Hätschelkind. Wimmer Wilkenloh

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Hätschelkind - Wimmer Wilkenloh

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Blick am Schaufenster hängen. Die großen gerahmten Hochzeitsbilder waren noch in wärmeren Zeiten entstanden, wahrscheinlich im hiesigen Schlosspark. Swensen muss unwillkürlich grinsen. Auf dem Farbfoto unten rechts hat die Braut sich in ihrem weißen Samt ausladend ins Gras gehockt und der Bräutigam steht in Siegerpose hinter ihr wie ein Großwildjäger, der mit seiner erlegten Trophäe abgelichtet wird.

      Das Bild macht ihm ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er merkt, dass seine Abneigung gegen das Heiraten und die Ehe für ihn immer noch ein Thema zu sein scheint. Frauen in Brautkleidern haben für ihn etwas zutiefst bürgerliches, etwas wovon er sich sein Leben lang beharrlich abgrenzen wollte. Doch das Hochzeitsfoto, das ahnt er, ist nicht der Auslöser für sein mulmiges Gefühl. Es erinnert ihn nur an den gestrigen Abend, an dem Anna seine Hand nahm, ihn mit großen Augen ansah und fragte, ob er sich vorstellen könne mit in ihr Haus einzuziehen. Er hatte die Hand fast reflexartig zurückgezogen. Die Frage kam ihm vor wie ein Skalpell, das brutal in seinen gewohnten Alltag eindringen wollte, in seinen morgendlichen Blick aus dem Fenster, in seinen plötzlichen Drang ein Saxofonsolo von Branford Marsalis zu hören, in seinen meditativen Zustand von innerer Leere.

      Es geht um meine Freiheit, hatte er gedacht und gleichzeitig flüsterte ihm die Stimme seines Meisters zu: Alles was du festhältst, wird dein Leben verwirren. Und da war es, das kleine Ich, das Ich des Jan Swensen. Es rebellierte, bäumte sich auf. Er saß da, verwirrt und unfähig auf Anna einzugehen. Sie fing an zu weinen. Auch seine beruhigenden Worte halfen nichts mehr, ihr Gesicht versteinerte.

      »Typisch männliche Angst vor Nähe!«, sagte sie mit harter Stimme und schmiss ihn raus.

      Swensen öffnet die Ladentür und tritt an den Tresen.

      »Moin, Moin, ich hab eine Frage. Kann man bei Ihnen noch Schwarz-Weiß-Fotos machen lassen?«

      Er grinst die junge Brünette an und merkt sofort, dass seine Frage nicht gerade präzise ausgefallen ist.

      »Natürlich! Was brauchen Sie? Passbilder oder soll es ein Porträt sein?«

      »Keins von beiden. ’Schuldigung, Jan Swensen von der Kripo Husum. Ich möchte nur wissen, ob jemand in ihrem Laden vor zirka ein oder zwei Wochen Schwarz-Weiß-Abzüge in Auftrag gegeben hat.«

      »Die Leute machen heutzutage nur Farbbilder. Ich kann mich nicht erinnern, dass hier jemals einer Schwarz-Weiß-Abzüge haben wollte.«

      »Gilt das nur für sie oder gibt es noch andere Verkäuferinnen?«

      »Ich kann kurz den Chef rufen, der muss das auf alle Fälle wissen. Herr Dallmann, kommen Sie bitte!«

      Ein kleiner glatzköpfiger Kopf taucht hinter einem Vorhang auf.

      »Ich hab ihre Frage hier hinten schon mitgehört. Schwarz-Weiß-Abzüge macht in Husum keiner mehr.«

      »Danke, das war’s schon.«

      Als Swensen gerade den Laden verlässt, macht sich sein Handy bemerkbar. Er drückt sich an eine Hauswand und hält sich mit der linken Hand das Ohr zu. Diese verbogene Körperhaltung kommt ihm bei anderen immer albern vor.

      Der Mensch in der Digitalen, denkt er und meldet sich gleichzeitig. »Hier Swensen!«

      »Mielke! Halt dich fest, Jan. Ich hab gerade mit einem gewissen Hajo Peters gesprochen. Der hat das Bild von unserer Frau in der Husumer Rundschau gesehen, und sie erkannt. Es soll eine Mitarbeiterin von ihm sein, mit Namen Edda Herbst. Sie wohnt in der Deichstraße 22.«

      »Schick’ sofort das gesamte Team raus!«

      »Ist schon veranlasst! Der Typ führt eine Videothek in der Süderstraße, und ist da jetzt auch zu erreichen.«

      »Okay! Ich bin in der Nähe. Ich geh’ sofort mal rüber und sprech’ mit ihm und komm danach gleich in die Deichstraße. Bis dann!«

      Swensen drückt die Taste mit dem roten Hörer und nimmt wieder Normalhaltung an. Er überlegt einen Moment und geht dann noch mal zurück in den Fotoladen.

