Kraftvoll beten. Pete Greig
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Ich habe das Glück, am Stadtrand zu wohnen, dort, wo die freie Natur anfängt. Oft laufe ich durch den Wald, um den Golfplatz herum oder bis zum höchsten Punkt eines Hügels, von wo aus man dreißig Meilen weit sehen kann. Ich laufe auf einem gepflasterten Weg, wenn ich wenig Zeit habe oder wenn es regnet und ich nicht gerade durch den dicksten Schlamm waten will. Aber um diese „Hauptarterie“ herum verläuft ein Gewirr von Venen und Kapillaren – geheimen Trampelpfaden und zugewachsenen Stegen, die vertrauter sind mit Dachs, Damhirsch und Waldkauz als mit Menschenfüßen.
Welchen Weg ich nehme, ist vom Wetter, von meiner Zeit und meiner Lust abhängig. An sonnigen Tagen gehe ich gerne in die Hügel und genieße die Aussicht. Im Herbst stromere ich über Waldwege, die so weich sind, als wären sie mit einem dicken Teppich belegt, und suche nach Bovisten und Champignons in Hexenringen. Im Sommer machen wir auf versteckten Lichtungen abends ein Lagerfeuer und schlagen dort manchmal auch unser Zelt auf.
Dieses Buch ist ein „einfacher Führer“ durch die komplexe, lebendige Gebetslandschaft. Zieh die Stiefel an – wir gehen nicht auf asphaltierter Straße. Ich weiß, dass es Zeiten gibt, in denen wir alle nur den schnellstmöglichen Weg zu Gott brauchen – wenn man vom Fahrrad auf ein geparktes Auto zuschleudert, ist die ganz direkte Kommunikation angebracht: „Hilfe!“ Aber es gibt im Gebet mehr als nur Bitten, und Gott hat es nicht eilig. Manches Beten ist eher ein Erkunden als ein Flehen: Waldwege, auf denen man sich geborgen fühlt, und Stellen, die so schön sind, dass man anhalten und Gott mit flüsternder Stimme Lob sagen muss. Es gibt geheime, intime Lagerplätze und Pfade, die dich in die Berge führen, wo du einen weiten Blick unter einem größeren Himmel genießt. Klettern ist anstrengend. Ist man aber erst einmal am Ziel, dann weiß man, dass sich die Mühe gelohnt hat. Unterwegs werden wir Heilige entdecken, die an bestimmten Stellen in dieser abwechslungsreichen Landschaft ihr Zuhause gefunden haben. Auch ihre Geschichten wirst du in diesem Buch finden. Die Geschichten anderer werden am Ende der meisten Kapitel unter der Überschrift „Vorbilder“ beschrieben. Einige dieser Heiligen ließen sich in der Kontemplation, im betrachtenden Gebet, nieder. Andere haben sich einen Ausguck in den Baumkronen der prophetischen Einsicht gebaut. Und schließlich wirst du dein eigenes Lieblingsgelände auf deinem Weg mit Gott finden.
Ich muss dich jedoch warnen, dass keiner dieser Wege zu Gott führt. So funktioniert es einfach nicht. Es gibt nicht die eine bessere Art zu beten. Wenn du nach dem Heiligen Gral suchst, gehe dorthin zurück, wo du angefangen hast. Auf all den vielen Gebetswegen wird der Herr dich jedoch begleiten. (Er zieht gerade seine Wanderstiefel an.) Er wird mit dir schweigen und auch mit dir reden. Das Gespräch wird verebben und fließen. Er wird dir Dinge erzählen, die du noch nicht wusstest, und dich Dinge fragen, die du noch niemandem erzählt hast. Gelegentlich wirst du ihn aus den Augen verlieren, aber nie für lange. Manchmal wird er eine Pause oder einen bestimmten Weg vorschlagen, aber meistens wird er deiner Führung folgen und dich bei jedem Schritt auf dem Weg begleiten, bis du schließlich den Kreis schließt, nach Hause kommst und weißt, dass du erkannt bist.
