Das Geheimnis der Letzten. Fritz Binde
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Читать онлайн книгу Das Geheimnis der Letzten - Fritz Binde страница 2
„Was willst du tun?“, fragte sie.
Er antwortete noch nicht, er dachte: Und das ist derselbe Metzger, der sich einmal rühmte, er habe es herausgebracht, es gäbe nur zweierlei Menschen: Lumpen und Spitzbuben. „Ich will lieber zu den Letzteren gehören“, pflegte er zu betonen. „Bei mir heißt es: Nehmen ist seliger denn Geben.
Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, ich wollte den Leuten wohl die richtige Brille auf die Nase setzen! Kupfer bekämen sie, und Gold müssten sie bezahlen!“ Auf diese Art hatte der Dicksack mit den Schweinsaugen sein Haus und Kapital erworben und lachte die Lumpen aus. Und gähnte wie ein verdauendes Raubtier! Und hier lag noch nicht einmal die Hälfte des Hauszinses auf dem Tisch, um dem Raubtier den Rachen zu füllen.
„Sprich doch: Was willst du tun?“ drängte ängstlich die bekümmerte Frau. Ihre schöne Hand hob sich nach seiner Schulter. Er aber wich aus.
„So wie der Metzger werden!“, schrie er. „Roh, dreist, unverschämt will ich werden!“
Sie verstand ihn nicht.
„Wenn ich dich ansehe und die Kinder …“, schrie er noch lauter und mit grimmiger Gebärde.
Da erschrak sie; denn sie erwartete wieder einen Ausbruch seines Unmuts gegen seinen Beruf, gegen sich selbst …
„Franz!“ flehte sie, und ihre Hand suchte seinen Arm.
„Nimm deine Hand weg!“ rief er. „Ich bin sie nicht wert!“
Sie wollte ihm den Mund zuhalten, aber er schrie weiter: „Ich weiß es ja, und deine Mutter braucht es mir nicht immer erst zu sagen! Ich weiß es, dass ich nicht für euch gesorgt habe, wie ich hätte sorgen sollen! ‒ Die andern haben es zu etwas gebracht, und ich habe geträumt, geduselt!“
Kopfschüttelnd griff sie besänftigend nach der braunen Locke, die ihm beinahe bis in die blauen Augen hing, und versuchte zu lächeln.
„Lass!“ schrie er und schüttelte sich.
„Ich habe dich nie anders gewollt, als du bist“, sagte sie still, „und du wirst auch nie anders werden.“
Hörend reckte er sich höher. „Nie anders werden? Ich will anders werden!“
Mit innigem Blick sah sie ihn an. „Du bist nun einmal so“, sprach sie. „Du hast dich ja auch geplagt; aber ‒ Franz, ich glaube, Gott schuf zweierlei Menschen. Die einen leben mehr nach außen hin. Sieh, das sind die schlauen, die Geschäftstüchtigen! Die suchen überall ihren Vorteil und kommen auch vorwärts und bringen es, wie man sagt, zu etwas. Die andern leben innerlich und haben auch nichts als ihr Inneres, und das verschenken sie auch noch. So einer bist du. Und darum habe ich dich lieb.“
„Ein hochmütiger Narr bin ich gewesen“, begann er sich bitter zu geißeln. „Ich wollte nicht mit den andern im blöden Trott gehen. Es war mir zu armselig, aus meinem Leben ein Gewerbe zu machen. Zu erbärmlich, zu kleingläubig, in kluger Berechnung für den nächsten Tag zu sorgen. Wie gemein, sich in die gewöhnliche Sicherheit des bürgerlichen Behagens zu setzen! Ach, dieses kleine begrenzte Leben ringsum, wie ekelte es mich an! Ich wollte besser sein als andere, wollte meine Seele vor der üblichen Gemeinheit der Menschen retten, kein Mammons- und Menschenknecht werden. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme Schaden an seiner Seele? Ich wollte rücksichtslos nach dem Reiche Gottes trachten. Ein bedingungsloser Nachfolger Jesu werden! Gott völlig vertrauen! Kein Heuchler, o nur kein Heuchler vor Gott, Menschen und mir selbst! Du weißt es! Und indes? Hör zu! Indes sind mir die Menschen feind geworden! Höhnen über mich! Verachten mich! Lassen mich hinter sich am Wege liegen wie einen lahmen Hund! Wie einen marklosen Narren! Lassen mich nichts mehr verdienen! Mein Weib, meine Kinder, meine Liebsten müssen entbehren! Hör doch nur, hör doch nur, welch ein Unsinn das ist!“
Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn.
Die Frau schwieg.
