Die Rache des Waschbären. Christian Macharski
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Читать онлайн книгу Die Rache des Waschbären - Christian Macharski страница 12
Hastenraths Will zog seinen schwarzen Mantel aus und hängte ihn an den Garderobenhaken neben der Tür. Darunter kam tatsächlich sein übliches Outfit zum Vorschein: das karierte Hemd, die graue Arbeitshose mit den zerfransten Hosenträgern sowie die Gummistiefel. Aus der Innentasche seines Mantels fummelte er eine Zigarre heraus, die er sich mit großer Geste anzündete, bevor er antwortete: „In der Gastronomie vielleicht. Aber doch nicht hier in Saffelen, bei Harry Aretz. Das wär ja noch schöner. Wir lassen uns doch nicht von die da oben vorschreiben, wie wir unsere Freizeit verbringen sollen. Jedenfalls nicht so lange, wie ich Ortsvorsteher bin. Komm, wir setzen uns was an die Theke, bis die anderen kommen.“ Kleinheinz folgte ihm zum Tresen, wo sie auf Barhockern Platz nahmen. Direkt neben ihnen machte ein Merkur-Spielautomat ziemlichen Lärm. Davor saß ein pausbäckiger Mann mit rötlichem Haarkranz, der mit seiner Hand immer dann das mittlere Sichtfeld zuhielt, wenn die Rollen mit den Glückssymbolen rotierten. Dazu musste er seinen kurzen Arm ganz durchstrecken, weil sein Bauch einen natürlichen Abstand zum Spielgerät herstellte. Auf einer Ablage neben dem Automaten standen ein überquellender Aschenbecher und ein Glasstiefel voller Bier, an dem der Mann zwischendurch hoch konzentriert nippte.
„Was wollt ihr trinken?“, fragte ein mürrischer Harry Aretz, ohne aufzusehen, während er fachmännisch mehrere Biergläser unter dem Strahl der Zapfanlage vorbeiwandern ließ.
Will überlegte kurz. „Für mich ein Herrengedeck und für der Peter hier …“ „Für mich bitte ein Wasser“, sagte Kleinheinz schnell. Erst jetzt hob Harry den Kopf und runzelte die Stirn. „Diiirk“, brüllte er quer durch den Saal, „guck mal nach, ob wir noch eine Kiste Wasser im Keller haben!“
Fredi Jaspers hatte seine Mutter in die Obhut ihrer Freundinnen, der katholischen Strickfrauen, gegeben und sich Borowka und Rita angeschlossen, mit denen er nun den Saal betrat. „Wie geht es dir, Fredi?“, fragte Rita ernsthaft besorgt und legte ihm mütterlich die Hand auf die Schulter. Die Ehefrau von Richard Borowka war für ihre Verhältnisse dezent geschminkt. Lediglich der pinke Nagellack auf ihren falschen Fingernägeln wirkte etwas deplaziert. Ansonsten trug sie ein schwarzes Kostüm und hatte ihre blonde Dauerwellenmähne züchtig zusammengesteckt. Borowka und Fredi trugen schwarze Anzüge und waren sich auf dem Weg in die Kneipe vorgekommen wie die Men in Black. Da sie von ihren Fußballkollegen begleitet wurden, war auch die Illusion von menschgewordenen Aliens perfekt. Fredi hatte seinen Anzug vor vielen Jahren anlässlich eines Tanzkursus gekauft, zu dem er von Martina überredet worden war. Er hatte ihn bisher nur ein einziges Mal getragen, da er sich gleich in der ersten Stunde einen Bänderriss zugezogen hatte. Fredi fühlte sich einigermaßen unwohl in dem Anzug, weil er seit damals knapp fünf Kilo zugenommen hatte. Er erweiterte unauffällig seinen Gürtel um ein Loch, während er Rita antwortete: „So lala. Ich mein, so auf dem Friedhof war das natürlich noch mal so richtig schlimm. Aber jetzt geht es schon wieder. Und in die letzten Tage war ich ja fast nur damit beschäftigt, die Beerdigung zu organisieren. Aber Mutter geht es nicht besonders gut.“
„Fredi, auch ein Bier? Ich hol mal eine Runde für die Jungs. Helf mir mal tragen, Rita“, kommandierte Borowka.
