Der Tango des Todes. Christian Macharski

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Der Tango des Todes - Christian Macharski

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die beiden Freunde sich mit gieriger Leidenschaft ihrem Essen widmeten, öffnete sich in ihrem Rücken die Tür zur Frittenbude und ein fröhlicher Dreiklang hieß einen neuen Kunden willkommen. Rosi Schlömer-Okawango, die üppige Inhaberin des Grillcontainers, erkannte den Gast als Erste, und das, obwohl sie von einer dichten Fettwolke eingehüllt war.

      „Juppi!“, rief sie hocherfreut und kam sofort hinter ihrer Theke hervorgelaufen, um dem Gast in die Arme zu fallen.

      Der hatte viel Mühe, die gut hundert Kilo Lebendgewicht, die ihn gegen die vibrierende Eingangstür drückten, abzufedern. „Rosi“, hustete er mit erdrückter Stimme, „du hast dich überhaupt nicht verändert.“ Ob das als Kompliment gemeint war, ließ er offen.

      Auch Fredi und Borowka waren aufgesprungen, um den alten Freund mit herzlichen Umarmungen zu begrüßen. Sie hatten zwar davon gehört, dass Juppi Schrammen heute ankommen sollte, aber getroffen hatten sie ihn bislang noch nicht.

      „Wie geil ist das denn?“, entfuhr es Borowka. „Mensch, erzähl mal von deine Abenteuer. Stimmt das eigentlich, dass die Frauen in Afrika alle so große CDs in der Unterlippe eingebaut haben? Da standen letztens mehrere Fotos von in Rita ihre Cosmopolitan.“

      „Jetzt lass der Juppi doch erst mal in Ruhe ankommen“, ging Fredi dazwischen. Mit sanfter Gewalt befreite er ihn aus Rosis Umklammerung und führte ihn zu ihrem Tisch. „Setz dich mal hin. Rosi, bring der Mann mal ein Bier. Der ist bestimmt halb am Verdursten.“ „Ja, und dreimal Fritten mit Bratrolle und Bami zum Mitnehmen“, komplettierte Juppi die Bestellung.

      „Auf die Fritten was drauf?“, fragte Rosi routiniert nach.

      „Was kostet das denn?“

      „30 Cent!“

      „Oh, nur 30 Cent? Ja dann tu mir eine Currywurst und ein halbes Hähnchen drauf“, gab Juppi breit grinsend zurück.

      Fredi und Borowka brachen in lautes Gelächter aus und auch Rosi musste mit leichter Verzögerung lachen. Kopfschüttelnd ging sie zurück hinter die Theke.

      Borowka schlug Juppi überschwänglich auf die Schulter. „Immer noch derselbe Spaßvogel wie damals.“

      „Bei dir hat sich aber auch nicht viel geändert“, sagte Juppi, während er am Tisch Platz nahm, „du fährst ja immer noch die alte Gurke. Er zeigte amüsiert auf den Ford Capri.

      „Logolektrisch“, antwortete Borowka voller Stolz. Übel nahm er Juppi diesen Spruch nicht, dafür freute er sich viel zu sehr, ihn zu sehen.

      „Ach so, auch noch herzliches Beileid wegen deine Mutter“, lenkte Fredi das Thema auf den unerfreulichen Anlass der Rückkehr.

      Juppis Miene verfinsterte sich ein wenig. Er fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes, dunkles Haar, durch das sein sonnengegerbtes Gesicht noch besser zur Geltung kam. Die Jahre in der Fremde hatten ihn deutlich reifen lassen und einen gestandenen Mann aus ihm gemacht. Dennoch haftete seinen wehmütigen, tiefbraunen Augen noch immer etwas Jungenhaftes, Verschmitztes an. „Ja, das ist natürlich die andere Seite der Medaille“, sagte er nachdenklich. „Ich war gerade in Nepal, als ich davon erfahren habe. Es ging ja dann doch sehr schnell mit ihr zu Ende. Ich hab’s leider nicht mehr rechtzeitig zur Beerdigung geschafft. Na ja, so ist das Leben“, versuchte er, das Gespräch wieder in etwas seichteres Fahrwasser zu lenken.

      „Aber umso mehr freue ich mich, dass ich mal wieder hier bin. Saffelen war ja immerhin die erste exotische Station meiner Weltreise.“ Juppi lachte und die Falten um seine Augen verliehen seinen markanten Gesichtszügen etwas sehr Weiches.

      „Hastenraths Marlene hat beim Metzger erzählt, dass du bloß ein paar Tage bleibst. Stimmt das?“, fragte Fredi.

