Das Geheimnis der Letzten. Fritz Binde
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Plötzlich wandte sich der reiche Winkels um und sagte: „Entschuldigen Sie, dass Sie mich so sahen! Das ist noch keinem zuteil geworden. Ich möchte jedoch nicht, dass die Leute davon erführen. Und nun machen Sie mir die Freude und bleiben Sie bei uns zum Abendessen! Es muss ja schrecklich spät geworden sein. Ich werde sofort Licht machen. Also Sie bleiben?“ Es war wieder ganz die alte, glatte, vorsichtig verbindliche Stimme.
„Ich kann nicht!“ stieß Franz gegen den Schatten und vertrat ihm den Weg zum Licht. „Bitte, kein Licht! Ich sehe sehr gut! Ich muss gehen! Sofort! Aber ich komme wieder! Ich verspreche es Ihnen! Recht bald! Sobald ich kann!“
Schaudernd entrang er sich einer heißen Hand, war aus dem Zimmer, griff nach seinem Hut, nach der Türklinke, stürzte hinaus nach dem Rade, suchte die Lampe zu entflammen; sein erregter Atem verlöschte das Streichholz, ein zweites brach unter der Hast seiner Hand, ein drittes brannte.
Eine zeitlose Sekunde starrte er in die wachsende goldene Flamme der kleinen Öllampe wie in eine nun ganz beruhigende, himmelslichte Offenbarung.
Plötzlich, schnell wie ein Fliehender, wie ein Geretteter löste er das Rad vom Zaune, öffnete hastig und doch leise, als könnte doch noch ein Ruf, ein Laut vom Hause her ihn bannen, das Tor und eilte hinaus auf die dunkle Landstraße. Genugsam zeigte das Licht den Weg; dem goldigen Strahlenspiel folgend, enteilte er dem leise geschlossenen Tor.
Das Rad sauste, die kleine Laterne wippte, klirrte. Der Staub des Weges kam ins Licht und warf sich gegen die schützende Scheibe. Aber das Flämmchen brannte, leuchtete über alle Gefahren hinaus, ein sicheres Licht auf dem Wege. Und der Weg kam und legte sich dem goldenen Licht zu Füßen, wurde hell und nun selbst golden, Stück um Stück, inmitten der Finsternis. Und das Rad begann im klingenden Lauf zu singen, leise erst, bebend und verstohlen, dann immer vernehmbarer, deutlicher, bestimmter, entschlossener, endlich, als stürmte ein Siegesgesang; und als der verklungen war, blieb ein mildes, inniges Singen, als klänge ein Loblied, als sänge eine alte Weise. Und Franz sah den Weg und sah das Licht und verstand das Klingen und vernahm die Rede und wiederholte sie mit seinem Munde, leise erst und dann immer gewisser und unter Tränen immer jubelnder: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“
Durch einen weiten Himmel fuhr er heim. –
Hanna lag im Fenster und sah ihn kommen.
Er nahm die Laterne vom Rade und stieg hinter ihrem goldigen Strahlenspiegel die Treppe hinauf. Denn obgleich die Treppe erleuchtet war, gab er doch das kleine Licht nicht preis.
„Du hast alles!“ jubelte die Frau, als sie ihn so auf halber Treppe mit dem brennenden Lämpchen zu sich emporsteigen sah. „Es ist dir geglückt! Ich sehe es an deinem Gesicht, an deinen Augen! Du hast alles!“
„Still!“ beruhigte er lächelnd seine Frau. „Ja, ich habe alles!“
Glückselig eilte sie voraus und hinauf wie ein unbändiges Kind. Weit, ganz weit riss sie die Stubentür auf. Ein ungewöhnlicher Glanz brach aus dem Zimmer. Staub- und schweißbedeckt kam Franz vor der Schwelle in den großen Lichtstrom. Das goldene Flämmchen seiner kleinen Laterne wurde plötzlich ganz arm und unbedeutend, ja beinahe dunkel. Erstaunt, ja erschreckt blieb er regungslos stehen; nur sein Atem keuchte. So sah er auf dem blendend weiß gedeckten Tisch zwei Lampen brennen, dazwischen einen Strauß schlichter Feldblumen, und um Strauß und Lampen festlich bereitet das Abendbrot.
„Weil es dir sicher schwer geworden ist“, sagte seine Hanna. „Oder …?“ Sie verstummte.
„Warum gehst du nicht hinein? Was ist dir?“ fragte sie endlich entsetzt.
