Die Rache des Waschbären. Christian Macharski

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Die Rache des Waschbären - Christian Macharski

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also.“

      „Nee, der Wildtierpark ist kein Zoo“, sagte Will.

      „Nein, nein. Neozoon nennt man ein Tier, das durch menschlichen Einfluss irgendwo angesiedelt wurde, wo es nicht heimisch ist.“

      Marlene sah Kleinheinz voller Bewunderung an. Nie war ihr jemand begegnet, der so attraktiv wirkte, obwohl er Fremdwörter gebrauchte. Will entging der schmachtende Blick seiner Frau nicht und so versuchte er, wieder das Thema zu wechseln. „Na ja, wie auch immer. Auf jeden Fall hat sich die Julia 1982 im Wald aufgehängt.“

      „Ach ja, richtig“, sagte Kleinheinz. „Und was hat jetzt Theo Jaspers damit zu tun?“

      Will hob die Schulter. „Ja, das wusste ich bis eben auch nicht, dass der Theo in die Julia drin verliebt war.“

      „Ach hör doch auf“, Marlene stieß ihn an. „Du hast doch eben selbst gesagt, dass alle Saffelener Männer hinter die Julia her waren. Die war die beste Partie im ganzen Dorf.“

      „Ich war nicht in die drin verliebt“, verteidigte sich Will lautstark, „außerdem war ich doch schon mit dir verheiratet. Da hatten wir ja sogar Sabine schon.“

      „Der Theo war auch schon mit die Anneliese verheiratet. Und die hatten auch schon der Fredi.“

      „Ach, sieh an“, Kleinheinz schürzte genüsslich die Lippen, „von wegen heile Welt. Sodom und Gomorrha ist das hier in Saffelen. Also, wenn ich jetzt im Dienst wäre, würde ich sagen: Das riecht nach einer Beziehungstat. Na ja, aber andererseits hat die Spurensicherung ja den Selbstmord festgestellt.“

      „Spurensicherung?“, fragte Will. „Also, du meinst jetzt so Leute, wie die, die damals hier waren, wie der Kaufladen von Eidams überfallen worden war?“

      Kleinheinz nickte.

      „Nee, so was gab es damals noch nicht“, widersprach Will. „Zu der Zeit hatten wir noch ein Dorfpolizist, Jütten Karl-Josef. Ein ganz scharfer Hund. Der hatte in der Grundschule eine eigene Wache und hat damals zusammen mit der Dr. Hoppe der Selbstmord von die Julia festgestellt. Also mit der tote Dr. Hoppe. Der Vater von der jetzige Dr. Hoppe.“

      „Ach?“, murmelte Kleinheinz und zupfte sich nachdenklich am Ohrläppchen.

      „Warum sagst du denn so komisch ‚Ach‘?“, fragte Marlene.

      „Das muss nichts zu bedeuten haben. Ich kenne das nur so, dass ein Suizid immer von der KTU Aachen untersucht und bestätigt werden muss. Das gilt für alle unnatürlichen Todesfälle. Aber früher war das wahrscheinlich schon mal öfter so, dass das dann ein Hausarzt machte oder, wie hier, ein Hausarzt und ein Dorfpolizist. Allerdings kann man gerade bei ‚Erhängen‘ viel übersehen. Was meint ihr, wie viele Morde nicht als solche erkannt werden.“

      Will und Marlene starrten ihn entsetzt an. Fast gleichzeitig sagten sie: „Mord? Du meinst …?“

      Als Kleinheinz gewahr wurde, was er angerichtet hatte, wedelte er hektisch mit beiden Händen, so als wolle er versuchen, seinen letzten Gedanken aus dem Raum zu vertreiben. „Um Gottes willen, nein! Ich habe doch nur laut gedacht. Das war nur eine blöde Idee. Natürlich war das damals ein Selbstmord. Das liegt doch auf der Hand. Zuerst der Freund und dann …“

      Doch Hastenraths Will hörte schon längst nicht mehr zu. In Gedanken begab er sich bereits auf die Spur eines unheimlichen Meuchelmörders. Verwegen, furchtlos und nur bewaffnet mit seinem messerscharfen Verstand.

