Die Rache des Waschbären. Christian Macharski

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Die Rache des Waschbären - Christian Macharski

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stimmt“, strahlte Kleinheinz. „Mir war gar nicht bewusst, was Schweine für süße Tiere sind. Wie viel Lebensfreude die ausstrahlen! Ist das eigentlich normal, dass die auch alle Namen haben?“

      „Bei uns hat das Tradition“, sagte Will stolz und goss Kleinheinz ebenfalls nach, obwohl der zaghaft abwehrte. „Schon als ich ein Kind war, da hatten bei uns auf dem Hof alle Tiere Namen. Bis auf die Hühner, die konnte man so schlecht auseinanderhalten. Ich kann mich sogar erinnern, dass wir eine Zeit lang so viele Schweine hatten, dass wir manche Namen sogar doppelt vergeben mussten. Das hat natürlich auch schon mal zu Verwechslungen geführt. Wenn nachmittags zum Beispiel ein Schulkamerad von mir klingeln kam und gefragt hat: „Kommt der Will zum Spielen raus?“, da hat meine Mutter schon mal für dem gesagt: „Nee, der Will kann nicht. Der hat eben Beruhigungstabletten bekommen, der wird gleich kastriert.“

      Kleinheinz verzog das Gesicht.

      „Will!“, ermahnte Marlene ihren Mann.

      „Ist ja gut. Aber, für noch mal dadrauf zurückzukommen: Hier in Saffelen kann man gut und billig leben. Und im Neubaugebiet werden demnächst bestimmt ein paar schöne Häuser versteigert. So, wie die Zugezogenen sich da teilweise übernommen haben.“

      „Ich weiß nicht“, sagte Kleinheinz kauend, „ich glaube, ich bin eher ein Stadtmensch.“

      „Und warum wohnst du dann in Heinsberg?“, lachte Will.

      „Jetzt ist es aber gut, Will“, schimpfte Marlene. „Hör endlich auf, der Peter zu verulken. Sag mal, Peter, warum trägst du eigentlich deine Pistole am Gürtel? Ich denk, du hast Urlaub?!“ Kleinheinz blickte auf sein Holster und strich mit der Hand über seine Dienstwaffe. „Ach, weißt du, die trage ich eigentlich immer seit dem Überfall. Als ich damals im Büro niedergeschossen wurde, hatte ich keine Waffe, um mich zu verteidigen. Und das hat mich wohl irgendwie traumatisiert. Ich geh heute nicht mehr ohne Pistole vor die Tür. Aber mein Psychologe sagt, das wär völlig okay.“

      Will verschluckte sich. Verständnislos sah er den Kommissar an: „Was ist los? Du gehst nach ein Psychologe? Bist du denn …?“

      „Verrückt?“ lächelte Kleinheinz. „Ich denke nicht. Oder besser: Ich hoffe nicht. Da ist doch nichts dabei, zu einem Psychologen zu gehen. Durch den Angriff hatte ich eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung. Und da arbeiten wir dran. Das hat mir wirklich sehr geholfen. Ich fühle mich richtig gut. Das solltest du auch mal machen, Will. Gerade du. Was dir alles so passiert ist in den letzten Jahren! Das ein oder andere hat dich sicher auch traumatisiert.“

      Will schüttelte energisch den Kopf. „Unsinn! Also, für traumatologisiert zu werden, da habe ich nun wirklich keine Zeit. Meinst du, so ein großer Hof macht sich in der Zwischenzeit von alleine?“

      „Was hat das denn damit zu tun, Will?“, schaltete sich Marlene entrüstet in das Gespräch ein. „Als wenn man sich das aussuchen könnte! Der Dr. Hoppe hat gesagt, die Frau Jaspers braucht jetzt auch dringend ein Psychologe, für damit klarzukommen. Das ist doch nix Schlimmes.“

      Doch Will ließ sich nicht bremsen. „So weit kommt es noch! Natürlich ist das nicht schön, wenn einer stirbt, aber wenn man dann jedes Mal so ein Psychoheini rufen würde, für wieder klarzukommen … Die machen sich doch alle bloß die Taschen voll, diese …“

      „Ach so, das weißt du ja noch gar nicht“, unterbrach Marlene den Redeschwall ihres Mannes. „Es geht sich nicht dadrum, dass der Theo tot ist, sondern um das, was der auf dem Sterbebett für die Anneliese gesagt hat.“

      Und dann erzählte Marlene den beiden Männern, was soeben in der Aerobicstunde Gesprächsthema Nummer eins gewesen war: Julia, der letzte Name, den Theo Jaspers vor seinem Tod erwähnt hatte. Und vor allem, dass er eben dieser Julia seine Liebe gestanden hatte.

