Der Tango des Todes. Christian Macharski
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Ein lauter Knall zerstob mit einem Mal alle Gedanken, die sich im Raum breitmachten. Juppi hatte mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen und rief: „Schluss mit dem Gejammer! Wir sollten das Leben genießen. Morgen Abend ist die große Willkommensparty, die Theo für mich schmeißt. Ihr kommt doch wohl hoffentlich? Alle Saffelener sind eingeladen. Sogar die aus dem Neubaugebiet“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
„Das haben wir schon gehört“, sagte Borowka und hielt die Flasche Bitburger in die Höhe. „Da simmer dobei, dat ist priiiiima. Viva Colonia!“, sang er etwas schief, dafür aber voller Inbrunst. Die drei Freunde stießen lachend an, als auf einmal wieder der Dreiklang der Ladentür ertönte. Eine deutlich erschlankte, dezent geschminkte, aber auffallend elegant gekleidete Martina Wimmers betrat den Grillcontainer. Fredi war wie vom Blitz getroffen, als ihr Blick sich mit seinem kreuzte. Will das Universum mich jetzt total verarschen?, dachte er.
Nachdem Martina realisiert hatte, wer da am Tisch saß, wendete sie ihren Kopf unsicher ab und ging schnellen Schrittes zur Theke, wo sie bereits von Rosi und ihrer bekleckerten Schürze erwartet wurde. „Wat krisste, Martina? Wie immer? Mit doppelt Mayo für dein Vatter?“
Martina nickte, ohne sich noch einmal zum Tisch umzudrehen. Rosi schaufelte eine große Portion Tiefkühlfritten in das große Sieb, das sie dann mit einem geübten Handgriff in das spritzende Fett hinuntersausen ließ. Den daneben befindlichen Drahtbehälter riss sie fast zeitgleich mit der anderen Hand triefend in die Höhe und brüllte quer durch den Laden: „Schewampschichi ist fertig! Und deine Sachen auch, Juppi.“
Borowka sprang freudig erregt vom Tisch auf und lief zur Theke.
Juppi, der die Situation genau erfasst hatte, beugte sich zu Fredi vor, der mit leerem Blick vor sich hin stierte. „Genau das meinte ich eben, Fredi. Die Liebe ist wie die Reise in ein unbekanntes Land. Man muss den Mut haben, alles hinter sich zu lassen, ohne zu wissen, was vor einem liegt.“
Fredi hörte die Worte, aber er verstand sie nicht.
6
„Und du meinst wirklich, ich kann der hellblaue Hosenanzug schon wieder anziehen? Den hatte ich doch jetzt schon so oft an. Ach, es ist so schrecklich, ich brauch dringend neue Sachen.“ Marlene Hastenrath betrachtete sich voller Verzweiflung in dem Spiegel, der auf der Innenseite ihres Kleiderschranks angebracht war. Sie musterte sich von allen Seiten, während Will ungeduldig in der Schlafzimmertür stand und heimlich auf seine Armbanduhr schielte.
„Hellblau steht dir ganz fantastisch. Aber ich sag mal so: Du kannst doch im Prinzip alles tragen … vorausgesetzt natürlich, es passt noch“, versuchte sich der Landwirt an einem Kompliment, um den Entscheidungsprozess zu beschleunigen. Sie waren ohnehin schon viel zu spät dran. Die Willkommensparty zu Ehren von Juppi Schrammen war bestimmt schon in vollem Gange.
