Das Geheimnis der Letzten. Fritz Binde

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Das Geheimnis der Letzten - Fritz Binde

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deine Hand weg, Hanna!“, sage ich. Dein Vater hat sich für dich geplagt, ich habe es vertan und verträumt. Unterdes haben die klugen Leute Häuser gebaut, ihre Geschäfte vergrößert, ihre Zukunft gesichert. Und ich habe nichts erworben! Was werden die Kinder einmal sagen? Nichts erworben, nichts!“

      „Doch“, rief die Frau, „du gewannst Jesus!“

      Urplötzlich stand er regungslos, sann, kämpfte, rang wortlos. „Das ist ja eben der Unsinn“, begann er dann, „dass ich etwas gewonnen habe, das im Leben nichts gilt! Wie viele reden von Jesus! Sieh dir aber einmal ihr tägliches Leben an! Leben sie wie Jesus? Fällt ihnen gar nicht ein! Warum nicht? Nun einfach, weil es gar nicht geht! Es geht nicht, sage ich dir! Wer wirklich wie Jesus leben will, in seinem Geist, in seiner weltunbekümmerten göttlich-freien Gesinnung, leben will wie die Vögel und die Lilien leben, wie die Söhne Gottes leben, der geht zugrunde! Da sieh auf das Geld! Da höre den Metzger gähnen! Hat das Leben nicht den Rohen recht gegeben? Haben nicht überall die Schlauen und Pfiffigen gesiegt? Wer dirigiert, wer kommandiert, wer triumphiert?

      Die Geldmacher! Auch bei den Frommen! Wer es aber wirklich ernst meint mit der Jesusnachfolge, der bleibt hinten! Das sind die kleinen und geringen Leute, die man in die Ecke drückt, die Schwachen, die Unansehnlichen, die an Leib und Seele Elenden, die Vergessenen, die Schweigenden, die Letzten, ja wahrlich die Letzten! Ich will aber kein Letzter bleiben! Schon um euretwillen nicht! Und auch um meinetwillen nicht! Ich will tüchtig werden! Und das sage ich dir noch einmal: Wirkliche Tüchtigkeit legitimiert sich immer durch Besitz!“

      Er sprang auf.

      Die Frau blieb kopfschüttelnd sitzen. „Nie!“, sagte sie. „Und selbst wenn es dir Gott gelingen ließ! Dich kann kein äußerer Besitz reich machen. Du gehörst zu dem andern Teil, der alles innerlich besitzt. Nie wirst du wie die andern, nie!“

      „Ich will es dir beweisen“, antwortete er. „Komm, lass uns die Außenstände durchgehen! Lass uns Rechnungen schreiben und Gelder einkassieren!“ Er saß, kramte in Papieren und rechnete schon.

      Sie sah auf seine fiebernde Hand. „Wer schuldet diese große Summe?“, fragte sie, auf eine Zahl zeigend.

      „Der reiche Winkels“, antwortete er, „du entsinnst dich doch! Der dicke, ältere Herr, der einmal zu mir kam wie Nikodemus zum Herrn.“

      „Aber warum hast du ihm denn noch keine Rechnung geschickt?“

      „Hanna! Einer, der bei mir kauft, sozusagen als Gesinnungsgenosse, dem kann ich doch nicht so mit dem Einmaleins ins Gesicht springen! Vielmehr: Das konnte ich bisher nicht! Aber pass auf, jetzt kann ich es! Sofort schreibe ich ihm die Rechnung und fahre hin.“

      „Seine Schuld beträgt ja mehr, als die Miete ausmacht“, bemerkte die Frau. „Bring ihm doch sofort die Rechnung!“

      Er überlegte: „Du hast recht! Natürlich! Das ist ja das Allereinfachste! Und zudem wird das eine herrliche Fahrt werden! Sieh nur mal den goldenen Himmel!“

      Schon schrieb er die Rechnung. „So“, redete er während des Schreibens, „dem wollen wir es abknöpfen; dem tut es nicht weh! Keine Kinder, drei großartige Häuser in der Kunst- und Industriestadt, mächtigen Grundbesitz und ein weinumranktes Landhaus! Ja, das müsstest du mal sehen! Du hast dir ja immer etwas Ähnliches gewünscht. Weißes Fachwerk, dunkelblaues Gebälk, gelb ornamentierte, dunkelgrüne Fensterläden, rote Dachrinnen, bunt, alles bunt! Ungemein freundlich! Und dazu der Garten! Groß! Alte Erlen drin, knorrige Mispelbäume, ein singendes Bächlein, ein unendlich friedvoller Blick über die Wiesen hin zum Buchenwald hinüber, in dem knorrigen Mispelgezweig abends die rote Sonne!“

      Wie ein Ritter, der herrisch auf Beute auszieht, saß er auf dem Fahrrad, grüßte blitzend zum Fenster hinauf, wo seine Hanna stand, und sauste los. Die Hoffnung auf allerlei Glück gab ihm den ersten Anlauf. Kühn jagte er die Straße hinauf bis an die Kante des Rinnsteins, wo er durch eines Köters Schuld anrannte und absteigen musste. Das war wohl noch ein Stück von der alten Träumerei, züchtigte er sich, stieg trotzig entschlossen wieder auf, raffte sich scharf zusammen. „Fest und sicher!“ zischte er, und stolz fuhr er die Straße zu Ende.

