Das Geheimnis der Letzten. Fritz Binde

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Das Geheimnis der Letzten - Fritz Binde

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Gesicht seiner Frau: „Wir könnten wohl etwas Wein … Du bist wohl so gut, Klärchen …“

      Die hohe, weißhaarige Frau ging mit vornehmen Schritten aus dem Zimmer.

      Herr Winkels betippte sich die rote Stirn, sah gequält zu Boden, erhob unselig das Gesicht und rieb schließlich wieder, von neuem Franz umtänzelnd, die dicken Hände. So flüsterte er lächelnd: „Das ist sehr schön, dass sie mich mal besuchen! Wirklich schön! Ich freue mich stets, wenn ich Sie sehe! Wie geht es Ihnen denn? Wie sind sie denn hergekommen? Ich sah da ein Rad stehen … Also auf Ihrem Rade.“ Er kratzte sich nachdenklich das Kinn. „Ich habe auch schon lange vorgehabt mal wieder zu radeln, aber ich habe keine Zeit, und es ist mir auch ein, zu teurer Sport … die Reparaturen … und dann die Gefahr … und das geisttötende Treten…!“ Er lächelte fragend.

      „Man muss das Rad etwas beseelen“, sagte Franz, „dann ist das Fahren gar nicht so geisttötend. Ich fuhr heute geradeaus in die Sonne.“

      „Sie fuhren …? Ei, sie fuhren geradeaus in die Sonne?“ Mit wirrer Kopfbewegung hob er die verhangenen Augen gegen das matte Licht des Fensters: „Sie fuhren …? Nein, was sie doch für ein glücklicher Mensch sind! Sie fuhren geradeaus in die Sonne? Ich habe zu so etwas keine Zeit! Ich muss es noch einmal sagen: Ich habe absolut keine Zeit zu solchen Sonnenfahrten! Ich“ – und nun lächelte er, als legte er mit Galgenhumor ein betrübendes Bekenntnis ab – „ich habe heute Zinsen eingetrieben“ – mit einer bitteren Freude betonte er den Gegensatz – „Häuserreparaturen beaufsichtigt und mich um Mieter für zwei Wohnungen bemüht, die mir schon allzulange leer standen. Ich habe ein halbes Dutzend Mahnbriefe an faule Schuldner geschrieben, Prozessgeschichten abgewickelt, Landverkauf geordnet. Nein, was war es heute nicht wieder alles! Sehen Sie, da ist mir leider keine Zeit geblieben zu solchen Vergnügungen, wie Sie sie da auf Ihrem beseelten Rade genossen haben!“

      Franz wollte antworten. Er wollte entgegnen, dass ihn die Sorge hierher getrieben habe.

      Er griff nach der Rechnung.

      Aber der reiche, schwachsichtige Winkels hielt diesen Griff für eine Gebärde des Beleidigtseins. Schnell sprang er auf ihn zu, legte ihm die dicke, weiße Hand auf die Brust, gerade dahin, wo die Rechnung knitterte, und hub an: „Nein, nein, es ist gut, dass Sie auf diese Weise mal hierhergekommen sind! Sie wissen ja gar nicht, was das für mich bedeutet! Wie Sie mich damit bereichern! Wenn man so vereinsamt ist, wie ich es bin! Wenn man niemanden hat, dem man sein Inneres offenbaren kann! O ich sage Ihnen, immer dieser erbärmliche Erwerb! Immer in der Abwehr gegen Abscheulichkeiten! Ja, unglaublich, gegen welche Abscheulichkeiten! Betrug, Unterschlagungen, Hintergehungen Veruntreuungen! Begangen von Leuten, denen sie jahrelang blindes Vertrauen geschenkt haben! Und Sie kommen durch dieselben Leute um Ihr Geld!“

      Gerade brachte das Mädchen den Wein und die Gläser.

      Das brachte den reichen Winkels wieder zu sich.

      „Lassen Sie einmal sehen, Käthe, ob es der richtige ist!“ fragte er plötzlich gesammelt, hielt die Flasche, als ob er jetzt ganz gut sähe, ins letzte Licht des Tages, schickte mit einem knappen Wort das Mädchen fort und begann trotz der Dämmerung mit gewandter Hand die Gläser zu füllen, dabei redend: „… ja, was wollte ich doch sagen?“ Auch das zweite Glas füllte er. „Ja, … na, was wollte ich doch sagen …? Da sehen Sie!“– entsetzt stieß er die Flasche auf den Tisch – „Da sehen Sie! So verlässt mich mein Gedächtnis oft vollständig! Ich sage Ihnen: Ich werde total aufgerieben in diesem Kampf! Mein Kopf ist wirr“ – schlenkernd fingerten die Hände über die Glatze hin – „mein Kopf ist … ja, ich weiß überhaupt manchmal nicht mehr, ob ich noch einen Kopf habe, sehen Sie …“ Blöde hielt er das dunkelrote Gesicht vor Franzens Augen, als offenbare er die unglücklichste Geistesleere, dann senkte sich das Gesicht und wurde dabei misstrauisch matt. „Aber wir haben ja noch nicht getrunken!“ belebte er sich im nächsten Augenblick. „Zu Ihrem Wohl! Dass Sie noch viele – Sonnenfahrten machen! So wie heute!“ Die kupfern glänzenden Wangen versuchten ein aufgeräumtes Lächeln, aber es blieb ärmlich.

