Hätschelkind. Wimmer Wilkenloh

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Hätschelkind - Wimmer Wilkenloh страница 7

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Hätschelkind - Wimmer Wilkenloh

Скачать книгу

du uns hörst, Beatrix, Bleib stark! Wir suchen so lange, bis wir dich finden!«

      Nach dem Essen mit Anna hatte Swensen den Fernseher wegen der Nachrichten angeschaltet. Wie aus dem Nichts sprang ihn das geballte Leid an. Bei dem Fall Beatrix waren seine Augen feucht geworden und er ertappte sich dabei froh zu sein nichts mit dem Fall zu tun zu haben. Zuständigkeitsbereich Flensburg.

      »Na, Hauptsache sie finden die Kleine.«

      Swensen spürt, wie ihm bei den Gedanken an die Zuständigkeit der Flensburger Kollegen das schlechte Gewissen in den Nacken schleicht.

      »Ja, und nun?« fragt Püchel etwas irritiert. »Wir können hier doch nicht einfach abwarten und Tee trinken!«

      »Was sollen wir denn machen? Die Kollegen vom Wasserschutz kommen nicht weit genug ins flache Watt. Außerdem kann man eine im Wasser schwimmende Leiche von einem Boot aus sowieso kaum sehen.«

      Swensens Ausführungen machen Püchel sichtlich nervös. Er zieht hastig seine Zigaretten aus der Jackentasche und zündet sich eine davon an.

      »Dazu kommt, dass es nicht klar ist, wohin sie durch die Gezeitenströmung und bei dem Unwetter am Wochenende getrieben worden ist. Vielleicht müssen wir einfach solange warten, bis die Frau irgendwo angeschwemmt wird. Aber diesbezüglich kennen sich die Kollegen vom Wasserschutz bestimmt aus. Die ›Sylt‹ liegt im Husumer Hafen. Ich ruf da einfach mal an. Es wird sowieso höchste Zeit, dass wir mal langsam die Küstenpolizei informieren!«

      »Ja, Jan mach das!« Keine 10 Sekunden und Püchel ist schon von einer großen Wolke umgeben. Swensen weicht automatisch zurück, näher an Silvia Haman und Stephan Mielke heran, die sich auch schon auf Distanz begeben haben.

      »Macht das mit dem Foto bitte schon mal allein, ich geh’ erst mal telefonieren und komm dann gleich nach.«

      »Danke, Jan! Ich sehe, die Sache ist bei dir gut aufgehoben.«

      Im selben Moment ist Püchel wieder in seinem Büro verschwunden, nur sein Zigarettenrauch steht noch im Raum und schwebt in feinen Spiralen langsam zur Decke.

      * * *

      Es ist zehn Uhr vorbei. Feierabend. Gerade hat er die Eingangstür seiner Videothek verschlossen, die Kasse geöffnet und begonnen, die Einnahmen zu prüfen. In dem Moment, als er das Kassenbuch aus der Schublade nehmen will, dringt ein leises Stöhnen an sein Ohr.

      Der Laden besteht aus drei ehemaligen Zimmern, die er durch das Aushängen der großen Durchgangstüren zu einer Gesamtfläche vereint hat.

      Das absonderliche Geräusch kommt eindeutig aus dem hintersten Raum. Er merkt, wie die Angst ihn unwillkürlich im Nacken packt und spürt dabei gleichzeitig den zwanghaften Drang nachzusehen. Irgendetwas treibt ihn voran, Schritt für Schritt. Im schummrigen Licht schweben die grellbunten Kassettencover in den Regalen an seinen Augen vorbei, erst die üblichen Hollywoodstars in ihren Heldenposen, dann die unbekannten Mädchen mit den gespreizten Schenkeln. Hier hinten ist das Geräusch mit einem Mal verstummt. Dafür bemerkt er eine Tür in der Wand, die ihm bis heute noch nie aufgefallen war. Mit den Händen fegt er die Pornokassetten vom Regal, die wild durcheinander zu Boden poltern. Ein Griff wird sichtbar. Doch bevor er ihn herunterdrücken kann, springt die Tür auf. Wie besessen reißt er einige Regalbretter aus der Verankerung und zwängt sich mühsam durch die entstandene Lücke. Eine schmale Treppe führt nach oben ins Dunkle. Das Holz knarrt unter seinem Gewicht. Er ertastet ein Loch in der Decke. Vorsichtig hebt er seinen Kopf über die Kante und blickt in einen großen Saal. Ganz am anderen Ende dringt ein schwaches, flackerndes Licht durch die Ritzen eines mächtigen Samtvorhangs.

