Das andere Brot. Rosemarie Schulak
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Fast wia daham, manst net a? sagte Frau B., als sie nach Durchquerung des endlosen Straßengewirrs sich wieder im Zug befanden. Sie versuchte aus Georg, der für eine Weile „mundtot“ neben ihr saß, ein paar Sätze herauszulocken.
Daheim? Meinte sie wirklich … daheim? Irritiert hielt Georg den Atem an. Das war ihm neu, das hätte er nie für möglich gehalten, das hat ihm bisher noch keiner gesagt. Daheim! Herr B. hätte sofort betont, er sei nicht der Vater, Georgs Verbleib im Haus sei nichts als eine Ausnahme der gebotenen Regeln, weil er doch keineswegs zur Familie gehöre. Der Bertl hätte das ebenso betont, wäre er da gewesen. Doch beide waren nun einmal nicht da, deshalb redete die Frau B. ja so anders. Gemäßigt und ohne Geschimpfe, dafür mit Sorgenfalten auf der Stirn und traurigen Augen. Wirst halt bei mir arbeiten bis die Wartezeit um ist, überlegte sie laut, als sie abends im Haus das Nachtmahlbrot auch für Georg zurechtschnitt. Hast ja derweil den Garten, das Gießen, die Hasen, das Holzschneiden draußen im Wald. Und vergiss net die Senkgruben ausheb’n! Wenn sonst ka Mann da ist, wirst halt du diese Arbeit machen müssen.
Warum hab ich keine Mutter? fragte Georg unerwartet und heftig dazwischen. Selber nicht wenig erschrocken über den Mut, der ihm von irgendwo her kam, er wusste nicht wie. Die ungewohnte Lautstärke der eigenen Rede irritierte ihn mächtig.
Frau B. wurde jählings der Nacken steif, als sie langsam ihr Kinn hob. Sie legte das Messer aus der Hand, die eben noch Speck geschnitten hatte und wischte die fettigen Finger an ihrer Schürze ab. So richtete sie ihren Blick gegen Georg. Sunst hast kane Sorgen? stieß sie nach einer Weile hervor, überfragt, wie sie war. Doch mäßigte sie sich gleich wieder, als sie in Georgs blasses Gesicht sah, die schillernde Dunkelheit seines Blicks beharrlich auf sie gerichtet. War eh unlängst erst da gab sie, jäh abgewandt und wiederum mit dem Speck beschäftigt, beinah wie nebenbei zu. So als ginge die Frage sie eigentlich gar nichts an. Da is’ sie g’standen, wo du jetzt stehst, schaust ihr eh ähnlich.
Was? schrie Georg auf. Und warum hab ich sie da net sehen dürfen? Blitzschnell kam diese zweite Frage, ebbte jedoch gleich wieder ab. Leise, beinahe tonlos, folgte die dritte. Wo war denn da i... zu der Zeit?
Gespannt wartete er auf Antwort. Frau B. musste den Speck erst fertig schneiden, sie verteilte ihn auf die beiden Brote, wischte sich wieder die Finger am Schürzenzipf ab und stellte den Tee auf. Du warst grad im Garten und hast Gras g’schnitten. Durchs Verandafenster hat sie dich g’sehn. Hat eine Weile g’schaut und nix g’sagt. Dann is s’ glei wieder weg …
Georg wurde bei dieser Rede ein wenig schlecht. Schnell drehte er sich fort von der Frau, ging in den Garten und in den Keller. Kam erst wieder herauf von den Hasen, als alles schon dunkel war im Haus.
Ab diesem Tag spürte er deutlich weniger Lust freitags in der Trafik nach neuer Lektüre zu fragen. Der Trafikant steckte dem schweigsamen jungen Mann dennoch einiges in die Tasche, das ihn erfreuen musste. Liebesromane, das wusste der umsichtige Mensch, passten vielleicht für Frau B., aber jetzt nicht für Georg. Der kam ihm langsam doch zu erwachsen vor.
Georg arbeitete im und außer dem Haus wie von ihm erwartet. Ohne zu murren und ohne zu fragen, wie und wohin denn der Herr B. verschwunden sei und ob er überhaupt jemals wieder erscheinen würde. Im Krieg war er nicht. Das wusste er ganz genau. Darüber verlor seine Frau auch kein Wort. Das Motorrad, hatte sie anfangs gemeint, sei die Ursache allen Übels. Und dass es da Weiber gebe, die gern bei ihm aufsitzen wollten. Danach sprach sie nie mehr davon. Vom Bertl aber redete sie jeden Tag, und hätte sie jemals einen Brief von ihm bekommen, sie hätte ihn Georg gezeigt. Da war er ganz sicher.
