Die Rache des Waschbären. Christian Macharski

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Die Rache des Waschbären - Christian Macharski

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in alten Tagen hatte Kleinheinz seinen Beobachtungsposten bezogen. Er lehnte an einer mächtigen Trauerweide und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Während er auf das Ende der Messe wartete, ließ er den bisherigen Verlauf des Vormittags noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Die Messe selbst war relativ unspektakulär gewesen, auch wenn die Kirche zum Bersten voll war. Die Predigt war zwar feierlich, aber leider konnte man nicht jeden Satz verstehen, den Pastor Kuttrapalli zu formulieren versuchte. Der Organist hatte sich redlich Mühe gegeben und sich nur hin und wieder verspielt, wenn er den Diaprojektor bedienen musste, mit dem die Zahlen vom Liederzettel an die Kirchenwand geworfen wurden. Ein kleiner Höhepunkt war vielleicht der Saffelener Kirchenchor gewesen, der ein passables Ave Maria intoniert hatte und aufgrund fehlender Englischkenntnisse ein weniger gelungenes Time to Say Goodbye. In der Kirche hatte Kleinheinz die Angehörigen des Toten unter die Lupe genommen. Wer gab sich wie oder verhielt sich irgendwie auffällig? Aber alles wirkte so normal, wie es unter diesen Umständen eben möglich war.

      Lautes Glockengeläut riss den Kommissar aus seinen Gedanken und kündigte zugleich den Leichenzug an, der in wenigen Minuten hier eintreffen würde. Denn von der Kirche bis zum Friedhof waren es nur wenige Meter. Kleinheinz machte sich bereit. Die strahlende Sonne verströmte eine unverschämte Heiterkeit, die so gar nicht recht zu der traurigen Prozession passen wollte, die sich jetzt langsam über den Friedhof schlängelte. Angeführt wurde sie vom indischen Pastor, der von zwei aknegeplagten Messdienern flankiert wurde. Dann folgte der robuste Eichensarg von Theo Jaspers, der von sechs Männern getragen wurde. Die Männer in den schwarzen Anzügen waren alle etwa im gleichen Alter wie der Verstorbene. Möglicherweise handelte es sich um Vereinskameraden, mutmaßte Kommissar Kleinheinz, der sogar meinte, den penetranten Geruch von Old-Spice-Rasierwasser bis zu seinem Platz neben der Trauerweide riechen zu können. Die Gesichter der Sargträger wirken allerdings eher ernst als traurig. Womöglich dachten sie gerade darüber nach, dass genauso gut sie jetzt in dieser schweren Holztruhe liegen könnten. Theo Jaspers hatte nämlich kein bisschen ungesünder gelebt als sie alle. Hinter dem Sarg schleppte sich Fredi Jaspers mit schwerem Schritt und versteinerter Miene voran, sehr damit beschäftigt, seine schluchzende Mutter zu stützen. Die stattliche Menschenschlange dahinter wurde angeführt von Ortsvorsteher Hastenraths Will nebst eingehakter Gattin, die Kleinheinz heimlich zuwinkte, als sie ihn erblickte. Der Kommissar hatte Will zunächst gar nicht erkannt, weil der über seiner üblichen grauen Arbeitshose und dem grün-weißen Hemd einen langen schwarzen Mantel trug, der fast bis zum Boden reichte. Dennoch meinte Kleinheinz, darunter Gummistiefel auszumachen. Seine grüne Schirmmütze, die schon wie festgewachsen schien, hatte der Landwirt ausnahmsweise durch einen schwarzen Sonntagshut ersetzt.

      Der Pastor erreichte die Grabstätte, neben der ein riesiger Berg Erde aufgeschüttet war. Darauf sah man die Reifenspuren des Minibaggers, der wohl am Vortag zum Einsatz gekommen war. Neben dem Loch, über das zwei Bretter gelegt waren, wartete der hoch aufgeschossene, hagere Mann vom Bestattungsunternehmen, der mit seinem langen, dunklen Mantel und dem altmodischen Zylinder auf dem Kopf so gruselig wirkte wie ein Totengräber aus dem Wilden Westen. Mit stoischer Miene wies er den Sargträgern ihre Plätze links und rechts der Grube zu. Pastor Kuttrapalli nahm mit seinen Messdienern Aufstellung neben einem Eimer voller Blumen, die aber vermutlich bei Weitem nicht ausreichen würden für die Menschenmenge, die sich teilweise noch hinter dem Eingangsportal auf der Straße drängelte. Kleinheinz hatte den Eindruck, dass ganz Saffelen auf den Beinen war, um Theo Jaspers die letzte Ehre zu erweisen. Vielleicht waren aber auch einige einfach nur neugierig und wollten erfahren, was es mit dem ominösen Liebesschwur auf dem Sterbebett auf sich hatte, der sich in Windeseile im Dorf verbreitet hatte. Und wer weiß, wer sonst noch vorbeischauen würde. Kleinheinz jedenfalls nahm die Anwesenden sehr genau in Augenschein. Einige kannte er. Etwa Heribert Oellers, den cholerischen Besitzer des Autohauses Oellers, bei dem Richard Borowka und früher auch Fredi beschäftigt waren. Borowka war natürlich ebenfalls unter den Trauernden, zusammen mit seiner Frau Rita und seinen Eltern und Schwiegereltern sowie einer seltsamen Schar, die offensichtlich Fredis ehemaligem Fußballverein angehörte. Bei dieser Gruppe war die Auswahl der Trauergarderobe am wenigsten geglückt. Es wimmelte von Hochwasserhosen, ungeputzten Schuhen und zu kurz gebundenen Krawatten. Es schien, als hätten sich Wickie und die wilden Männer auf diese Veranstaltung verirrt. Doch niemand störte sich daran. Auf Höhe des Eingangsportals erkannte Kleinheinz noch Peter Haselheim, den Rektor der Grundschule, der mit seiner Frau und einigen Lehrerkollegen gekommen war – unter anderem mit einer relativ attraktiven, brünetten Dame, die etwas fremd und nicht so recht dazugehörig wirkte. Kleinheinz machte sich eine Notiz, obwohl es eigentlich nicht nötig war, da er über ein hervorragendes fotografisches Gedächtnis verfügte. Gesichter oder besondere Merkmale, die er sich einmal eingeprägt hatte, konnte er noch Wochen später zweifelsfrei zuordnen.

