Hätschelkind. Wimmer Wilkenloh

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Hätschelkind - Wimmer Wilkenloh

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erst einmal davon aus, dass die Bilder echt sind. Mit dem bloßen Auge sind zumindest keine Manipulationen zu erkennen, aber ich lasse sie noch einmal von einem Spezialisten überprüfen.«

      Rudolf Jacobsen wiegt seinen Kopf hin und her.

      Professionelle Abzüge! 20 x 30 in Schwarzweiß! Wer macht denn so was heutzutage noch?«

      Stephan Mielke zuckt die Achseln.

      »Wahrscheinlich privat abgezogen«, fährt Rudolf Jacobsen fort. »Oder in einem Spezialstudio. Ich bin zwar nicht der begnadete Fotoexperte wie unser kranker Kollege Hollmann, aber wenn jemand Schwarz-Weiß-Bilder hier in Husum in Auftrag gegeben hat, ist das bestimmt aufgefallen.«

      »Vielleicht sollten wir sicherheitshalber in allen Fotoläden nachfragen!«

      Püchel hebt den Kopf und blickt zu Silvia Haman, die mit ihren einmeterneunzig selbst im Sitzen die Männerrunde deutlich überragt.

      »Wäre das nichts für dich, Silvia?«

      Die dunkelblonde Beamtin grinst übers ganze Gesicht.

      »Aber sicher Heinz! Eine verantwortungsvolle Aufgabe für eine Kommissarin im besten Alter.«

      Püchel verzieht genervt seinen Mund und brummelt kaum hörbar.

      »Einer muss es ja machen!«

      »Du meinst eine muss es ja machen!«

      Püchel blickt flehend nach oben.

      »Noch gibt es bei der Kriminalpolizei keine Frauenquote für die Befragungen in Fotogeschäften, liebe Kollegin Haman.«

      »Dafür gab es hier schon immer eine Männerquote für dumme Sprüche!«

      »Wie wär’s, wenn ihr beide einfach wahrnehmt, dass ihr Mann und Frau seid!«

      Jan Swensen Stimme hat mit einem Mal eine sanfte Bestimmtheit. Doch als die beiden ihn daraufhin verständnislos ansehen, knurrt er: »Leute, könnt ihr euer Mann-Frau-Gerangel nicht nach Feierabend austragen?«

      »Genau meine Rede!«

      Heinz Püchel füllt seine Brust hörbar mit Luft.

      »Wir müssen die mutmaßliche Leiche finden und dazu dürfen wir noch eine unerledigte Brandstiftung, zwei Körperverletzungen und Einbrüche aufklären! Swensen übernimmt vorerst die Fotoleiche, Mielke und Haman bleiben mit dran. Ich kümmere mich um den Hubschrauber. Der Rest weiß was er zu tun hat. Also, an die Arbeit, Kollegen und liebe Kollegin!«

      In dem jetzt einsetzenden Gemurmel und Stühlerücken gibt Swensen per Handzeichen Stephan Mielke zu verstehen, dass er noch warten soll.

      »Sag’ mal, Stephan, wie heißt noch der junge Neue bei den Streifenkollegen, dieser Computerfreak?”

      »Jan-Erik Metz!«

      »Gibt es Irgendetwas, wovon ich nichts wissen soll?«

      Silvia Haman hat sich von hinten an die beiden Männer herangepirscht. Stephan zuckt erschreckt zusammen und dreht sich ärgerlich um.

      »Nein, liebste Silvia!«, zischt er aufbrausend. »Wir arbeiten hier nicht beim Geheimdienst.”

      »Und warum dann dieses konspirative Treffen, null null Mielke?«

      »Silvia!« Mielkes Augen blitzen zwischen den leicht zusammengekniffenen Lidern. »Ich gebe ja zu, dass vor 6000 Jahren der Ackerbau von den Männern übernommen wurde und die Frauen sich deshalb mucksch hinter den Herd zurückzogen haben. Aber heute ist heute. Frauen dürften in der Zwischenzeit immerhin so qualifiziert sein, dass sie die Stelle einer Kriminalbeamtin auch ohne Komplexe ausfüllen können, oder?«

      Silvia Haman starrt Mielke fassungslos an, ringt angestrengt nach einer Antwort, doch ihre sprichwörtliche Schlagfertigkeit scheint wie weggeblasen.