8 IM STURM
Der Krieg hat so manchen Ortsbewohnern das Leben gekostet und den Bertl der Frau B. in seinen kalten Nebeln verschluckt. Vermisst nennt man das, Frau B. erhält Kenntnis davon in einem Schreiben. Dich hat der Krieg verschont und mir den Bertl genommen, klagt sie bitter, und schaut das Kostkind von der Seite her wie ein noch fremderes an. Die Nachbarin meint beschwichtigend, oft kämen die tot Geglaubten ganz unerwartet und fröhlich wieder, warum denn nicht auch der Bertl. Aber Frau B. hat kein Ohr für das was geredet wird, ihr eigenes Gespür sagt ihr alles. Sie kramt ein Foto von Bertl aus ihrem Nachttisch und nadelt es an die Wand, genau über dem Küchentisch.
Der Krieg geht seinem Ende entgegen, sagen die Leute. Die Front rückt näher. Bombengeschwader verunsichern das Land, noch mehr die Stadt. Sogar in abgelegenen Gegenden haben die Menschen Angst. Weiter weg sind Bomben gefallen, doch scheint zumindest keiner aus dem Dorf dadurch zu Tode gekommen zu sein. Oder doch? Der Ort, in dem das Haus der Familie B. steht, wirkt jetzt verlassen, still, windig und leer. Ist jemand hier unterwegs, kann einer in seinen Augen Angst und Trauer erblicken. Der Krieg gibt seine Verwundeten ab in die Lazarette, Vermisste per Brief an die Mütter.
Georg hat seine Bäckerlehre angetreten, mehr als ein halbes Jahr hat er bereits hinter sich, da wird er eines Tages per Post in die Heimatgemeinde beordert. Das Vaterland braucht seine Hilfe. Volkssturm! Der Krieg ist in eine Phase getreten, in der jeder Mann gebraucht wird, auch ein junger, ein alter. Die Lehre ist demnach unterbrochen, die Klassenkameraden im Dorf sind bereits auf der Liste, nur bei Georg dauert es länger weil seine Papiere fehlen. Keine Geburtsurkunde, rein nichts. Also Wartezeit. Jetzt hat Frau B. den Burschen wieder an ihrem Küchentisch sitzen. Der weiß nicht was er tun soll um den Schmerz der Frau B. zu lindern. Fühlt sich unerwünscht in ihrer Nähe und will gleich wieder fort. Wünscht, so wie der Bertl, unauffindbar für sie zu sein um nicht als verschmähter Rest ihrer zerstörten Welt ihr Leid noch zu vergrößern. Doch wäre es wirklich ein Vorteil, würde Georg so wie damals der Bertl, gleich die Einberufung bekommen? Wäre es leichter für die arme Frau, wenn beide Buben vermisst wären oder gar mausetot?
Die Sechzehnjährigen sind jetzt als letztes Aufgebot zur Verteidigung des Landes berufen. Volkssturm nennt man das? fragt sich Frau B. Die Siebzehnjährigen sind längst fort und doch hat keiner gehört, dass die Gefahr für die daheim Gebliebenen durch deren Einsatz verringert worden wäre.
Georg weiß immer noch nicht, ob er auch wie die anderen sechzehn ist oder nicht. Wie es scheint wissen die Behörden es auch nicht. Es werde alles genauestens eruiert, man bitte noch um etwas Geduld, erklärt man ihm und Frau B., die das Kostkind vielleicht schon recht gern aus dem Haus gehabt hätte, oder auch nicht. Das Gewünschte wird in wenigen Tagen vorhanden sein. Georg schämt sich für so viel Aufwand seinetwegen. Er, der nicht einmal wissen darf, an welchem Ort nach welchen Papieren gesucht wird, fragt sich freilich auch, wer die Bestätigung seines Daseins so lange hütet. Gibt es überhaupt einen Nachweis für seine Existenz? Muss die Behörde nur wegen des Volkssturms jetzt alles ausfindig machen oder muss sie vielleicht Papiere neu herstellen lassen, weil irgendetwas nicht stimmt an der Sache, weil nirgends etwas rein gar nicht zu finden ist? Warum weiß denn niemand wann Georg geboren ist? Seine Mutter müsste es doch wissen! Warum fragt sie denn keiner?
Der Bub muss längst das Alter zur Einberufung haben, meinen die Leute. Sei doch ganz gut gewachsen, sehnig und kräftig wie der geworden ist mit den Jahren! Frau B. bleibt Antworten auf solche Reden schuldig, auch sie weiß nicht, wann und wo Georg in diese Welt kam. Aber weiß sie denn wirklich nichts? argwöhnen andere. War nicht vor einiger Zeit ein wildfremdes Auto an ihrem Gartentor stehen geblieben? Ein Auto! Wo doch keiner der Dorfbewohner hier jemals ein Auto gehabt hat? Und ist da nicht eine schlanke schwarzhaarige Frau aus dem schwarz glänzenden Fahrzeug gestiegen, die scheu, wenn nicht verschreckt, um sich geblickt hat? Hat die nicht mit Frau B. dort am Gartentor