      Ein Kino, durchzuckt es ihn. Nein, ein Marionettentheater, genau, das kann nur das Marionettentheater aus Storms ›Pole Poppenspäler‹ sein.

      Langsam gewöhnen sich seine Augen an die Dunkelheit. Er kann die purpurrote Farbe des Stoffes erkennen.

      »Komm herbei, Hajo Peters, komm herbei!«, krächzt eine unwirkliche Stimme, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt. Trotzdem wird er von ihr willenlos angezogen.

      »Ja, Peters, hierher! Hierher du erbärmlicher Feigling!«

      Schrecken und Neugier kämpfen in ihm. Jetzt steht er direkt vor dem Vorhang, genau in der Mitte, wo sich beide Hälften treffen. Seine Hände dringen durch den Spalt und teilen ihn. Vor ihm, auf Augenhöhe, baumelt an feinen Schnüren aufgehängt eine Holzfigur. Sie trägt einen gelben Nankinganzug und ihr Kopf ist vornüber gesunken. Die Nase, die groß wie eine Wurst ist, liegt auf der Brust.

      »Der Kasperl!«, stammelt er. Da hebt sich ruckartig der Kopf der Marionette.

      »Freili, der is allimal dabei!«

      Die Figur klappt ihren hölzernen Mund auf und zu und das Holz knackt dabei wie eine alte Eule mit ihren Kinnbackenknochen.

      »Bist also kommen um auch noch deinen alten Freund zu bestehlen? Peters du elender Dieb!«

      In Panik schließt er den Spalt. Sein einziger Gedanke ist Flucht. Doch bevor er sich umdrehen kann, geht ein helles Licht an. Im selben Moment öffnet sich der Vorhang und die Vorstellung beginnt mit einem Gong. Der Kasperle auf der Bühne wirkt auf einmal noch größer und lebendiger. Unter seinem rechten Arm klemmen die Pappdeckel mit den Romanblättern des Theodor Storms.

      »Wie kommst du Wicht an mein Eigentum!?«, schreit er zornig und stürzt sich auf die Holzfigur, um ihr die Schriftstücke zu entreißen. Doch Kasperles Arm ist hart wie Eisen. Er zerrt aus Leibeskräften an der Umklammerung. Auf einmal tut es einen leisen Krach im Innern der Figur.

      »Mörder!«, kreischt eine Frauenstimme hinter ihm. Entsetzt fährt er herum. Vor ihm steht Edda und hält ihm eine Pistole unter die Nase.

      »Woher hast du die Waffe?«

      »Aus deiner Schublade, unten im Laden!«

      »Edda, so lass dir doch alles erklären!«

      »Was willst du noch erklären, Hajo? Einmal Mörder, immer Mörder!«

      »Nein, das ist doch alles so nicht wahr! Neiiiin!!!«

      Schweißgebadet schießt er im Bett hoch. Seine Augen tasten durch den dunklen Raum. Keine Edda, kein Kasper, kein Theater, nur sein Schlafzimmer. Benommen sieht er auf die Leuchtanzeige des Weckers, drei Uhr fünfzehn. Der Sekundenzeiger scheint zu stehen. Langsam dämmert es ihm, dass er nur einem Albtraum entkommen ist. Die nächste halbe Stunde verbringt er mit dem Versuch, wieder einzuschlafen. Er wirft sich ärgerlich von einer Seite auf die andere. Es nützt nichts, er ist und bleibt hellwach.

      Wo ist sie bloß geblieben, die Edda, denkt er und macht für diese Ungewissheit seine Dämonen in der Nacht verantwortlich. Tag für Tag hatte er in der letzten Woche jede Zeitung, die ihm unter die Finger kam, nach einer Nachricht über einen Leichenfund im Watt durchgeforstet, ohne Erfolg. Edda bleibt wie vom Erdboden verschwunden.

      Das unerwartete Vakuum verunsichert ihn zutiefst. Manchmal hat er das Gefühl, als fiebere er der Entdeckung förmlich entgegen.

      »Höchste Zeit, dass der Trubel endlich losgeht«, murmelt er und steigt aus dem Bett. Nachtwandlerisch tappt er durch die Dunkelheit bis in die Küche, öffnet den Kühlschrank und greift sich eine Flasche ›Flens‹. Mit dem rechten Daumen schnippt er den Bügelverschluss auf und nimmt einen kräftigen Schluck. Der Alkohol wirkt sofort. Er lässt sich

Скачать книгу