      »Ich sehe gerade im Fenster, Sie verkaufen auch Handys. Ist es möglich die Melodie gegen ein normales Klingeln auszutauschen?«

      »Klar! Sie gehen einfach ins Menü, und dann …!«

      »Menü?«, unterbricht Swensen.

      »Geben Sie mal her!«

      Die Brünette nimmt ihm das Handy aus der Hand. Ihr rechter Zeigefinger drückt in einem rasanten Tempo auf unzählige Knöpfe. Es piept ein paar Mal und Swensen hat sein Gerät wieder. Er lächelt verlegen.

      »Dankeschön!«

      * * *

      Von der Süderstraße bis zur Deichstraße sind es zirka 15 Minuten zu Fuß. Auf dem Weg dorthin holt Swensen sich im Fischhaus Loof ein Krabbenbrötchen, die Besten in Husum, sagt man. Er sieht sich zwar als Vegetarier, aber bei Krabben drückt er öfter beide Augen zu. Weil mal wieder eine Touristenschar alle Tische belegt hat, lehnt er sich vor dem Laden an die Hauswand. Hier ist es windstill. Die Sonne wärmt sogar ein wenig. Gegenüber steht das neue Fischrestaurant, das direkt neben das Hafenbecken gesetzt wurde. Der futuristische Glaskasten stört sein ästhetisches Empfinden. Für ihn ist diese gewollt moderne Architektur eher hässlich und banal. Vor der Eingangstür kämpft eine kleine Gruppe Frauen und Kinder mit einem Schwarm Möwen. Eine große Lachmöwe versucht das Fischbrötchen eines kleinen Mädchens im Sturzflug zu erbeuten. Der mächtige signalgelbe Schnabel verfehlt den Leckerbissen nur knapp. Das Kind lässt das Brötchen erschreckt zu Boden fallen und brüllt. Sofort balgt sich die restliche Vogelhorde mit wilden Flügelschlägen darum. Die Lachmöwe kreist im großen Bogen über der Straße und landet unmittelbar neben Swensen auf einer Plastikmülltonne. Er wirft ihr von seinem letzten Happen eine Krabbe hinüber, die sie geschickt auffängt. Schmunzelnd steckt er sich den Rest in den Mund, wischt sich mit der Serviette die Finger und den Mund ab und wirft das zusammengeknüllte Papier in die Mülltonne, nachdem er die Möwe vom Deckel hochgescheucht hat.

      Als er nach zirka 30 Metern in die Deichstraße einbiegt, sieht er schon zwei Streifenwagen und Mielkes Twingo auf dem Parkplatz vor der Gepäckannahme stehen. Der leere Ziegelbau auf dem Gelände des stillgelegten Güterbahnhofs liegt genau gegenüber von Haus 22, ebenfalls ein Ziegelbau und mindestens genauso heruntergekommen. Die neu eingesetzte Aluminiumtür gibt der schäbigen Fassade den Rest. Der Bürgersteig ist auf der gesamten Länge des Hauses und dem angrenzenden Holztor daneben mit rot-weißem Plastikband abgesperrt.

      Swensen grüßt den uniformierten Beamten, von dem ihm bloß der Vorname Bernd einfällt. Der tippt ohne Worte an seine Schirmmütze und lässt ihn passieren. Der Teppichboden im Flur ist so abgetreten, dass man die dunkelblaue Farbe nur noch am Rand erkennen kann. Der Flur führt direkt in die Stube. Ein mittelgroßer Raum, mit dem üblichen Mobiliar, Schrankwand, Tisch, Sessel, Sofa, Fernseher. Zwei Personen in weißen Plastikoveralls, Latexhandschuhen und Fußschützern sind auf Spurensuche. Einer kriecht mit einer Lupe über den dunkelblauen Teppichboden. Der andere, der neben dem Sofa kniend die Nase schnaubt, ist Peter Hollmann. Swensen erkennt ihn an seiner rundlichen Gestalt und dem buschigen Schnauzer, der unter der stramm geschnürten Kapuze hervorlugt. Im Raum nebenan, der Küche, unterhält sich Stephan Mielke angeregt mit Paul Richter, einem breitschultrigen Streifenpolizisten.

      »Hey, Stephan! Ich denke Peter hat die Grippe?«, platzt Swensen mitten in ihr Gespräch.

      »Ich hab ihn angerufen. Wollte nur schnell wissen, was zu tun ist. Er

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