Marlene drehte sich um und stemmte die Hände in die Hüften. Sie warf ihrem Mann einen bösen Blick zu und züngelte: „Hör bloß auf, so rumzuschleimen. Und glaub ja nicht, dass wegen deine Spannerei schon das letzte Wort gesprochen ist.“
Will musste schlucken. Unwillkürlich schoss seine Hand hoch und befühlte die riesige Beule an seinem Hinterkopf. Selbst der leichte Druck, den er damit ausübte, verursachte ihm schon wieder Schmerzen. Zweimal hatte seine Frau mit der Handtasche zugeschlagen, nur weil er durch ein kleines Loch in einer Plane geschaut hatte. „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Da war keine Frau hinter der Zaun. Der Clown hat mit sein Hund Tricks geübt, die ich mir für der Knuffi abgucken wollte.“
Marlene schüttelte den Kopf und seufzte theatralisch. „Hör doch auf, Will. Dreimal habe ich dich gerufen, dass du essen kommen sollst. So oft wie noch nie, seit wir verheiratet sind. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nix mehr mitkriegst, bloß weil da ein kleiner Hund Männchen macht. Wo du kleine Hunde ja noch nicht mal leiden kannst. Du kannst mich nicht verarschen. Du hattest doch sogar noch ein ganz verklärtes Lächeln im Gesicht, wie du da ohnmächtig auf dem Boden gelegen hast.“
„Nicht nur Männchen“, verteidigte sich Will, „der hat sogar Kopfstand gemacht. Ist ja auch egal. Auf jeden Fall ist das kein Grund, jemand aus der Hinterhalt heraus auf der Kopf zu hauen. Und schon mal gar nicht mit so eine schwere Handtasche. Was war da überhaupt alles drin?!“
Marlene wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu und sagte: „Da war das drin, was ich da immer drin habe: Taschentücher, Portemonnaie, Regenhaube. Und … ach ja, und natürlich der Edelstahltoaster, den ich morgens bei Lidl gekauft hatte. Der war im Angebot gewesen. Jetzt weiß ich auch, warum. Der ist ja direkt in tausend Teile zersprungen.“
Als Will und Marlene endlich am Haus von Theo Schrammen eintrafen, näherte sich die Party selbst zu dieser frühen Stunde schon dem Siedepunkt. Es schien, als wäre das ganze Dorf zusammengekommen, um Juppis Heimkehr zu feiern. Quer über der Doppelgarage hing eine bunte Girlande mit der Aufschrift „Willkommen zu Hause“. Ursprünglich war nur die ausgeräumte und mit einem Bundeswehrtarnnetz dekorierte Garage zum Feiern eingeplant gewesen, doch die Feier hatte sich aufgrund des großen Andrangs längst auf das ganze Haus ausgebreitet. In der Garage standen auf langen Bierzelttischen endlos viele Salate in altmodischen Glasschalen. Daneben Tuben mit Ketchup und Remouladensoße, Pappteller, Stangenbrot und bergeweise Tabletts mit abenteuerlich aufgetürmten Frikadellen und kalten Schnitzeln. Richard Borowka und Schlömer Karl-Heinz waren gerade damit beschäftigt, ein neues 50-Liter-Fass auf den Zapfbock zu heben, um den Nachschub zu sichern.
Will und Marlene wurden mit begeisterten Rufen aus dem Pulk empfangen. Heribert Oellers, der Inhaber der Firma Auto Oellers, schob seinen imposanten Körper aus der Menge heraus und schüttelte Will staatsmännisch die Hand. Nach einem kurzen Austausch der üblichen Begrüßungsfloskeln kam er direkt zur Sache und führte Will zum Getränkestand, wo Borowka gerade unter lautem Jubel das Fass angeschlagen hatte. Saffelens bester Schwarzarbeiter drehte den Hahn auf und füllte mit beeindruckender Routine mehrere Kränze voller Biergläser, die er aus dem Handgelenk heraus unter dem Strahl rotieren ließ. Dazu sang er aus Leibeskräften den Schlager: „Es gibt kein Bier auf Hawaii. Es gibt kein Bier.
Drum fahr ich nicht nach Hawaii, drum bleib ich hier.“ Als er seinen Chef, Heribert Oellers, auf sich zukommen sah, hustete er theatralisch, schließlich war er ja noch wegen Halsschmerzen krankgeschrieben. Oellers registrierte das mit zusammengekniffenen Augen, sagte aber nichts, um die Heiligkeit des Moments nicht zu stören.
Marlene war gleich am Eingang von einer bereits leicht angeschwipsten Billa Jackels in Empfang genommen und mit einem Glas Sekt versorgt worden. „Marlene. Wie schön, dass du da bist. Oh, schick. Ich finde auch, so ein hautenger, hellblauer Hosenanzug, dem kann man nicht oft genug tragen.“
Marlene sah beschämt zu Boden und versuchte schnell, das Thema zu wechseln. „Wie geht es denn der Josef? Hat der sich mal gemeldet?“
Billa leerte ihr Sektglas und nahm sich gleich ein neues von einem Tablett, das ein kleiner Junge, der die beiden Kellner Dirk und Dose unterstützte, unsicher vor sich her balancierte.
„Ja, du weißt ja, wie der Josef ist. Erst hatte der furchtbar Angst vor der zweiwöchige Feuerwehrlehrgang, aber mittlerweile gefällt es ihm ganz gut in Boppard. Der hat wohl auch schon der erste Test knapp bestanden. Kann aber auch sein, dass der durchgefallen ist.