Schweigend und immer noch zögernd trat Franz ins Zimmer. An den bebenden Lichtkreisen, die mit ihm die Schwelle passierten und in der Stube selbst kaum noch wahrzunehmen waren, ja beinahe wie Schattenringe hüpften, bemerkte er erst, wie die Hand zitterte, die das Lämpchen trug. Unsicher setzte er die kleine Laterne auf die dunkelste Ecke des Tisches und sich selbst auf den Stuhl.
„Hast du es bekommen und verloren?“ schrie die Frau. „So sprich doch!“
Gequält sah er über den festlichen Tisch hin und wieder zurück zu seinem Lämpchen.
„Da … sieh! Es leuchtet doch! Siehst du das Gold? Siehst du das Gold?“ Er zeigte auf die Tischdecke, wo tatsächlich die matten Strahlenkreise des kleinen Laternenlichts in warmer Goldfarbe spielten.
„Um Gottes willen, Franz … !“ Sie meinte nicht anders, als sei er des verlorenen Geldes wegen wahnsinnig geworden.
Nun lächelte er und zog sie an sich. „Da setz dich hin!“ bat er. Und sie hing ihm an Augen und Mund und setzte sich wie ein Kind.
„Ich wollte dir eigentlich eine Geschichte erzählen von einem ganz armen Manne, von diesem Lämpchen und von mir. Ja, ich hatte sie mir schon mit großer Freude zurechtgelegt, diese Geschichte. Aber als ich vor dieser Schwelle hier mein Licht so erbleichen sah, wollte meine Freude schier sterben. Schon glaubte ich, ich hätte ja doch wieder alles verkehrt gemacht, alles wieder dir und unseren Kindern zum Schaden. Aber … da sah ich plötzlich das Gold wieder, das Gold da von dem Lämpchen, dasselbe Gold, das mir in der dunklen Nacht draußen geleuchtet hat auf dem Wege …“
Sie wollte schon wieder unruhig werden; aber er hielt sie fest und beschwichtigte: „Bleib still!“ Aber damit sprang er selber hoch, schaute ihr in die Augen und rief: „Denn ich habe ja nicht gelogen! Ich habe ja dennoch alles, alles mitgebracht! Weit mehr als eine bezahlte Rechnung! Weit mehr als das Wohlwollen eines Menschen! Denn siehe, ich bin unselig, blind und arm gegangen, und ich komme selig und sehend und reich wieder! Ja, noch reicher und seliger als früher!“
Und wieder wollte sie unruhig werden. Aber nun fasste er ihre beiden Hände und erzählte: „Sieh, ich wollte ja alles recht vollbringen. Ich hatte schon die Rechnung in der Hand, um sie dem reichen Manne zu übergeben. Aber was der reiche Mann nachher zu mir sprach, und was ich zu ihm sprechen musste, das war zu ernst, zu ergreifend, zu heilig, Hanna! Dabei ließ sich keine Rechnung über gelieferte Brillen, Kneifer und Lorgnetten präsentieren. Das ging nicht, Hanna! Und sieh, zum
Schluss stand der reiche Mann so bettelarm vor mir, so bettelarm – ich werde es dir nachher noch im Einzelnen erzählen –, da konnte ich ihm erst recht keine Rechnung überreichen. Und ich war währenddem reich geworden! Alles war mir auf so wunderbare Weise wiedergegeben worden, was ich noch eine halbe Stunde vorher wie einen Ekel von mir werfen wollte. Da, liebe Hanna, fühlte ich mich so überreichlich bezahlt. Wie konnte ich da noch von einer Rechnung reden! Ich riss mich los von jedem weiteren Wort. Ich brannte inwendig. Ich warf mich hinaus in die Nacht. Ich lag auf meinem Rade und weinte vor unserem Gott. Mit diesem goldigen Lichte da auf meinem Wege fuhr ich durch ein endloses Reich des Glücks. Die Rechnung knitterte zwischen Rad und Brust, ich lachte darüber; ich ließ sie knittern. Nur einmal holte ich sie heraus, stieg ab und schrieb ein Gedicht darauf, das mir die Gnade unterwegs schenkte – ich werde es dir nachher als Festspruch vorlesen –, dann stieg ich singend wieder auf und fuhr zu dir. Und sieh, morgen schicken wir den armen Winkels eine neue Rechnung, und das Raubtier da unten bekommt sein Futter eben einige Tage später. Und nun fröhlich, Hanna! Was soll uns denn geschehen? Wer will uns arm machen? Wer unglücklich? Wer kann uns verderben? Sieh, der in uns ist, ist größer als der, der in der Welt ist!“
Und damit küsste er sie und dankte ihr.
Und Hanna sprach: „Wenn es so ist, dann ist es gut. Du hast dann das Beste wieder ins Haus