      „Fest und sicher!“ Das Leitwort gefiel ihm, damit wollte er durchs Leben fahren. Zunächst auf dem Rade. „Fest und sicher!“ Solch ein Rad will gebändigt sein, philosophierte er. Es ist ein Stück Leben, das Radfahren. Beherrschung gilt es zu lernen. Es steckt ein Stück Freiheit im Radfahren, das muss man sich erzwingen und auf das Leben übertragen: robustes Festhalten, Augen offen, klug ausweichen, geschickt einbiegen, jeden Tritt zum Vorwärtskommen ausnützen.

      So raste er dahin. Die Hunde kläfften hinter ihm her; er hörte sie nicht. Pfeilstarr lag er auf dem Rade und sauste in den Abend hinein wie ein unüberwindlicher Sieger.

      Auf einmal schlug ihm ein Glühen ins Gesicht. Geblendet warf er sich hoch, das Rad schoss vor; aufschauend hielt er ein. Um ihn war der reiche Abend. Die Wiesen dehnten sich fruchtbar nach fernen, blauen Wäldern, die Äcker standen bebaut, die Ähren reiften in gelben Wellen, und über dem goldenen Segen tanzten die Lüfte. Beschützt von üppigen Obstbäumen, leuchteten die Bauernhäuser aus der Flur; stachelige Hecken umtrotzten ihren Frieden. Auf Feld und Wiesen wurde gearbeitet. Die Bauern peitschten die Tiere, und die vollen Erntewagen kamen über die Gräben. Hunde bellten, Gesang kam von irgendwoher, und über all der Fülle und Reife ging warm wie perlendes rotes Blut drüben hinter einer breit geästeten Erle, die träumend im Golddunst stand, die Sonne nieder.

      Unbedenklich stieg er ab, legte sich lächelnd zu den Blumen ins Gras und schaute.

      „Du Weites, du Reiches!“, murmelte er nach einer Weile, als spräche er ein Gebet. „Du bist sowohl roh als zart. In dir wirkt beides: Kampf und Friede, grobe Unbarmherzigkeit und feinste Liebe. Deshalb bist du so fruchtbar, so schön, so groß, so frei. Ich möchte werden wie du, so stark und fleißig, so gelinde und ruhig. Draufgängerisch wie ein Bauernknecht mit Sense oder Peitsche, zart wie eine Meise im Gebüsch. Das wäre das Vollkommene. Lass das in mir wachsen und reif werden, du Gewaltiger, du Zarter auf Erden und im Himmel …!“

      Als er wieder aufstand, sah er eine Geierfeder am Wege liegen. Auf seinem Raubzuge hat sie der Vogel verloren, sann er, vielleicht beim Erhaschen der Beute. Ich will sie aufheben und an meinen Hut stecken. Sie soll mir ein gutes Zeichen sein, eine Erinnerung an meinen ersten Raubzug ins Land des Reichtums. So hob er sie auf und steckte sie wie ein Räuberhauptmann schräg vorn an seinen großen Schlapphut.

      Wie er jetzt wieder auf seinem Rade saß und sich das kecke Flattern der Geierfeder über seinem Kopfe versinnlichte und neu in die Wärme des Abends einlenkte, steigerten sich seine Gefühle zum großen Rausch.

      „Den ganzen Menschen!“, rief er. Klirr! gab sein Rad die Antwort auf den Stoß seines Rufes. „Tierische Kraft im Lebenskampf“ – er trat wie wütend in die Pedale – „und erhabenste Seelenreife!“ Er warf einen Blick gegen den Himmel. „Alle Zarten, Einsamen, Innigen müssen das lernen - alle!“ Und er sah diesen vollkommenen Menschen. Sieghaft groß war er. Vom Tierreich bis ins Engelreich ragte er. Er schritt mit den Winden. Seine Füße stampften die Erde. Seine Locken berührten die Wolken. Seine Hände steuerten sein Geschick. Seine Stimme gebot den Menschen. Die Welt war sein eigen. Und er selbst war dieser Mensch. Unbekümmert groß! Rücksichtslos hart! Sein Ziel Macht und Besitz! Die Fäuste eisern am Steuer! Die Augen wie Augen der Geier! Das Antlitz voll großer Lust an sich selbst und voll milden Hohns über alle seine Feinde! So mit erhabenem Blick in die volle Reife hinein, in den sicheren Reichtum, in das warme Land des Besitzes, in das blendend strahlende Reich des Glücks, in die Sonne, in die Sonne!

      Er sauste, jagte, raste. Seine Augen ließen den roten Ball nicht mehr los. Er musste

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