Der Herr Doktor konnte also, wenn er nur wollte. »Darf ich fragen, warum Sie sich so spät noch dort draußen aufgehalten hatten?«

      »Ich war dort mit einem Geschäftspartner verabredet«, erwiderte van der Werft. Nach einem Blick auf Stahnkes erhobene Augenbrauen fügte er hinzu: »Ungewöhnlich, ich weiß. Die eigentliche Besprechung sollte ja auch schon mittags stattgefunden haben, in einem Restaurant. Aber da ist mein Partner nicht erschienen. Die Abend-Verabredung an der Aussichtsdüne war nur eine Ergänzung; ich hatte ihm wohl viel davon vorgeschwärmt, wie schön es dort abends ist. Daher wollte er das unbedingt auch mal erleben. Aber er ist dann ja doch nicht gekommen.«

      »Sind Sie sicher?«, fragte Stahnke.

      Van der Werfts Hand zuckte zu seinem Kopfverband. »Sie meinen …« Der Arzt überlegte einen Moment, schien die Möglichkeit, dass sein eigener Geschäftspartner ihn im Dunkeln überfallen hatte, ernsthaft zu erwägen. Dann aber schüttelte er den Kopf. »Das halte ich für ausgeschlossen. So ein Typ ist er nicht. Außerdem gab es überhaupt keinen Anlass. Alles, was wir gemeinsam an Geschäften betreiben, läuft gut. Die Verträge zwischen uns sind sauber und wasserdicht. Und auch die neuen Projekte, über die wir reden wollten, lassen sich gut an. Warum also sollte er über mich herfallen?«

      Aha, dachte Stahnke, so sieht der Herr das also. Gewalttätigkeiten bitte nur, wenn es auch Gründe dafür gibt, sonst nicht. Interessant, führt jetzt aber auch nicht weiter.

      »Wir reden hier doch von Dr. Lichterfeld?«, fragte der Hauptkommissar. »Dietz Lichterfeld, mit dem zusammen Sie auch die Tagesklinik in Leer betreiben. Er ist doch dieser Partner, mit dem Sie sich gestern treffen wollten, richtig?«

      »Stimmt.« Van der Werft legte den verbundenen Kopf schief: »Ich erinnere mich gar nicht, seinen Namen erwähnt zu haben.«

      Stahnke öffnete den Mund, wollte schon von der Vermisstenanzeige berichten, von der er durch Kramer erfahren hatte, entschied sich jedoch dagegen, schloss die Lippen wieder und machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Sollte dieser Doktor ruhig denken, er hätte schon gründlich recherchiert. Das wenige, das er bisher wusste, musste er van der Werft nicht unbedingt gleich auf die Nase binden.

      »Über Ihre gemeinsame Klinik wollten Sie sicher nicht sprechen«, sagte er stattdessen. »Dazu hätten Sie ja nicht extra nach Langeoog zu fahren brauchen. Worum also sollte es gehen? Haben Sie beide

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