      Juppi nickte. „Ja, leider. Ich muss blöderweise nächste Woche Donnerstag schon wieder los, weil ich eine Stelle als Wildhüter in British Columbia antrete. Da kann man Schwarzbären beobachten.“

      „British Columbia“, Borowka pfiff durch die Zähne, „mein lieber Mann. Ich wusste gar nicht, dass es bei die Inselaffen Bären gibt.“

      Fredi versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellbogen. „Borowka. Wie doof bist du eigentlich? British Columbia ist doch nicht in England. Das ist in … hier in … ja woanders jedenfalls.“

      „In Kanada“, sagte Juppi, während Rosi ihm mit verklärtem Blick eine Flasche Bitburger auf den Tisch stellte.

      „Siehst du? Sag ich doch!“ Fredi hob triumphierend den Zeigefinger.

      „Sag mal, Juppi“, begann Borowka plötzlich ungewohnt ernst, „ich find das ja spannend, dass du durch die ganze Welt ziehst und fremde Kulturen und Frauen kennenlernst. Aber fehlt dir nicht manchmal auch so ein bisschen Heimat? Was weiß ich? Freunde, Fußball, Festzelt, Schlägereien in Himmerich. Wie soll ich sagen? So eine Art Hafen, wo man immer hin zurücksegelt.“

      Fredi musste bei diesen Worten unwillkürlich schlucken. Nicht nur, weil er seinen Kumpel noch nie so nachdenklich erlebt hatte, sondern, weil auf der Stelle Gedanken in seinem Innersten aufploppten, die er in Berlin oft gehabt hatte, wenn er sich einsam fühlte. Und auch wenn er es sich nicht gerne eingestand, weil man es ihm vielleicht als Scheitern auslegen könnte: Er war überglücklich, wieder in Saffelen zu sein. Hier war sein Herz zu Hause. Und ein Herz war nun mal schwer zu transplantieren. Das hatte er vor Kurzem im Fernsehen in einem Wissenschaftsmagazin gesehen, auf das er aus Versehen geschaltet hatte.

      Auch Juppis Blick verriet eine gewisse Nachdenklichkeit. Er wiegte die Flasche Bier in der Hand und betrachtete lange das Etikett, bevor er antwortete: „Ach weißt du, Richard. Die Seefahrer sagen: Wer an der Küste bleibt, kann keine neuen Ozeane entdecken. Ich fühl mich einfach immer da zu Hause, wo ich bin. Jetzt im Moment freue ich mich wahnsinnig, hier in Saffelen zu sein und euch alle zu treffen. Aber ich freue mich auch genauso sehr auf Kanada und auf alles, was danach noch kommt.“

      „Ja klar, das versteh ich“, ließ Borowka nicht locker, „aber was sind die schönsten Abenteuer, wenn man die mit kein Mensch teilen kann? Fehlt dir nicht zum Beispiel manchmal eine Frau? Also, ich meine jetzt nicht, wofür du denkst, dass die Frau sein soll. Das könnte quasi im Prinzip auch genauso gut ein Mann sein … Womit ich jetzt natürlich nicht sagen will, dass du eventuell vom anderen …“

      Juppi musste grinsen. „Ich hab schon kapiert, was du sagen willst.“ Es folgte eine kurze Pause, in der seine Gedanken offenbar davonschwebten. „Es gab tatsächlich mal jemanden. Ich war einmal in meinem Leben richtig verliebt. In eine Frau, für die ich alles getan hätte. Aber es hat damals nicht sollen sein. Und keine Frau danach war jemals wieder so wie diese.“

      Die Stimmung am Tisch schlug plötzlich um. Eine bedrückende Schwere legte sich über die drei Männer. Selbst Rosi, die hinter ihrem Tresen nur mit einem Ohr zugehört hatte, machte ein trauriges Gesicht. Doch den größten Kloß hatte Fredi Jaspers im Hals. Ohne es zu ahnen, hatte Juppi in ihm etwas angestoßen, das er nur zu gerne für immer verdrängt hätte. So sehr er sich freute, nach Saffelen zurückzukehren und so sehr er seine neue Freundin Sabrina liebte, so sehr war ihm auch bewusst, dass seine Rückkehr alte Wunden aufreißen würde. Er war nie wirklich hinweggekommen über die Trennung von seiner großen Liebe Martina Wimmers. Vor drei Jahren hatte sie ihn für jemand anderen verlassen, den sie dann sogar geheiratet hatte. Das war einer der Gründe gewesen, die ihn dazu bewegt hatten, Saffelen damals den Rücken zu kehren. Irgendwann hatte er sich mit dem Ende dieser Beziehung abgefunden, verwunden hatte er es jedoch nie. Und als wenn das Universum sich nicht schon genug Gehässigkeiten ausdenken würde, mit denen es die Menschen gängelt,

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