„Ja klar“, antwortete Fredi, „ein Bier ist jetzt genau das Richtige. Ich geh mal nach hinten zu mein Onkel.“
Borowka hob den Daumen und zog Rita an der Hand hinter sich her zur Theke. Er postierte sich neben Hastenraths Will, weil er dort die besten Aussichten vermutete, vom eifrig zapfenden Harry Aretz bemerkt zu werden. Der Ortsvorsteher schien in ein sehr wichtiges Gespräch mit Kommissar Kleinheinz vertieft zu sein, denn die beiden hatten die Köpfe eng zusammengesteckt und tuschelten angeregt miteinander. Borowka schlug dem Landwirt auf die Schulter und sagte anerkennend: „Sehr gute Rede!“ Will und Kleinheinz zuckten hoch und sahen den Vorstopper der Saffelener Fußballmannschaft überrascht an. Kleinheinz konnte trotz des Lobs für die Grabrede keinerlei Ironie in Borowkas Stimme erkennen. Dafür fielen ihm ein Pflaster auf dessen Stirn und eine aufgeplatzte Lippe auf. „Was ist denn mit Ihrem Gesicht passiert?“, fragte er interessiert.
Borowka tippte mit seinem Finger leicht aufs Pflaster. „Ach das. Nix Besonderes. Wir hatten gestern in Himmerich eine kleinere Meinungsverschiedenheit mit die Uetterather. Die waren der Udo doof gekommen. Das haben die aber nachher eingesehen. Wenn Sie wissen, was ich damit andeuten will.“ Borowka lachte dreckig. Rita verdrehte die Augen. „Komm, bestell und lass der Herr Kleinheinz in Ruhe. Du siehst doch, dass der sich mit der Will am unterhalten ist“, drängte sie ihren Mann.
„Ja, ja“, Borowka drehte sich zur Theke. „Harry, mach uns mal zwölf Mal Herrengedeck und eine Asbach-Cola für mich als Wegzehrung bis hinten.“ Borowka lachte wieder dreckig und Rita verdrehte erneut die Augen.
Kleinheinz wandte sich zurück an Will und dämpfte wieder seine Stimme: „Okay, ich geb zu, dass die Sache mit Theo Jaspers und dieser Julia ein wenig seltsam klingt, aber zum einen ist das schon so lange her und zum anderen war Theo wahrscheinlich nur unglücklich verliebt. So was kommt vor.“
„Ja sicher“, flüsterte Will, „aber du hast selbst gesagt, dass der Selbstmord genauso gut ein …“
„Psst“, unterbrach Kleinheinz ihn. „Ich hab dir doch jetzt schon mehrmals gesagt, dass das einfach nur so dahergeredet war. Es gibt überhaupt keine Anhaltspunkte für ein Verbrechen. Außerdem habe ich Urlaub und mein Chef erzählt mir was anderes, wenn ich mit einer dreißig Jahre alten Geschichte ankomme.“
„Ach, wer redet denn von dein Chef? Wir können uns die Sache doch erst mal selber angucken. Ich habe mir schon was überlegt. Morgen gehen wir mal unverbindlich zum Altenheim hier in Saffelen. Da lebt die Mutter von Julia. Die ist zwar alt, aber noch gut dabei. Die kann uns bestimmt …“
„Will, jetzt mal langsam.“ Kleinheinz legte ihm die Hand auf den Arm. „Du kannst doch eine alte Frau nach all den Jahren nicht mit solchen Sachen konfrontieren. Die hat auf tragische Weise ihre Tochter verloren. Die möchte ihre Ruhe haben, glaub mir das.“
„Wie gesagt, Peter. Ich habe mir da gestern viele Gedanken drüber gemacht. Und dabei sind mir ein paar Sachen von früher eingefallen, die dich bestimmt interessieren. Hör dir das erst mal an und dann kannst du entscheiden, ob wir zum Altenheim fahren oder nicht. Was meinst du?“
Kleinheinz rieb sich das Kinn. Die Sache gefiel ihm überhaupt nicht. Es war nie gut, alte Geschichten aufzuwärmen. Auf der anderen Seite musste er zugeben, dass ihn der Fall, wenn es denn einer sein sollte, schon reizte. Sein Chef und der Polizeiarzt hatten ihn aus dem Verkehr gezogen, weil sie ihm zurzeit keine Ermittlungsarbeit zutrauten. Aber denen würde er es zeigen. Kommissar Kleinheinz gehörte noch lange nicht zum alten Eisen. Und deshalb antwortete er nach kurzem Zögern: „Okay, Will. Erzähl mir, was du weißt. Aber nicht hier. Hier sind mir entschieden zu viele Leute. Außerdem wird mir schlecht von dem ganzen Qualm. Lass uns ein paar Meter an der frischen Luft gehen.“
„Sehr gut“, Will sprang erfreut auf, „dann kann ich dir bei der Gelegenheit auch was zeigen.“
Borowka war froh, dass die beiden Geheimniskrämer endlich gingen, denn Harry Aretz hatte das Tablett mittlerweile komplett mit Gläsern zugestellt. Es würde nicht