      »Und noch eins, Silvia, und das gilt ein für alle Mal. Selbst wenn ich noch nicht lange dabei bin, sehe ich den IQ-Quantensprung ins kriminaltechnische Zeitalter für Frauen als abgeschlossen an.«

      »Das versteh’ ich nicht.«

      Silvia dreht sich Hilfe suchend zu Swensen. Der zuckt nur stumm mit den Achseln und es entsteht ein drückendes Schweigen. Er ist über Mielkes unvermittelten Ausbruch irritiert. Er hatte ihn in der kurzen Zeit ihrer Zusammenarbeit immer als eher unsicher erlebt. Warum plötzlich dieser vehemente Angriff gegen Silvia? Wie ist Mielkes Beziehung zu Frauen eigentlich, hat er überhaupt eine Beziehung? Im Grunde wissen wir nichts voneinander. Obwohl wir so viel Zeit miteinander verbringen, arbeiten wir meistens nur nebeneinander her.

      Einsamkeit ist der Wassertropfen im Meer. Der Satz seines Meisters Lama Rhinto Rinpoche fällt Swensen ein und sein Blick verliert sich im Leeren. Er sieht sich, wie er vor über 30 Jahren mitten in einem buddhistischen Tempel eines kleinen Schweizer Dörfchens meditiert. In Hamburg hatte er kurz zuvor ein Philosophiestudium begonnen und war gerade im dritten Semester, als einige Kommilitonen ihn mit dem Spruchband ›Unter den Talaren, der Muff von tausend Jahren‹ aus seinem Studentenschlendrian befreiten. Ab da schaffte er nur noch weitere drei Semester und die 68er hatten ihm seine drohende spießige Karriere ausgeredet. Er schmiss sein Studium, wollte unbedingt seinem bürgerlichen Trott entfliehen um sich dann für drei Jahre in einer noch festeren Norm wieder zu finden. Vor Tagesanbruch aufstehen, waschen, zwei Stunden meditieren, Frühstück, wieder meditieren, Mittagessen und so weiter, Tag für Tag, Woche für Woche.

      Bleib achtsam, sagt eine innere Stimme. Intuitiv bemerkt er im Augenwinkel, wie Mielke Luft holt, um zu einer wahrscheinlich neuen Attacke gegen Silvia anzusetzen. Mit ruhiger Stimme kommt Swensen ihm zuvor.

      »Ich würde mich freuen, wenn wir in Zukunft bei der Arbeit alle ein wenig mehr in uns ruhen könnten.«

      Um die Wirkung seiner Worte zu unterstützen setzt er eine gezielte Pause.

      »Momentan haben wir genug andere Dinge zu tun, als die Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu ergründen.«

      Dann dreht er sich zu Silvia.

      »Außerdem können wir uns die abtörnende Klappertour durch die Fotoläden der Provinz ja teilen. Du fährst nach Heide rüber und ich mache Husum.«

      »Und was wolltest du jetzt von Metz?« fragte Stephan Mielke sichtlich entspannter.

      »Mir ist die Idee gekommen, das Foto von der Leiche im Computer so weit bearbeiten zu lassen, dass wir ein brauchbares Fahndungsfoto veröffentlichen können.«

      »Klar, selbst wenn wir die fehlenden Augen nicht 100%ig rekonstruieren, reicht es vielleicht aus, dass jemand die Frau erkennt! Ich schätze, der Metz kriegt das ziemlich schnell hin.«

      Mielke stürmt los, Swensen und Silvia Haman hasten hinterher. In der Flurmitte werden sie von Heinz Püchel gestoppt.

      »Übrigens, das mit dem Hubschrauber wird auch heute nichts! In Flensburg ist der Hund los, aber das habt ihr sicher schon selber im Fernsehen mitbekommen. Es geht um die kleine Beatrix aus Glücksburg, die seit drei Tagen vermisst wird. Im Moment brauchen die da oben alle Dinger, die sie kriegen können.«

      Bei dem Namen Beatrix durchzuckt das Fernsehbild der Eltern Swensens

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