      Donnerstag, 8. September 2011, 17.51 Uhr

      Müde und abgekämpft betrat Hastenraths Will das Wohnzimmer. Es lag ein langer Tag auf dem Hof hinter ihm, der mit dem Melken der Kühe um halb sechs begonnen und vor wenigen Minuten mit dem Melken der Kühe auch wieder aufgehört hatte. Nun freute er sich auf seinen Fernsehsessel mit der automatischen Kippfunktion und den breiten Armlehnen, die ihn in wenigen Sekunden in Empfang nehmen und ungefähr bis zu den Tagesthemen liebevoll umschließen würden. Wie er diesen Moment liebte! Bevor er seine Gummistiefel abstreifte, um seine Füße auf dem gepolsterten Hocker abzulegen, stellte er sich noch ein Weinbrandglas und eine zu drei viertel gefüllte Flasche Dujardin auf dem Wohnzimmertisch zurecht. Daneben lagen ordentlich die aktuelle Ausgabe der Prisma und die Fernbedienung, deren Funktionstüchtigkeit er in letzter Zeit des Öfteren mit einem leichten Schlag auf die Tischkante hatte wiederherstellen müssen. Er zog die Stiefel aus und ließ sich gemütlich in seinen Ohrensessel sinken – nur, um eine Sekunde später wieder hochzuschrecken, weil die ohrenbetäubende Türklingel loskreischte und mit ihr Attila im Hof. Will fuhr mit seiner rechten Hand über sein Herz und musste zweimal schnell durchatmen. „Verdammte Klingel“, entfuhr es ihm. Nachdem er sich wieder gesammelt hatte, brüllte er mit lauter Stimme durchs Haus: „Marlene, geh mal nach die Tür. Es hat geklingelt.“ Ihre Antwort kam prompt, aber sehr gedämpft aus dem oberen Stockwerk. „Ich bin noch im Badezimmer. Geh du mal.“

      Will verzog das Gesicht und erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel. Noch bevor er den Flur erreicht hatte, jaulte die Klingel ein zweites Mal los. Entnervt riss er die Tür auf. „Wer zum Teufel …?“

      „Ich!“, antwortete Michael, „dein Lieblingsschwiegersohn.“ Der junge Mann grinste breit. Es gab Zeiten, dachte Will, da hätte der sich so einen vorlauten Satz bei mir nicht erlaubt. Aber mittlerweile mochte selbst er den freundlichen Computerfachmann, und sogar den Begriff Lieblingsschwiegersohn konnte er nach anfänglicher Skepsis inzwischen durchgehen lassen, auch wenn das nicht besonders schwer war. Schließlich hatte er nur eine Tochter – Sabine. Die wiederum winkte ihm vom Auto aus zu. Sie hatte das Fenster des schwarzen Audi A6 an der Beifahrerseite heruntergefahren und rief: „Hallo Papa, danke, dass du heute Abend da hingehst.“ Auch die Scheibe am Rücksitz war heruntergelassen und Wills Enkelkinder Kevin-Marcel und Justin-Dustin hingen in halsbrecherischer Weise übereinander aus dem Fenster. Während sie sich gegenseitig nach unten zu drücken versuchten, riefen sie ausgelassen: „Oppa ist eine Flitzpiepe.“

      Will war überfordert. „Was ist denn? Wie … wo soll ich heute Abend hingehen?“, stammelte er.

      In diesem Augenblick tauchte hinter ihm im Flur Marlene auf. Sie hatte sich in ein lindgrünes, trotz Übergröße hautenges Kleid gequält und wurde von einer aufdringlichen Fahne Tosca begleitet, als sie sich an Will vorbeizwängte. Kopfschüttelnd sah sie an ihm herunter und sagte: „Willst du dir nicht was anderes anziehen, wenn du gleich da hingehst? Zieh dir auf jeden Fall vernünftige Schuhe an. Und ein bisschen Febreze auf das Hemd könnte auch nicht schaden.“

      „Moment mal“, Will stampfte mit dem Fuß auf, „was ist hier eigentlich los? Wo fahrt ihr alle hin? Und – vor allen Dingen – wo soll ich hin? Ich hab doch überhaupt keine Zeit. Ich muss mich noch physisch und mental auf meine Grabrede morgen früh vorbereiten.“

      Marlene stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihren Mann böse an: „Mein lieber Wilhelm Hastenrath. Bald reicht es mir mit dir. Ich habe dir schon drei Mal gesagt, was heute ist. Das letzte Mal heute morgen beim Frühstück. Würdest du doch nur einmal zuhören, wenn ich was sage!“

      „Wie jetzt? Ich … äh“, stotterte Will, kam aber nicht weiter, weil Marlene noch einen Gang höher schaltete. „Du gehst jetzt gleich zum Elternabend in die Grundschule. Für wegen das neue Schuljahr.“

      Will war entsetzt. Sofort schossen ihm die Bilder seines Fernsehsessels und der Flasche Dujardin durch den Kopf. „Aber, wieso …? Ich? Ich war doch seit Jahren nicht da. Das machen doch immer Michael und Sabine.

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