      Vor dem Eingangstor stoppte ein Wagen. Auf der Beifahrerseite stieg eine junge Frau aus, die Kleinheinz sehr bekannt vorkam. Sie ging um das Auto herum, beugte sich zum Fahrer hinunter und küsste ihn. Nachdem der Wagen wieder losgefahren war, reihte die Frau sich in die Schlange ein. Jetzt hatte Kleinheinz sie erkannt. Es handelte sich um Martina Wimmers, die Exfreundin von Fredi.

      Das leise Gemurmel der Prozession verstummte, als vom Grab her seltsame Geräusche erklangen. Kleinheinz sah hinüber und stellte fest, dass der indische Pastor angefangen hatte, zu sprechen. Und zwar wegen des Besucherandrangs durch eine Art Sprechfunkgerät, das durch eine große Box verstärkt wurde, die ein Messdiener an einer Stange hochhielt. Der schlechte Klang der Box machte aus der ohnehin schwer verständlichen Sprache von Kuttrapalli ein groteskes Klangexperiment. Während dieser außergewöhnlichen Performance wies der Bestatter die Träger an, den Sarg mit den bereitliegenden Gurten anzuheben. Dann zog er die beiden Bretter heraus und die Männer ließen den Sarg langsam in die Gruft gleiten. In dem indisch-deutschen Kauderwelsch fiel plötzlich der Name „Wilhelm Hastenrath“ und der Ortsvorsteher trat nach vorne, um sich neben den Pastor zu stellen. Er wird doch wohl nicht, dachte Kleinheinz. Doch noch bevor er seinen Gedanken zu Ende gedacht hatte, hatte Will schon das Sprechfunkgerät ergriffen und mit seiner unverkennbar rauen Stimme hineingehustet. Nach dem Abklingen der obligatorischen Rückkopplung begann er zu sprechen: „Liebe Trauergäste und Trauer… öhm … Trauerfrauen. Wir haben uns heute hier versammelt, für ein Mann die letzte Ehre zu erweisen, der viel für unser Dorf getan hat. Theo Jaspers hat sein Leben lang hart gearbeitet und so weiter. Das hat Pastor zwar eben in seine Predigt auch schon alles erzählt, aber ich denke, nicht jeder hat das verstanden. Gerade die Auswärtigen haben sich ja noch nicht an dem sein komischer Akzent dran gewöhnt. Aber ich möchte diese Gelegenheit auch benutzen, für hier mal öffentlich in meine Funktion als Pfarrgemeinderatsvorsitzender eine Lanze zu zerbrechen für der Pastor Kuttratrapalli, oder wie der heißt, hier neben mir.“ Jovial legte Will dem Gottesmann die Hand auf die Schulter, der dazu breit grinste. „Dieser Mann“, fuhr Will fort, „ist gebürtig aus Mumbai bei Bombei. Und der hatte es bestimmt nicht leicht, nachdem der vor einem Jahr hier dem sein komischer Vorgänger abgelöst hat – Rodrigo Gonzales. Der war ja mit vier Kirchengemeinden total überfordert und wollte so schnell wie möglich zurück nach Afrika. Aber ich glaube, mittlerweile hat unser indischer Freund sich sehr gut eingelebt in unsere Gemeinde. Ich hatte zwar am Anfang auch starke Vorbehalte, aber ich denke, der Protestbrief ans Bistum war nur eine kleine Überreaktion von mir. Denn man darf nicht vergessen: Gerade als Indier hat man es nicht leicht, wenn man aus ein Entwicklungsland in ein modernes südeuropäisches Land kommt. Aber zurück zu Theo Jaspers, wegen dem Sie ja alle hier sind. Abgesehen von die, die nur hier sind, für zu gucken, wer sonst noch hier ist, beziehungsweise die ganzen Ommas, die sowieso zu jede Beerdigung gehen. Das alles soll aber heute egal sein. Wir verneigen uns in diesem Moment vor Theo Jaspers, der bekannt war für sein nicht ganz jugendfreier Humor und seine lockeren Sprüche, vor allem, wenn der was getrunken hatte. Und in diesem Sinne, lieber Theo, möchte ich dir zum Abschied dein Lieblingssatz zurufen: Halt die Ohren steif!“

      Freitag, 9. September 2011, 12.06 Uhr

      Der Inhaber und Namensgeber der Gaststätte Harry Aretz hatte den großen Saal feierlich für den Beerdigungskaffee

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