Das Geheimnis der Letzten. Fritz Binde
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Читать онлайн книгу Das Geheimnis der Letzten - Fritz Binde страница 4
Nein, so etwas! Das war ja wie Betrug, wie Täuschung, wie grobe Spitzbüberei. Er wollte sich entrüsten, den offenen Mund zuklappen, und wie ein verärgertes Kind böse tun, aber stattdessen musste er noch immer verdutzt lachen. Worüber eigentlich? Er konnte sich nicht klarwerden, worüber. Er war noch lichttrunken. Gold umfloss das schöne Haus. Wie geöffnete, breite Mäuler voll flüssigen Goldes lagen die Wolken über dem Garten. Also doch kein Traum! Wie sollte auch dies ein Traum sein? Dieser Garten und dieses Haus eines Mannes, dem nichts im Zugreifen zerronnen und versunken ist! Hier hat es einer zu etwas gebracht, wie man sagt. Jawohl, hier grüßt belohnte Mühe, gelungenes Wagen, gestilltes Sehnen! Hier lächelt die Kraft und Macht eines Tüchtigen, sieht sich um in ihrem Besitz und nennt sich Glück. Selig lächelte er hinüber zum bunten Hause und wiederholte laut: „Und nennt sich Glück!“ Und im lächelnden Hinüberschauen empfing er die Schönheit des Landhauses und des goldüberhangenen Gartenbildes so völlig für die Schatzkammer seiner Seele, dass er alles überwältigend gewann und nur noch staunend wiederholen konnte: „Und nennt sich Glück!“
Und was hat dir dein siebenter Himmel eingebracht, du armer Tropf? schrie er sich plötzlich innerlich an. Illusionen, nichts als Illusionen! Nun stehst du zur Strafe hier und gaffst wie ein Lump. Aber zugleich fiel ihm ein, diese grobe Anrede passte ja gar nicht mehr auf ihn, sondern galt nur noch dem dummen Menschen von früher, den er heute über den Haufen gerannt hatte. Und vor diesem bekam er mit einem Mal einen solchen Ekel, dass er wie ein geschienter Ritter auffuhr, das Rad herrisch herumwarf, vor das Tor führte, anlegte und Einlass begehrte, als stände er bereits vor seinem eigenen Hause.
Die ihm das Tor geöffnet, hatte so höhnisch gelächelt; warum wohl? Vergeblich besah er sich rundum in dem Spiegel des Zimmers, in das man ihn geführt hatte. An die Geierfeder, mit der er sich dem Mädchen präsentiert hatte, dachte er nicht mehr. Und dann verlor er sich vom Spiegel aus an die vornehmen Dinge ringsumher. Wie eine Brustwehr ist der Besitz, philosophierte er. Es steckt eine erobernde Macht in den vornehmen Dingen. Sie sind das Ebenbild eines edlen Willens. Sie helfen beherrschen, sie verpflichten, sie erziehen. Es ist die Zucht zur Schönheit. Die Schönheit aber ist die duftende Blüte des Besitzes. Und alles Hässliche und Ärmliche ist Missrat, Unrat und Unzucht. Unzucht? Er erschrak. Ist das Wort nicht zu scharf? Nein, nein! Es rüttelt auf, es entscheidet. Entschlossen ließ er es bestehen, reckte sich empor in die Vornehmheit hinein, stellte sich gleichsam auf die Seite der kostbaren Dinge, als müsste er durch sie den edelsten Teil seines Wesens retten. Und sonderbar, das fiel ihm gar nicht schwer. Im Gegenteil, er fühlte sich seltsam befähigt zum reichen Manne.
Aber da erschien die Frau des Hauses. Und wieder einmal fühlte er sich versucht, sie als Frau Kommerzienrätin oder besser noch als Frau Konsistorialrätin anzureden. Sie begrüßte ihn in würdevoll lächelnder Vornehmheit und sagte: „Es geht Ihnen gut, nicht wahr?“ Und fragte das mit solch gebieterischem Wohlwollen, dem die zustimmende Antwort selbstverständlich schien, dass er bedingungslos lächelte, dankte und nickte; doch war es ihm auch wirklich, als hätte er heute nur Schönes und Gutes erlebt.
„Und wie geht es denn in Ihrem Geschäft? Auch gut, nicht wahr? Sehen Sie! Und Sie können gewiss jedes Jahr etwas zurücklegen, nicht wahr?“ fragte die Dame, als berühre sie damit die höchste Tugend eines rechtschaffenen Mannes.
Er hätte nicht nein sagen können; es war ihm wie ein Trotz gegen die moralische Absicht der Frage. „O ja“, nickte er; und wiederum war es ihm zugleich, als hätte er wirklich jedes Jahr etwas zurückgelegt.