      Das Glas hinstellend, befühlte er jetzt ängstlich die gerötete Stirn und redete: „Eigentlich sollte ich ja keinen Wein trinken … Sie sind doch auch gegen den Alkohol, nicht wahr? Man muss vom sozialethischen sowohl als vom sozialhygienischen Standpunkt aus absolut …“ Und nun hielt er eine lange Rede gegen jeglichen Alkoholgenuss und trank dazwischen. Ebenso absolut sprach er gegen die Unsitte des Rauchens, aber auf seinem Schreibtisch sah Franz eine mit Aschenhäufchen bedeckte messingene Rauchschale blinken. Schließlich kam er auf die rohe Abscheulichkeit des Mordens unserer lieben Mitgeschöpfe, der Tiere, zu sprechen. „Der Metzger, die Jagd!“ ereiferte er sich. „Nur dass der Mensch lüstern fressen kann! Es ist unerhört! Sie enthalten sich doch auch des Fleischgenusses?“

      Franz besah den beleibten Mann, der im Hinschwinden des Abendlichts mehr und mehr zum Schatten wurde, und sprach: „Soviel wie möglich. Ich möchte Herr über jedes Bedürfnis werden, das mir den Weg zum Leben versperrt.“

      „O …“ machte Winkels – und der Ton war halb für, halb gegen den Radikalismus – „da müssen Sie unsere gesamten Verhältnisse umändern!“ Und nun beschrieb er sehr gut die soziale Lage und Frage, die „blinde“ Hetze nach Macht und Mammon, den brutalen Materialismus den allgemeinen Raub und Betrug, die „Scheußlichkeiten“, die er selbst hatte erleben müssen, und schloss, indem er sich den Kopf hielt: „Sehen Sie, da müsste ein Feuer angezündet werden auf Erden, ein Feuer, wie heißt es doch gleich in der Bibel? Ein Feuer … ‚was wollte ich lieber, denn es brennete schon?‘“ Bewegt tastete er nach dem Glase und trank. „Ein neues Gewissen“, fuhr er fort. „Ein neues Gewissen auf Grund der alten Evangelien! Endlich einmal hilfsbereites, ernsthaft praktisches Christentum! Beileibe keine Dogmen mehr, aber die Ethik Jesu modern-sozial praktiziert! Modern-sozial! sage ich. Sehen Sie, ich habe damit begonnen“ – er redete leiser – „ich habe nahezu meinen gesamten liegenden Grundbesitz parzelliert. Ich will Einfamilienhäuser bauen lassen. Billig und hübsch. Meine Mitmenschen sollen heraus ins Grüne. Die öde Großstadt, die hohen Mieten für lichtlose Wohnungen, das alles soll aufhören. Jeder soll im eigenen Heim auf eigenem Grund und Boden wohnen, glücklich und frei. Was ich bei diesem Unternehmen verdiene, werde ich zu weiteren humanitär-sozialen Zwecken verwenden“. Alles an ihm war jetzt Energie und Leben.

      „Und wieviel wird das sein?“ fragte Franz plötzlich.

      Die Lebendigkeit des beweglichen Schattens hörte auf.

      „Das wird … Ich habe mir die Sache auf rund fünfzigtausend Mark berechnet“, hörte Franz den reichen Winkels leise sage.

      „Und was wollen Sie denn mit den fünfzigtausend Mark anfangen?“ fragte Franz, sich höher reckend.

      „Was ich damit anfangen will …?“ Die Stimme klang ganz verändert hart und misstrauisch. „Nun, ich habe es Ihnen ja bereits gesagt: In neue soziale Unternehmungen werde ich sie stecken.“

      „Um weitere fünfzig- oder hunderttausend Mark zu verdienen?“ fragte Franz kalt.

      „Warum nicht?“

      „Wozu?“

      „Wozu?“ Der immer plumper gewordene Schatten krümmte sich jetzt, wand sich. „Nun, wozu man schließlich überhaupt Geld verdient: um leben zu können! Aber, was wollen Sie?“ schrie er ins Dunkel.

      „Sie können noch immer nicht leben?“ fragte Franz ruhig. „Dann werden Sie auch mit den weiteren hunderttausend Mark nicht leben können.“

      „Ja, es tut mir leid“, rief der Schatten aus. „Aber was meinen sie denn, was ich jetzt besitze? Wir haben

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