Natürlich haben wir eine Karte dabei: das berühmteste Gebet der Welt, das Vaterunser, das uns Jesus selbst zu genau diesem Zweck geschenkt hat, nämlich um uns beten zu lehren. In diesen alten, vertrauten Worten werden wir neun verschiedene Wege des Gebets entdecken: Stille, Anbetung, Bitte, Fürbitte, Ausdauer, Kontemplation, Hören, Beichten und geistlichen Kampf. Und unsere Reise wird in einem einfachen, vierstufigen Rhythmus ablaufen: P.R.A.Y. – Pause, Rejoice, Ask, Yield (auf Deutsch: Ruhe – Freude – Bitte – Hingabe). Ich bin kein großer Fan von Akronymen – sie riechen nach wissenschaftlichen Lehrbüchern und übermäßig ernsten Predigten, aber dieses hier funktioniert gut, weil es simpel und sinnvoll ist und unter der Oberfläche auch tiefgründig. Sieh in diesen vier Schritten nicht strenge Regeln – nicht die Sprossen einer Leiter in den siebten Himmel –, sondern eher Tanzschritte: fließend, interaktiv und offen für kreative Interpretationen. Gib P.R.A.Y. eine Chance und es wird deinem Gebetsleben eine einfache Struktur und einen unkomplizierten Ablauf verleihen, egal ob du alleine oder in einer Gruppe betest. (Für Kinder möchtest du das knifflige Wort „yield/Hingabe“ allerdings vielleicht gegen „Yes!“ tauschen.)
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Ich schreibe dieses Buch seit fast zwei Jahrzehnten, seit ein paar wichtige Entdeckungen unbeabsichtigt die 24-7-Gebetsbewegung ins Leben gerufen haben: Erst kam meinen Freunden und mir die überraschende Erkenntnis, dass Beten eigentlich so ziemlich das Wichtigste im Leben ist, und danach, dass wir es furchtbar schlecht konnten. Seit diesem wenig verheißungsvollen Beginn befinden wir uns in einem Abenteuer, nämlich diese einfache, schwierige, unvermeidliche Sache zu erforschen, die das Herzstück von Leben, Glauben und Kultur ist. Was in diesem Buch gelehrt wird, hat seinen Ursprung daher weniger in Bibliotheken, Seminaren und auf Kanzeln als vielmehr in den praktischen Entdeckungen, die wir in Hunderten von Pop-up-Gebetsräumen gemacht haben, in denen in den letzten zwanzig Jahren Tag und Nacht gebetet wurde.
Am Ende jedes Kapitels wird ein „Vorbild im Beten“ vorgestellt, dessen Leben die besondere Art von Gebet veranschaulicht, mit der wir uns gerade beschäftigt haben.
Wie man nach dem Muster P.R.A.Y. betet
„Einmal war er an einem Ort und betete. Und als er aufgehört hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: ‚Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.‘“ (Lukas 11,1 L)
Jeder Pilger hat irgendwann einen Stein im Schuh. Du wachst eines Morgens auf und denkst: „Ich kenne den Schöpfer von 100 Milliarden Galaxien – und mehr ist nicht dabei?“ Du liest die Apostelgeschichte und fragst dich: „Warum geschieht das heute nicht mehr so?“ Deine Welt bricht zusammen und du brauchst dringend ein Wunder. Du siehst hoch zu den Sternen am Himmel und fühlst Dinge, die größer sind als fromme Worte. Du sagst dir: „Wenn das wahr ist, muss es mehr Macht, mehr Geheimnisse, mehr persönliche Erfahrungen geben.“ Und so wendest du dich schließlich an Gott, etwas unsicher, ob es dir auch wirklich ernst damit ist, und sagst: „Herr, lehre mich beten.“ Und er antwortet: „Ich dachte schon, du würdest nie fragen!“
1: Gebet überall
Warum beten?
„Einmal war Jesus an einem Ort und betete...“
Mehr Dinge werden durch das Gebet bewirkt, als diese Welt erträumt. Darum lass deine Stimme Tag und Nacht zu mir aufsteigen wie eine Wasserfontäne. (Alfred Lord Tennyson, Idylls of the King)1
Auf dem Berg Athos, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel der Ägäis, beten bärtige orthodoxe Mönche, wie sie es seit 1800 Jahren tun. Dreißig Meilen nördlich von Lagos versammeln sich über eine Million nigerianische Christen monatlich zu einem Gebetstreffen auf dem riesigen Gelände der Redeemed Christian Church of God. An den Ufern des Ganges bei Varanasi baden hinduistische Pilger auf der Suche nach Reinigung und Hoffnung im heiligen Wasser. Irgendwo in Manhattan kommt eine Gruppe von Süchtigen im Rahmen eines Zwölf-Schritte-Programms zusammen und bemüht sich, „durch Gebet und Meditation den bewussten Kontakt mit Gott zu verbessern“.2 Hoch in den Bergen des Himalaja läuten Glocken, und vor saphirblauem Himmel tanzen Reihen von bunten Gebetsfahnen auf der Leine. Tief in den Mammutbaum- und Douglasienwäldern der kalifornischen Lost Coast halten Zisterzienserinnen Gebetswachen am Mattole River, wo Lachse springen und Forellen durch das Wasser gleiten.
Jeder