„Man sieht es Ihnen auch an, wie wohl es Ihnen ergeht“, bemerkte die reiche Frau mit sinnendem Lächeln. „Sie sind ja immer in einer Seligkeit – so sorglos …!“
Auch diese Bemerkung schien ihm zutreffend; denn sie traf eine ureigene Kraft in ihm, aus der heraus er jetzt in die Höhe wuchs, ja, mit der er wuchern und trotzen konnte: „O ja“, sagte er, „ich glaube, es kann mich nichts auf Erden ganz unglücklich machen.“
Darauf war es, als stiege die reiche Frau, von dieser Antwort beengt und vertrieben, mit wankendem Fuße herab aus der Höhe des überlegenen Wohlwollens.
„Sie haben eine glückliche Natur“, korrigierte sie. „Und zwei liebe Kinder! Und sind gesund! Sehen Sie, wir zum Beispiel haben niemanden, der im Alter für uns sorgen wird. Wir konnten nie aufhören, uns ernsthaft zu mühen und zu plagen. Da ist jahrelang während der Saison keine Nacht vergangen, in der mein Mann nicht bis zwölf Uhr gearbeitet und wachliegend im Bette bis zum Morgen gesorgt und geplant hätte. Wenn ihm jetzt das nervöse Kopfweh so viel zu schaffen macht, ist es denn ein Wunder? Wir haben, wie gesagt, niemanden, der im Alter für uns sorgen wird. Was blieb uns übrig? Wir haben das Geschäft mit Schulden begonnen, und wenn wir jetzt etwas errungen haben, womit man sich in der Welt sehen lassen kann, so wissen wir auch, wieviel Mühe es uns gekostet hat und wie man das Erworbene zusammenhalten und immer weiter streben muss. Ja, hätten wir Kinder! Aber wir haben nun einmal keinen, der für uns sorgen wird. Und man weiß nie, was einem noch alles zustoßen kann. Sehen Sie, da ging es nicht anders! Da konnte man nicht zu seiner Freude leben.“
Sie sprach das alles wie zu ihrer Rechtfertigung; und er hörte kopfnickend zu, gab sich Mühe, die Not des geschilderten Lebens einzusehen, und staunte in überlegenem Mitleid vor dem Angstruf: „Wir haben keinen, der für uns sorgen wird!“
Da senkte die weißhaarige Dame das noch im Alter schöne Gesicht mit den stolzen Augen, zeigte ihre einst schönen, jetzt aber blauweißen, muskellosen Hände, die fortwährend zitterten, und sagte wie zur weiteren Rechtfertigung: „Sehen Sie, so zittern sie fortwährend vor Nervenschwäche, dass ich gar nichts mehr halten kann! Jetzt habe ich mir das zweite Mädchen nehmen müssen – wir wohnen ja zu weit von der Stadt weg –, da war das eine Mädchen den halben Tag unterwegs und ich hier allein mit diesen ohnmächtigen Händen! Und nun sitzen wir zwei Leute hier mit zwei Mädchen! Das ist doch zu viel, nicht wahr? Das wird auch zu teuer! Und überhaupt wird uns das Leben hier draußen viel teurer, als wir gedacht hatten. Man muss der Entfernung von der Stadt wegen so vieles auf Vorrat einkaufen, und im Nu ist es verdorben. Und was uns im Garten zugrunde gegangen ist! Und was uns die Leute gestohlen haben! 1m Dorfe wohnt so viel gewöhnliches Pack! Sie glauben nicht, wie schlecht die Menschen sind! Unser eigener Gärtner …! Sehen sie, wenn mein Mann nun wenigstens klug würde und diese humanen Ideen aufgäbe! Er hat sie ja wohl nie in die Praxis übertragen, aber er quält sich damit. Man muss doch mit dem wirklichen und tatsächlichen Leben rechnen, nicht wahr? Das ist doch gewiss auch Ihre Meinung. Trotzdem Sie ja, wie mir mein Mann sagt, ähnliche ideale Gedanken pflegen. Aber sie quälen sich doch nicht damit.“
„Nein“, bestätigte er, „quälen? Nein!“
Wie er aber die Moral der Frage bedachte und wieder trotzen wollte, ging die Tür auf, und Herr Winkels stürzte herein.
Er sah nicht gut, der Herr Winkels. Er hatte von Geburt an etwas verhangene Augen; die Lider überdeckten den halben Blick. Wie ein halb Blinder hob er das Gesicht ins Zimmer; seine Stirn, die Glatze, der ganze Kopf glühte.
„Ah!“ machte er, „da sind Sie ja! Seien Sie mir von ganzem Herzen willkommen!“ Beleibt tänzelte er auf Franz zu und fasste dessen Hände. „Von ganzem Herzen!“ wiederholte er lächelnd und in der leisen, vorsichtigen und doch verbindlich sein