      „Wer ist denn Julia?“, fragte Kleinheinz neugierig, während Marlene ihm ein zweites Stück Kuchen auf den Teller schaufelte.

      Will rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ja, meinst du denn, der meinte die Julia von damals?“

      „Kennst du irgendseine andere?“, fragte Marlene.

      „Das ist komisch“, sagte Will, während er sich wieder Kleinheinz zuwandte. „Julia war ein hübsches Mädchen hier aus Saffelen. Eine ganz traurige Geschichte. Die hat sich im Sommer 1982 hier im Wald an ein Hochsitz erhängt. Die war erst 25 Jahre alt. Das war schrecklich. Vier Tage vorher hatte sich auch der ihr Freund umgebracht. Der war aus dem Nachbardorf, aus Uetterath. Der Freund hieß zwar Robert, aber die ganze Geschichte wurde von der Lokalpresse ‚Romeo und Julia‘ genannt, wegen weil die ineinander drin verliebt waren und aus zwei verschiedene Dörfer kamen. Weil in dem berühmten Roman von diesem William Dingsbums, da war ja auch ein Pärchen am pussieren.“

      „Ja, ja, richtig. ‚Romeo und Julia‘“, erinnerte sich Marlene. „Das war damals wochenlang das große Thema hier. Will, erinnerst du dich auch noch dadran, wie unser alter Pastor damals im Pfarrblättchen geschrieben hat, dass die Julia sich nicht erhängt hat, sondern von der Maskenbär mit ein Lasso eingefangen worden wär?“

      „Wer ist denn der Maskenbär?“, fragte Kleinheinz verwirrt.

      Will zeigte seiner Frau einen Vogel. „Sag mal, Marlene geht’s noch? Wie kannst du der Peter so ein Blödsinn erzählen! Der denkt doch, wir hätten sie nicht mehr alle. Außerdem musst du das anders erzählen.“ Mit diesen Worten wandte er sich wieder an den Kommissar. „Also, unser damaliger Pastor war zu dem Zeitpunkt schon ein bisschen verkalkt. Der ist auch kurz nach diesem Vorfall vom Bistum Aachen mit 96 Jahren gegen dem sein Willen in der Vorruhestand versetzt worden. Auf jeden Fall hatte der ein Problem mit die Julia, weil die immer so Miniröcke getragen hat und alle Männer im Dorf verrückt waren nach die … außer ich jetzt. Auf jeden Fall hat der dann im Pfarrbrief das alberne Gerücht mit der Maskenbär in die Welt gesetzt. Der hat geschrieben, dass der Maskenbär die Julia an der Hochsitz aufgehängt hat, wegen weil die immer so rumgelaufen ist. Der Maskenbär gilt hier in Saffelen nämlich als Todesbote. Aber was Pastor da geschrieben hat, war natürlich absoluter Blödsinn – der Maskenbär holt sich im Prinzip nur kleine Kinder, die nicht vom Spielen reinkommen, wenn es dunkel wird. Außerdem benutzt der überhaupt kein Lasso, sondern erwürgt die Kinder mit seine Tatzen. Das weiß doch jeder.“

      Der Irlandurlaub hatte Kleinheinz Ruhe und Gelassenheit gelehrt. Und so hakte er amüsiert nach: „Und der Maskenbär lebt im Saffelener Wald?“

      Marlene nickte betreten und Will führte weiter aus: „Richtig. Also, genau genommen ist das nur eine Sage, für die kleinen Saffelener Kinder pädagogisch zu erziehen. Obwohl der Eidams Theo behauptet, dass der der Maskenbär mal leibhaftig begegnet wäre – wie der betrunken vom Schützenfest nach Hause kam. Der sagt, der Maskenbär wäre ein zwei Meter großer Waschbär gewesen. Also, der heißt deshalb Maskenbär, weil Waschbären immer so eine schwarze Maske quer über den Augen haben.“

      „Da muss ich kurz eine Zwischenfrage stellen“, warf Kleinheinz belustigt ein. Er wusste plötzlich wieder, weswegen er das schrullige Ehepaar in den letzten anderthalb Jahren gelegentlich vermisst hatte. Käsekuchen kauend fragte er: „Im Saffelener Wald gibt’s also Waschbären? Ich dachte, die leben hauptsächlich in Nordamerika.“

      Marlene beugte sich auf ihrem Stuhl nach vorne und antwortete ernst: „Normal ja. Aber 1969 hat der Wildtierpark Gangelt aufgemacht und ein Jahr später ist da ein Waschbärehepaar weggelaufen und hat sich in den umliegenden Wäldern vermehrt. Und wie! Anfang der 80er gab es hier in der Gegend sogar eine richtige Waschbärenplage. Und zu der Zeit ist auch die Sage von der Maskenbär entstanden. Da gab es hier eine Zeit lang eine richtige

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