Mit spöttischem Nachsinnen fuhr er fort: „Und dann natürlich habe ich Gedichte gemacht und mir allerwärts einen Haufen Seligkeit eingebildet. Ein Träumer war ich, ein Träumer wie Joseph im bunten Rock! Ja, im bunten Rock meiner Einbildungen! Da“ ‒ er hob den Blick ins Licht des Fensters ‒ „so eine fliegende Schwalbe, so eine wunderliche Wolke, ein glutbrennender Sonnenuntergang, eine seltsame Farbe, da, so ein pfeifender Junge, ein paar Kinderaugen, ein Menschenantlitz, eine Stimme, irgendeine Offenbarung von Seelengröße, oder ‒ wenn an den Herbstabenden da drüben am märchenblauen Himmel die Lichter der Bahnlinie aufflammten oder im Frühjahr die Rotbuche dort wieder jung in der Sonne stand und feurige Blätter trug ‒ oder die Bücher, die Bücher! Ach, du weißt es ja: Mein letztes Geld haben sie mich gekostet, und die letzte Lust am Geschäft haben sie mir geraubt!“ Bitter lachte er auf. „Gemeinheit war es! Selbstsüchtige, nichtsnutzige Gemeinheit! Ein Genussleben, weiter nichts! Verrücktheit! Planen hätte ich sollen! Geld machen hätte ich sollen! Geld, Geld, Geld! Alles andere ist ein Wust von Einbildungen! Geld ist das einzig Reale!“
„Nein, das ist nicht wahr!“, sagte die Frau.
„Mach dir nichts weiß, Hanna“, fuhr er fort, „es ist wahr! Wahre Tüchtigkeit wird legitimiert durch Besitz, alles andere ist Träumerei! Auch alle religiöse Seligkeit! Niemand nimmt dergleichen ernst. Sie heucheln alle. Suchen alle das Ihre, nämlich Geld! Ich allein wollte das nicht! Jetzt bin ich kuriert! Jetzt werde ich wie die andern! Und dann werde ich erst glücklich!“
„Nein!“, sagte die Frau noch bestimmter zum zweiten Male. „Nein, das ist nicht wahr! Du versündigst dich! Es waren nicht nur Einbildungen. Wie viele Menschen kamen, um sich bei dir zu erquicken! Wie viele richtetest du auf! Sie liebten dich. Du warst ihnen ein Beispiel.“
Er horchte auf. Langsam schüttelte er den Kopf. „Vielleicht kamen sie nur“, sagte er zögernd, „um meine absonderliche Gutmütigkeit auszunützen. Sie kosteten uns jedenfalls Geld, Hanna. Meine kindlich-törichte Furchtlosigkeit amüsierte sie. Sie hielten mich für einen großrednerischen Trunkenen und lachten wohl hinter meinem Rücken über mich. Und jetzt weiß ich, sie hatten recht, denn der heilige Rausch richtet den Menschen ebenso zugrunde wie der Schnapsrausch.“
„Du sollst nicht so reden!“ gebot jetzt die Frau. „Du sollst das keinen Rausch nennen! Du versündigst dich gegen dich selbst!“
„Besser als gegen euch!“ trotzte er. „Wie habe ich es denn getrieben? Pass auf!“
„Ich weiß doch, lass!“ wehrte sie.
„Nein“, antwortete er. „Schon um meiner selbst willen muss ich es mir noch einmal vergegenwärtigen. Also: Da kommt jemand und will eine Brille kaufen. Ich setze ihm eine auf und denke: Sei klug und wahre deinen Vorteil! Aber nicht lange dauert es, da sehe ich nur noch, wie der Mensch den Kopf hält, wie er mit den Augen macht, welche Farbe diese Augen haben und welcher Seele sie zugehören mögen. Da achte ich kaum noch auf das, was er spricht, sondern nur noch darauf, wie er´s spricht, wie er sich bewegt, kurz, wie ihm Leib und Seele geformt sind. Und dann habe ich gleich ein ganzes Leben vor mir, überschaue, in welchem Geiste und in welcher Wahrheit er wandelt, und paktiere heimlich mit seiner Seele oder bedaure, dass er noch in der Unreife und Blindheit steckt, von der ich ihn dann so gern heilen möchte. So sage ich ihm ein ganz ungeschäftliches liebes Wort. Staunend geht er darauf ein, nimmt es an, dankt auch noch, und ich danke innerlich ihm, fühle mich ihm verpflichtet, gebe ihm die beste Brille, fordere nahezu nur den halben Preis, bin in Seligkeit, wenn er mit freudigen Augen meinen Laden verlässt, drücke ihm die Hand und ‒ ihr seid